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Der große Streit um den Müll

Der Abfallverband der Kreise Görlitz und Bautzen will seine Deponie erweitern. Einer Privatfirma wird das untersagt. Deren Chef fühlt sich betrogen.

Von Ulrich Wolf
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Bauschutt, Kesselasche, Filterstäube, Glasfaserabfälle, asbesthaltiges Dämmmaterial: All das darf auf die Deponie in Kunnersdorf bei Görlitz gebracht werden. Der erste Teil des Geländes ist bereits verdichtet, der zweite zur Hälfte voll.
Bauschutt, Kesselasche, Filterstäube, Glasfaserabfälle, asbesthaltiges Dämmmaterial: All das darf auf die Deponie in Kunnersdorf bei Görlitz gebracht werden. Der erste Teil des Geländes ist bereits verdichtet, der zweite zur Hälfte voll. © Archivfoto: Wolfgang Wittchen

Von der Autobahn 4 aus ist die Mülldeponie Kunnersdorf gut zu sehen. Eine künstliche Erhebung kurz vor der polnischen Grenze bei Görlitz. So ein Ort ist nicht unbedingt gängig für Tagungen. Und doch treffen sich dort schon seit Jahren einige Männer in einem schmucklosen Verwaltungsgebäude. Etwa am 6. Dezember 2018: Ein Ex-CDU-Bürgermeister, ein CDU-Gemeinderat, ein Amts- und ein Verbandsgeschäftsführer diskutieren an diesem Tag über Müllgebühren, Satzungsfragen und Entgelte.

Ihr Treffpunkt steht auf einem Gelände, unter dem Hausmüll aus alten Zeiten verrottet. Methan entweicht, wird verbrannt. Tag und Nacht gibt eine fast farblose, 1.200 Grad heiße Fackel so viel Wärme ab, dass der Verwaltungssitz des Regionalen Abfallverbands Oberlausitz-Niederschlesien, des Ravon, damit geheizt werden kann.

Diese Technik ist erst seit eineinhalb Jahren im Einsatz, kostete 350.000 Euro. Auch über diese Investition hatten die Männer entschieden. Denn sie sind diejenigen, die den Verbandsmitgliedern, den Landkreisen Bautzen und Görlitz, maßgebend empfehlen, wie der Ravon mit seinem Geld umgehen sollte. Das sind immerhin rund 30 Millionen Euro im Jahr.

Als die Männer an jenem 6. Dezember 2018 zum Tagungsordnungspunkt elf kommen, geht es wieder um Investitionen. Der 50 Jahre alte Ravon-Chef Roman Toedter sagt, die Deponie müsse nach Westen hin erweitert werden. Um rund zehn Hektar. Planung, Genehmigung und Bau dauerten rund zehn Jahre, sagt Toedter. So steht es im Protokoll, das der SZ vorliegt.

Ein Jahr später, Dezember 2019.

Im Foyer eines Dresdner Hotels sitzt Thomas Reissner. Ein Geschäftsmann aus Schwaben. Ihm gehört eine Holding mit Sitz in Sindelfingen, die auch in Sachsen aktiv ist: mit Gesellschaften in Freiberg und Mittweida, in Halsbrücke, in Bernstadt a. d. Eigen. In einem seiner Aufsichtsräte sitzen unter anderem der frühere Vorsitzende der Union-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, sowie der ehemalige DDR-Vizeminister für Geologie, Horst Richter.

Zum Treffen in dem Hotel hat Reissner seinen Prokuristen mitgebracht und einen seiner regionalen Geschäftsführer. Sie notieren, was der Chef sagt. Antworten, wenn er fragt. Widersprechen nicht, wenn er um eine Gegenmeinung bittet. Denn Thomas Reissner, 71 Jahre, Diplom-Kaufmann aus Stuttgart, hat heute keine gute Laune.

© SZ-Grafik

Der Unternehmer fühlt sich übers Ohr gehauen. Ihm gehört auch die Ton- und Kieswerke Kodersdorf GmbH, kurz TKK, ebenfalls im Landkreis Görlitz gelegen. Und wie der Ravon hat auch diese Firma vor, eine neue Deponie zu bauen. Doch die zuständige Genehmigungsbehörde, die Landesdirektion Sachsen, hat das abgelehnt. Im vergangenen Oktober. Fast zehn Jahre, nachdem die TKK ihre Deponiepläne öffentlich gemacht hatte. In der Begründung der Behörde heißt es, die TKK habe den Bedarf für eine neue Deponie nicht nachweisen können.

