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Der steile Aufstieg eines Unterschätzten

In Dresden schaffte es Robert Andrich nicht in den Kader, bei Union ist er nun Stammspieler. Aus der Serie "Bei Dynamo ein Flop, danach top".

Von Daniel Klein
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Neuer Arbeitsplatz im Stadion an der Alten Försterei. „Die Atmosphäre hier“, sagt Robert Andrich, „ist noch mal spezieller als in Dresden.“
Neuer Arbeitsplatz im Stadion an der Alten Försterei. „Die Atmosphäre hier“, sagt Robert Andrich, „ist noch mal spezieller als in Dresden.“ © kay herschelmann

Das breite Fenster in der Vip-Louge gewährt einen großzügigen Blick auf Rasen und Ränge in der Alten Försterei. Hier ist seit Sommer der neue Arbeitsplatz von Robert Andrich. Auf dem Spielfeld, das gerade mit Lampen zum Wachstum animiert wird, steht er regelmäßig. Eigentlich sogar immer. Lediglich bei einem Bundesliga-Spiel von Union fehlte der 25-Jährige in der Startelf – wegen einer Gelbsperre. Andrich ist sicher nicht der Profi, der in dieser Hinrunde im Fokus stand und über den permanent gesprochen wird, zu den größten Überraschungen zählt er trotzdem.

Vor dreieinhalb Jahren trug er noch das Dynamo-Trikot in der 3. Liga, oder besser: Er trug es eher selten. Der damalige Trainer Uwe Neuhaus nominierte ihn öfter nicht mal mehr für den Spieltagskader. Und nun ist er Stammkraft bei einem Erstligisten, quasi nicht wegzudenken aus der Überraschungs-Elf Union. Wer diesen steilen Aufstieg 2016 prognostiziert hätte, wäre vermutlich als Spinner abgestempelt worden. Einer aber glaubte immer daran: er selbst.

In der Vip-Lounge nippt Andrich an einem Smoothie, an seinem Handgelenk baumelt eine goldfarbene Uhr, das Basecap sitzt fest auf den blondierten Haaren. Über seine Vergangenheit, die anderthalb Jahre in Dresden, redet er reflektiert und beinahe schon emotionslos. Er hat, so scheint es, seinen Frieden geschlossen mit dieser Station in seiner Karriere, die bisher mit Abstand die erfolgloseste war – zumindest für ihn persönlich.

Im Februar 2015 kommt er von Hertha BSC, allerdings spielte er dort nur bei der U23 in der Regionalliga, zu Dynamo – mit 20 Jahren. „Ich wollte so richtig im Männer-Fußball ankommen, die Rückrunde nutzen, um mich ans Umfeld und die 3. Liga zu gewöhnen“, erzählt er. Das klappt erstaunlich gut. Zwar wird Stefan Böger, der ihn geholt hatte, bereits zwei Spieltage nach Andrichs Verpflichtung entlassen, doch sein Nachfolger Peter Nemeth setzt auch auf das Talent aus Berlin – nicht immer, aber immer wieder. „In diesem halben Jahr hatte ich mehr Einsatzzeiten als im gesamten nächsten“, erinnert er sich.

Bei seinen 25 Einsätzen für Dynamo erzielte Andrich ein Tor: Im März 2016 beim 2:2 gegen Rostock.
Bei seinen 25 Einsätzen für Dynamo erzielte Andrich ein Tor: Im März 2016 beim 2:2 gegen Rostock. © Robert Michael (Archiv)

In dem übernimmt Uwe Neuhaus den Trainerposten und startet eine grandiose Serie – fast immer ohne Andrich. Als er am 13. Spieltag erstmals in der Startelf steht, verliert Dynamo das erste Spiel der Saison. Dümmer kann es kaum laufen. Es kommt nur noch ein weiterer Einsatz von Beginn an dazu. „Die Mannschaft hatte damals unfassbaren Erfolg, es gab wenige Verletzungen und Sperren. Da ist es logisch, dass kaum was verändert wird“, findet er. „Der Trainer war und ist schon ein guter, hat aber nicht so auf mich gesetzt“, erzählt er. „Im Nachhinein ist das völlig in Ordnung.“

Damals aber, das gesteht er, sei es keine so schöne, keine einfache Zeit gewesen. „Natürlich war ich sauer, wenn ich nicht zum Kader gehörte. Aber wer das nicht ist, sollte mit dem Fußballspielen aufhören.“ Schuldlos an der Situation ist er sicher nicht. Mit glänzenden Leistungen fällt er bei seinen wenigen Kurzeinsätzen jedenfalls kaum auf, dafür mit seinem Äußeren. Die Haare lässt er sich blondieren, läuft bereits im Oktober mit Handschuhen auf. Das kommt nicht bei jedem Fan gut an.

Für Neuhaus entscheidender sind aber wohl seine Fehltritte. Im Oktober 2015 wird er aufgrund einer Disziplinlosigkeit für eine Partie suspendiert, weil „ich mich in der Öffentlichkeit nicht korrekt verhalten habe“, wie er damals erklärte.

