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Dresdner Fotograf hat Corona besiegt

"Ich habe so viele Antikörper, dass ich halb Dresden versorgen könnte", sagt Matthias Creutziger. Seinen Humor hat er nicht verloren, beinahe aber sein Leben.

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Fotograf Matthias Creutziger sitzt nach überstandener Corona-Erkrankung in seinem Arbeitszimmer in seiner Wohnung auf einem Stuhl.
Fotograf Matthias Creutziger sitzt nach überstandener Corona-Erkrankung in seinem Arbeitszimmer in seiner Wohnung auf einem Stuhl. ©  Robert Michael/dpa

Von Jörg Schurig

Dresden. "Ich habe einfach Lust am Leben", beschreibt der Dresdner Fotograf Matthias Creutziger seine Überlebensformel. Wer ihn dieser Tage erlebt, kann sich kaum vorstellen, dass der 68-Jährige vor vier Monaten nicht mehr selbst atmen konnte und fast fünf Wochen im Koma lag. Creutziger hatte sich Ende März genau wie seine Frau Ruthild mit dem Coronavirus infiziert. Auch sie musste ins Krankenhaus, ihren Mann traf es aber ungleich härter. Lungenentzündung, Nierenversagen, Vorhofflimmern, Thrombosen, Krankenhauskeime. "Man hat mir mehrmals das Leben gerettet. Das erste Mal war es meine Frau", sagt Creutziger. Denn sie habe den Rettungswagen gerufen, als es am 3. April nicht mehr weiterging.

Bis dahin hatten sich beide schon ein paar Tage mit hohem Fieber und Gliederschmerzen herumgeplagt. Matthias Creutziger räumt im Rückblick ein, das anfangs nicht so ernst genommen zu haben. Der Urlaub in Teneriffa lag schon vier Wochen zurück, da schien es angesichts der zweiwöchigen Inkubationszeit unwahrscheinlich, sich in der Ferne angesteckt zu haben. Später machten ihm die Ärzte klar, dass sich die Infektion nicht so schlimm entwickelt hätte, wenn er nur ein oder zwei Tage eher im Krankenhaus erschienen wäre. An die Details kann sich Creutziger ohnehin nicht mehr erinnern. Die letzten Stunden zu Hause habe er in einer Art Delirium verbracht, sagt er. Als er wieder zu sich kam, war es schon der 6. Mai.

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Matthias Creutziger ist in seinem Job bekannt. Viele Jahre hat er als Fotograf der Semperoper Dresden gearbeitet, die Staatskapelle auf Reisen in alle Welt begleitet. Dabei gilt sein musikalisches Faible eigentlich dem Jazz. Zu DDR-Zeiten gab er den Jazzkalender heraus. Auf Festivals porträtierte er die Größen der Szene, ob nun Lester Bowie, Dizzy Gillespie, Max Roach oder Ray Charles. Als Creutziger krank war, haben sich Jazzer wie Günter "Baby" Sommer oder Joe Sachse bei "ihrem" Fotografen gemeldet. Staatskapelle-Chefdirigent Christian Thielemann sandte Blumen ins Krankenhaus und rief an. Dort traf ein ganzer Karton mit Post ein. "Das hat mir alles viel Rückhalt gegeben", sagt Creutziger über Freunde in der Not.

Jetzt, nachdem sein Luftröhrenschnitt vernäht ist, die Muskeln von Tag zu Tag wieder kräftiger werden und auch die Rehabilitation in Heiligendamm an der Ostsee hinter ihm liegt, fühlt Creutziger seine Fitness zu etwa 70 Prozent wiederhergestellt. Er weiß, dass er großes Glück hatte und zwei wichtige Voraussetzungen mitbrachte, um die heimtückische Erkrankung zu bezwingen: "Ich war gesund und durch jahrelanges Kieser-Training auch in einem guten Zustand." Nur in seinem Kopf, in seinem "inneren Kalender", sei wohl nicht alles geordnet: "Mir fehlt ein Stück Leben. Ich bin quasi noch im Winter ins Krankenhaus und im Sommer wieder raus. Mit fehlt der Frühling."

"Mir war die ganze Zeit nicht klar, dass es so eng war"

Bei Ruthild Creutziger sind die Nachwirkungen der Krankheit trotz einfacheren Verlaufes bislang noch stärker. Ihr Geruchsinn und auch der Geschmackssinn sind stark beeinträchtigt. "Anfangs habe ich ziemlich viel versalzen. Inzwischen ist es schon etwas besser", sagt die Biologin. Zudem hat sie das Gefühl, schlechter zu hören als zuvor. Sie habe im Krankenhaus gespürt, dass die Ärzte auch nicht alles über das Virus wussten und ausprobieren mussten, wie sie vorgehen sollen, berichtet sie. Die Ärzte hätten praktisch begleitend zur Ausbreitung der Pandemie gelernt. Informationen über den Zustand ihres Mannes blieben anfangs vage: "Mir war die ganze Zeit nicht klar, dass es so eng war."

Trotz Koma hat Creutziger manchmal die Wahrnehmungsschwelle erreicht. Ihm sei kalt gewesen, als würde er im Winter irgendwo draußen sitzen. Er berichtet von einem Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins, als er später wieder wach war. In Träumen habe er den Eindruck gehabt, in einem Tunnel zu sein. Mehrfach seien ihm auch ganz nah Gesichter mit Masken erschienen. Und dann gab es noch jenen Augenblick, in dem das Licht immer mehr verschwand und die Dunkelheit zunahm. Mehrfach versuchte man ihn aus dem Koma zurückzuholen, bis es am 6. Mai schließlich gelang. Später hätten ihm Ärzte versichert, dass sie stolz darauf sind, ihn durchgebracht zu haben.

Seine Genesung empfindet er nun als Wiedergeburt, den 6. Mai will er fortan als zweiten Geburtstag im Jahr feiern. Seine Einstellung zum Leben habe sich noch einmal etwas geändert, sagt er: "Mich hat früher das eine oder andere aufgeregt. Das ist nun alles nebensächlich." Dem Gesundheitswesen stellt er Bestnoten aus, die Freundlichkeit der Ärzte und Schwestern bleibt ihm für immer im Gedächtnis. Keiner sollte bei dem Virus sorglos sein, sagt Creutziger. Corona-Leugner und Demonstranten gegen die Maskenpflicht empfindet er als irrational. "Ich will niemanden Vorschriften machen. Ich kann nur sagen: So ist es mir ergangen."

Für Ruthild Creutziger ist der 4. April 2020 ein Schicksalstag für die ganze Familie. Als ihr Mann an die Beatmungsmaschine musste, habe die Tochter der Familie per Notkaiserschnitt ein Kind entbunden. "Das alles war hart. Ich hatte aber immer das Gefühl, dass es gut ausgeht."

Im selbst geschaffenen Kalender an der Wand in Creutzigers Wohnung ist dieser Tag noch nicht markiert. Der Fotograf hat für seine Kalender über Cuba und die Basare Marokkos Preise gewonnen. Anfang 2020 erhielt er vom Grafischen Club Stuttgart sogar den Grand Prix. "Macropolis 2020" - so der Titel des Kalenders - zeigt, wie Bakterien seine im Keller gelagerten Diapositive angegriffen und die Motive verändert haben. Die Fotos hat er mit Sprüchen Salomos betitelt. Unter einer Aufnahme von einem Jachthafen auf Mallorca heißt es: "Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit." (dpa)

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