„Das empört mich“, sagt Reissner. Er rührt so heftig in seiner Tasse, dass ein wenig Kaffee überschwappt. Der Unternehmer wertet den Ablehnungsentscheid als eine „politische Entscheidung zugunsten des Ravon“. Der Deponiestandort der TKK liege nur zehn Kilometer von Kunnersdorf entfernt. Dort gebe es nahezu die gleichen geologischen Eigenschaften. Alles sei umweltverträglich und technisch durchgeplant. Nun aber komme der Ravon und wolle für viel öffentliches Geld selbst eine Deponie bauen.

Für wie viel Geld genau, dazu will sich Ravon-Chef Toedter nicht äußern. Anders als Reissner ist er zu einem Treffen nicht bereit, beantwortet Fragen nur schriftlich. In Sachen Deponieerweiterung teilt er mit, Angaben zu entstehenden Kosten lägen bisher nicht vor. Dabei findet sich in der Ausschreibung für die Planung der Deponie ein klarer Hinweis: „Die prognostizierten Baukosten betragen nach vorläufigen Schätzungen 12.435 Mio. EUR (netto).“

Leuchttürme der Transparenz sind Müllfirmen eher selten. Das gilt auch für die Reissner-Holding. Derzeit wird etwa in Mittweida viel über die Luftverschmutzung durch eine seiner Anlagen gestritten. Als vor mehreren Jahren Giftfässer verschwanden, musste der Stuttgarter sogar vor dem Müll-Untersuchungsausschuss des sächsischen Landtags aussagen. Und auch gegen die TKK wurde ermittelt. „Die Staatsanwaltschaft hat alle Verfahren eingestellt“, versichert er. „Wir haben noch nie zahlen müssen, nicht einmal eine Ordnungsstrafe.“

Kunnersdorf soll Deponie der Klasse eins werden

Mit Ermittlern hatte auch Toedter schon zu tun. Der aus Thüringen stammende Ingenieur für Umweltingenieurwesen und Verfahrenstechnik arbeitete mehrere Jahre bei einer Abfallverwertungsfirma im brandenburgischen Peitz. Erst als Prokurist, dann als Geschäftsführer. Die Firma stellte Ersatzbrennstoffe aus Müll her, unter anderem in einem Werk für Pellets. Doch das ging nie in den Dauerbetrieb, kostete nur Geld. Im Oktober 2013, einen Monat vor seinem neuen Job als Ravon-Manager, legte Toedter sein Amt als Geschäftsführer der Peitzer Firma nieder. Kurz darauf folgte ihr Insolvenzantrag. Nach Angaben des Verwalters fordern bis heute 700 Gläubiger, zumeist Privatanleger, nahezu 60 Millionen Euro zurück.

Vorsätzlicher Bankrott? Betrug? Genau das warf die Staatsanwaltschaft Cottbus Toedter vor. In mindestens sechs Fällen. Die Justiz stellte jedoch alle Verfahren gegen den heutigen Ravon-Chef ein. Toedter, der in Cottbus wohnt, möchte darüber nicht reden. „Über rechtliche Auseinandersetzungen, die meine Person und meine vorherige Tätigkeit betreffen, wurde der Verbandsvorsitzende von mir von Beginn an regelmäßig informiert“, teilt er mit.

Der Verbandsvorsitzende, das war schon vor sechs Jahren der Bautzener Landrat Michael Harig. Der urteilte damals: „Wir sind froh, einen fähigen Mann gefunden zu haben, der mit bester fachlicher Eignung und viel Erfahrung die Geschäftsführung übernimmt.“

Das Ravon-Vorhaben in Kunnersdorf soll eine Deponie der Klasse eins werden. Dahinter verbirgt sich eine Lagerstätte für mäßig belastete Abfälle wie Bauschutt, Gipskarton, Mineralfasern, Aschen und Schlacken. Deponien der Klasse eins gibt es in Sachsen derzeit nur eine, betrieben von einem französischen Baukonzern in Rothschönberg bei Wilsdruff. Genehmigt, aber noch nicht errichtet, ist zudem eine Klasse-eins-Deponie in Taucha bei Leipzig. Das Areal gehört einer bayerischen Firmengruppe. Ob es noch weiterer solcher Deponien bedarf, das soll eine Studie im Auftrag des sächsischen Landesumweltamtes ergeben. Das Forschungsprojekt ist zwar seit Ende Januar fertig, die Resultate sind aber noch nicht veröffentlicht.

