Forscher geben erste Corona-Prognose für Sachsen

Leipzig. Es sind die Zahlenspezialisten, die nun erstmals Antworten geben: Wie entwickelt sich diese Pandemie in Sachsen? Leipziger Epidemiologen und Statistiker haben mit komplexen mathematischen Modellen nun Prognosen vorgelegt: Was passiert, wenn sich diese oder jene Dinge ändern?
Markus Scholz beschäftigt sich mit seiner Forschungsgruppe mit Statistiken und Systembiologie. Als Professor der Leipziger Universität hat er die Corona-Analyse nun vorgelegt. Die Ausbreitung der Epidemie in Deutschland, Sachsen und Leipzig geht weiter zurück. Unter den getroffenen Maßnahmen bleibt die aktuell geschätzte Reproduktionsrate R des Sars-CoV-2 in Sachsen unter "1".
In einem weiteren Schritt haben die Forscher vom Institut für Medizinische
Informatik, Statistik und Epidemiologie die Daten aus der Vergangenheit in die Zukunft gerechnet. „Die Lockerungen vom 20. April scheinen zu keinem Neuanstieg geführt zu haben", erklärt Medizinstatistiker Scholz. Das decke sich auch mit Beobachtungen in jenen Ländern, die nie einen Lockdown hatten.
Eine Berechnung für Sachsen
In einer vorangegangenen Untersuchung hatten die Wissenschaftler bereits die Effekte nachgerechnet, die die einzelnen Verschärfungen gebracht hatten. Massive Infektionsrückgänge hatte das Verbot von Fußballspielen und Großveranstaltungen zur Folge. Die Schließung der Schulen und Kitas brachte die Zahl der neu infizierten fast auf konstant herunter. Der Lockdown und die Kontaktsperren hatten als Stufe 3 daraufhin dann nur noch unwesentlichen Einfluss auf die Infektionssituation. Aber was passiert nun, wenn die Kontakte wieder möglich sind?
Scholz und seine Kollegen haben ein eigenes Modell entwickelt, um die weitere Dynamik der Sars-CoV-2 -Epidemie zu prognostizieren. Allerdings spielt nicht nur die Zahl der Kontakte eine Rolle, sondern auch die Nähe zum anderen und damit die Intensität. Genau dies alles in Zahlen und Formeln zu packen, macht die Sache so komplex. Dieses Modell wird nun regelmäßig mit den Daten des Sozialministeriums, des Robert-Koch-Institutes (RKI) und weiterer Quellen angepasst. Die Leipziger Wissenschaftler schätzen die Reproduktionsrate R aber anders als das RKI: In ihrem Modell wird die Rate mehr geglättet, sodass Wochenendeffekte weniger stark sind. Sie ist also näher an der Realität dran.
Etwa die Hälfte der Kontakte ist möglich

"Wir sagen voraus, dass eine Kontaktintensivierung von circa 40 Prozent
möglich ist, ohne dass die Epidemie wieder aufflammt", erklärt Markus
Scholz. "Etwa die Hälfte der Kontaktintensität im Vergleich zu Zeiten
vor dem Lockdown könnte als Richtschnur dienen." Eine zweite Infektionswelle habe dies nicht unmittelbar zur Folge. „Wir erwarten in diesem Szenario täglich circa 20 neue Testpositive in Sachsen", sagt Markus Scholz. Aber man müsse sehr viel testen, um schnell zu erkennen, wenn sich etwas grundsätzlich an der Situation verändern sollte.
Das Modell der Leipziger Medizinstatistiker sagt auch voraus, dass dann in einer solch kontrollierten Situation von etwa 40 Prozent mehr Kontaktintensität die Zahl der infektiösen Personen in Sachsen stets zwischen 300 und 400 liegen würde, die Dunkelziffer von Faktor 3 oder mehr käme noch dazu. Die Zahl der Verstorbenen werde dann bis Ende Juni in Sachsen auf insgesamt etwa 200 ansteigen, geht aus den Berechnungen hervor. Die Betten der Intensivbetreuung in Sachsen würden in diesem Szenario Ende Juni zu etwa zehn Prozent genutzt sein. Ohne jede weitere Einschränkung allerdings und bei völliger Lockerung aller Corona-Maßnahmen hätte Sachsen Ende Juni täglich 200 bis 300 Neuinfektionen. Die Zahl der Intensivbetten würde dann schon nicht mehr reichen.
Wie andere Experten auch hält Markus Scholz die jetzt bundesweit diskutierte Obergrenze von 50 Neuinfektionen pro Woche auf 100.000 Einwohner für viel zu hoch. „So hohe Zahlen pro Woche hatten wir selten. Eine Nachverfolgung der Kontakte halte ich dann für äußerst schwierig.“
Kinder machen Probleme
Auch die Rolle der Kinder im Infektionsgeschehen und die diskutierte Obergrenze an Neuinfektionen haben die Leipziger Forscher analysiert. Hier ist die Datensituation aber noch kritischer als bei den Erwachsenen.
Der Verlauf von Covid-19 bei Kindern ist deutlich milder. Unklar ist aber, ob Kinder genauso oft oder weniger häufig als Erwachsene von Infektionen betroffen sind. Bei den meisten publizierten Statistiken ist der Anteil der Kinder an den Testpositiven aller Altersgruppen gering. Dabei wird aber oft nicht berücksichtigt, dass Kinder allgemein seltener getestet werden.
"Es kann aktuell jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Ansteckung und Infektiosität bei Kindern im Vergleich zu Erwachsenen deutlich unterscheidet", heißt es im Forschungsbericht des Instituts. Deshalb sei bei Öffnung von Kindertagesstätten und Schulen eine regelmäßige Kontrolle des Infektionsstatus des Betreuungspersonals nötig.
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