Lieber weg als auf die Tribüne

Rückblickend sagt er nun, dass er „bestimmt auch mal neben dem Platz aufgefallen“ sei. „Da gab es vielleicht auch einige Sachen, die von mir nicht gut waren.“

Am Ende der so erfolgreichen Saison feiert Dynamo den Aufstieg in die 2. Bundesliga. „Das steht zwar auch in meiner Vita drin, aber ich hatte nicht das Gefühl, wirklich dazu beigetragen zu haben“, sagt er. Sein Vertrag läuft noch ein weiteres Jahr, trotzdem will er weg. „Ich sah für mich einfach keine Perspektive. Wenn ich eine Saison lang nur auf der Tribüne gesessen hätte, wäre es schwer geworden, einen neuen Verein zu finden.“

Er bleibt in der 3. Liga, wechselt zum SV Wehen Wiesbaden. Das ist nicht gerade das Epizentrum von Fußball-Deutschland, für Andrich aber womöglich gerade deshalb der richtige Ort. Bei den Hessen spielt er nicht nur regelmäßig, er lernt dort auch seine Frau Alicia kennen. „Das war schon ein wichtiger Punkt, um reifer und ruhiger zu werden“, erzählt er. „Ich habe mich da auch als Typ weiterentwickelt.“

Nach zwei Jahren in Wiesbaden steigt er durch den Wechsel zum 1. FC Heidenheim doch noch in die zweite Liga auf, entwickelt sich zum Leistungsträger. Union Berlin will ihn unbedingt haben, die Ablösesumme soll bei 1,2 Millionen Euro liegen. Selbst für einen Erstliga-Neuling ist das wenig. Die Erwartungen an den Neuzugang sind vielleicht auch deshalb eher gering. Eine Führungsrolle traut ihm kaum jemand zu. Zu den Skeptikern zählt auch Christian Beeck, Ex-Verteidiger von Energie Cottbus und Ex-Manager in Köpenick. „Ich hätte vor der Saison nie gedacht, dass er so eine tragende Rolle spielen wird“, gesteht er. „Aber der Junge tut so viel, dass Unions Spielsystem funktioniert.“

Unterschätzt zu werden, das zieht sich ein bisschen wie ein roter Faden durch Andrichs bisherige Karriere. An der Alten Försterei ist das nun anders, für Andrich aber keine Überraschung. „Ich weiß ja, was ich leisten kann. Es war von Anfang an mein Ziel, mich hier durchzusetzen. Und ich denke, dass ich meine Chance genutzt habe.“ Aber was schätzt Trainer Urs Fischer so an seinem defensiven Mittelfeldakteur? „Ich glaube, es ist mein Gesamtpaket“, sagt Andrich. „Ich habe eine gute Übersicht, kann Situationen gut antizipieren und suche immer nach spielerischen Lösungen. Auf dem Platz kann ich aber auch ein unangenehmer und ekliger Gegenspieler sein, für den Fouls auch mal dazugehören.“

"Ich war im Kopf nicht bereits genug"

Diese Anlagen hatte er vermutlich bereits, als er in Dresden war, sie aber kaum gezeigt. „Damals war ich wahrscheinlich noch nicht so reif, im Kopf nicht bereit genug“, glaubt er. Die Aussage könnte man auf den Lebenswandel beziehen, doch so meint er das nicht – zumindest nicht ausschließlich. „Ich bin trotz allem ein Typ geblieben, der eine gewisse Lockerheit braucht, der nicht so verkrampft ist“, erzählt er. Das bedeute aber natürlich nicht, dass er weniger tue, um fit zu bleiben. Nur macht das Andrich vielleicht ein bisschen anders.

Verbindungen nach Dresden hat er kaum noch, lediglich mit Niklas Kreuzer schreibt und telefoniert er regelmäßig. In den letzten Wochen herrschte aber Funkstille. „Ich denke, er hat mit der Situation bei Dynamo zu kämpfen“, sagt Andrich, macht seinem Kumpel jedoch Hoffnung: „Ich denke schon, dass sie es noch packen können.“ Gemeint ist der Klassenerhalt.

Auch mit seinem Onkel Frieder Andrich tauscht er sich aus. Der stieg 1968 mit Stahl Riesa in die DDR-Oberliga auf, zählte nach seinem Wechsel zum FC Vorwärts Frankfurt/Oder zu den torgefährlichsten Spielern in der höchsten Klasse. „Ich glaube, dass er stolz auf mich ist. Er sagt es mir zwar nicht, aber ich weiß es.“

Sein Onkel hatte 2015 auch zu einem Wechsel geraten und fand, dass Dynamo eine gute Wahl ist. Ganz so würde sein Neffe das jetzt wahrscheinlich nicht formulieren, die 18 Monate in Dresden aber auch nicht als Fehler bezeichnen. „Diese Erfahrung gemacht zu haben, war vielleicht gar nicht so verkehrt. Es war ein wichtiger Teil meiner Entwicklung.“

Die geht sicher noch weiter. Andrich unterschätzen sollte man jedenfalls nicht.

Am Donnerstag lesen Sie bei Sächsische.de im nächsten Serien-Teil, warum Toni Leistner für Dynamo nicht gut genug war, aber trotzdem nicht wechseln sollte - bis ihn der Trainer endgültig vergraulte. Jetzt macht der Dresdner in London Karriere. Wir haben ihn besucht.