Mehrmalige Verhandlungen

Umso unverständlicher ist für Reissner der Ablehnungsbescheid der Landesdirektion. „Die Fachleute vom Landesumweltamt haben den Bedarf noch gar nicht ermittelt, und dennoch wird unser Ansinnen einfach abgelehnt.“ Umweltamt, Umweltministerium und Landesdirektionen betonen unisono: „Der Bescheid erging anhand der vom Antragsteller zur Entscheidung vorgelegten Unterlagen und ohne äußere Einflussnahme.“

Nicht bekannt waren der Genehmigungsbehörde allerdings diverse Gespräche zwischen TKK und dem Ravon. Man habe mehrmals verhandelt, versichert Reissner. Über Kontingente, über Beteiligungen, über „strategische Abfallallianzen“. Er behauptet, bei einem Treffen in Dresden im August 2018 habe Toedter darüber geklagt, dass der jetzige Abschnitt der Kunnersdorfer Deponie zwar für teils belasteten Müll zugelassen sei, aber überwiegend mit simplen Bauschutt verfüllt werde, was sich aber auf Dauer nicht rechne. 

Ravon-Chef Toedter räumt zwar diverse Treffen „zu verschiedenen Themen“ ein. Zu den Inhalten äußert er sich aber nicht. „Für die Fortführung bestand ab einem bestimmten Zeitpunkt keine weitere Basis.“ Den bislang letzten direkten Kontakt zwischen TKK und Ravon gab es im Februar 2019. „Von mir wird ein Vorschlag zur perspektivischen Entwicklung von Deponiekapazitäten in Ostdeutschland erstellt“, schreibt Toedter in einer SMS an Reissner.

TKK klagt gegen die Ablehnung

Der im Juni 1992 gegründete Ravon hat im Müllgeschäft durchaus Vorteile. Als öffentlich-rechtlicher Betrieb der Landkreise Bautzen und Görlitz finanziert er sich überwiegend durch Gebühren, Abfallentgelte und Fördermittel. Er kann nicht pleitegehen. Und: Laut Gesetz müssen fast alle Abfälle aus dem Verbandsgebiet dem Ravon zur Entsorgung überlassen werden. Privatfirmen sind nur fürs Recycling zuständig oder für hochgiftigen Müll.

Zudem kann sich der Ravon-Chef bei seinen Plänen auf ein langjähriges Netzwerk stützen. Harig ist bereits seit 2001 Landrat in Bautzen. Sein Görlitzer Pendant Bernd Lange hat dieses Amt seit 2008 inne. Beiden Christdemokraten werden gute Kontakte ins bis vor Kurzem noch CDU-geführte Umweltministerium nachgesagt.

Ein weiteres wichtiges Seil im Netz des Ravon ist eine Wirtschaftsprüfungsfirma aus Chemnitz. Sie attestiert die Bilanzen des Verbands seit 2008. Ihr Vertrag ist erst im Juni 2019 verlängert worden, obwohl der sächsische Rechnungshof öffentlich-rechtlichen Betrieben empfiehlt, alle drei bis fünf Jahre die Prüfer zu wechseln. „Die neuerliche Vergabe ist durch das Beteiligungsmanagement des Landkreises Bautzen bestätigt worden“, teilt Toedter mit.

Bereits sechs Monate bevor die TKK der Ablehnungsbescheid der Landesdirektion ereilen sollte, heißt es im Protokoll des Ravon-Finanzausschusses vom März 2019: „Herr Toedter berichtet von seinem Treffen mit Mitgliedern des Umweltministeriums und der Landesdirektion zum Ausbau der Deponie Kunnersdorf (...). Seinen Angaben zufolge unterstützen die Behörden das Projekt (...). Der Ravon hat eine Planrechtfertigung, da er eine öffentliche Einrichtung ist. Demzufolge dürfte es keine Schwierigkeiten geben.“

Wenige Tage danach tritt auch die Ravon-Verbandsversammlung zusammen. Dem Protokoll dieser Sitzung zufolge sagt der Görlitzer Landrat Stange, man halte sich im Umweltministerium und bei der Landesdirektion zwar noch bedeckt, gehe dort aber „positiv mit der Entscheidung“ um. Damit konfrontiert, antwortet Toedter, eine inhaltliche Befassung der Behörden zu dem Thema habe bisher nicht stattgefunden, da noch keine Planungsunterlagen vorlägen. Der Ravon hat inzwischen ein Planungsbüro für rund 400.000 Euro beauftragt, im Januar gab es eine erste Begehung auf dem Ausbauareal.

Die TKK klagt gegen die Ablehnung vor dem Oberverwaltungsgericht in Dresden. In der Begründung heißt es, das schutzwürdige Vertrauen in sächsische Behörden sei erschüttert worden.