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Turów - und die Sorgen seiner Nachbarn

Eine Online-Debatte an diesem Freitag hat die Probleme um das Kraftwerk und die Grube in Polen benannt. Doch Lösungen gestalten sich schwierig.

Von Irmela Hennig
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Das Kraftwerk und die Grube von Turow sorgen insbesondere die tschechische Seite. In Polen hingegen stehen 15.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel.
Das Kraftwerk und die Grube von Turow sorgen insbesondere die tschechische Seite. In Polen hingegen stehen 15.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. © Wolfgang Wittchen (Archiv)

Ein Landwirt, der sechs Kühe schlachten musste, weil er nicht genug Wasser für sie hatte. Eine Familie, die zum Wäsche waschen zu den Eltern nach Liberec (Reichenberg) fährt, weil es daheim nicht genug Wasser gibt. Ein Wald, der völlig vertrocknet ist. Milan Starec aus dem tschechischen Vaclavice (Wetzwalde) kann viele Beispiele erzählen, wenn es darum geht, wie der polnische Tagebau Turów bei Bogatynia (Reichenau) den Wasserhaushalt im Dreiländereck beeinflusst. Um zu verhindern, dass ein Tagebau während des Betriebs überflutet wird, muss Grundwasser großräumig abgesenkt werden. Das ist eine übliche Praxis, auch in den Tagebauen der Lausitz. 

In der Region rund um Turów handelt es sich um rund 40 Liter pro Sekunde, die abgepumpt werden. Das zumindest geht aus Daten des Europäischen Umweltbüros hervor, ein Dachverband von über 140 europäischen Umweltorganisationen. Die Folge: "Familien kämpfen mit Wassermangel und es gibt keine gute und schnelle Lösung dafür", meint Milan Starec. Am Freitagnachmittag äußerte er seine Bedenken bei einem Online-Austausch zum Tagebau. Er nahm als Vertreter vieler Menschen der tschechischen Region an der Diskussion mit Politikern, Umweltschützern und interessierten Bürgern teil. 

Betreiber will 25 Jahre baggern

Um 70 Meter sei der Grundwasserspiegel in der Gegend schon gesunken, sagte Pavel Branda, Verteter der Liberecer Region bei der EU. Und er wird vielleicht weiter schwinden, fürchten zumindest viele Tschechen und auch einige Sachsen. Anlass für die Sorge, und die Internet-Debatte, ist die Verlängerung der 1994 erstmals erteilten Lizenz für den Tagebau Turów. Polens Klimaminister Micha Kurtyka hatte dies im März entschieden. Die aktuelle Betriebserlaubnis wäre am 30. April 2020 ausgelaufen. Auch die Breslauer Umweltbehörde hatte zugestimmt. Die Erlaubnis gilt erst einmal für die nächsten sechs Jahre. Das Abbaufeld muss zunächst um mehr als die Hälfte reduziert werden. 

Eigentlich wollte PGE in den nächsten 24 Jahren eine Fläche von 3.900 Hektar in Anspruch nehmen. Zwischen 2020 und 2038 sollten jährlich neun bis 11,5 Millionen Tonnen Kohle abgebaut werden, bis 2044 wären das jährlich 3,5 bis sieben Millionen Tonnen. Diese Ziele sind mit den aktuellen Einschränkungen vorerst so nicht umzusetzen. Doch der Energiekonzern hat erklärt, man bemühe sich um eine 25-jährige Genehmigung - das bedeutet, bis das Feld erschöpft ist und die Betriebserlaubnis des Tagebaus endet. 

Widerstand gegen Turow-Pläne

Gegen die Pläne gibt es schon lange Widerstand. Der kommt aus Deutschland, aber vor allem aus Tschechien. Dort fürchten die Bewohner, die Trinkwasserversorgung könnte durch den weiteren Kohleabbau und die damit verbundene Grundwasserabsenkung gefährdet sein. 30.000 Menschen im Raum Hrádek nad Nisou (Grottau) und im Friedländer Zipfel seien betroffen. 13.000 von ihnen haben sich Anfang dieses Jahres mit einer Petition an die Europäische Union gewandt. Sie fordern darin das Ende des Tagebaus. Ihrer Meinung nach verstößt das polnische Vorgehen gegen EU-Gesetze und Regelungen, darunter die Europäische Wasserrahmenrichtlinie. Durch die Corona-Krise sei das Anliegen der Petition allerdings etwas nach hinten verschoben worden, wie Anna Cavazzini in der Internetdebatte sagte. Sie sitzt für die Partei Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament. Sie schlägt vor, dass Polen, Tschechien und Deutschland gemeinsam eine Kohleausstiegsregion werden sollten. 

Pawel Branda aus Liberec kritisierte, dass Tschechien seit sechs Monaten auf eine Antwort der Europäischen Kommission wartet, was das Thema Turów und Grundwasser angeht. Auch die Deutsche Cavazzini sieht dieses Problem und sagte, sie hoffe, dass es nun bald vorangehe. Ihren Informationen zufolge werde der Sachverhalt geprüft. Sie gab auch an, dass die Grünen mehr Druck auf die sächsische Landesregierung machen wollen. "Sie sollte sich stärker einbringen." Allerdings räumte Anna Cavazzini ein, dass es schwierig sei, Polen zu kritisieren, während auch in Deutschland weiter Kohle gefördert und verstromt werde. "Aber immerhin hat Deutschland ein Ausstiegsdatum", so Cavazzini.

15.000 Arbeitsplätze in Gefahr

Doch auf genau den Umstand, dass in Deutschland noch lange Kohle abgebaut wird, verweisen nun Politiker und Bürger aus der Grenzregion in einem Schreiben an die EU. Die Landräte von Zgorzelec, Lubań und Bolesławiec, mehrere Bürgermeister und Ortsvorsteher sowie Mitglieder aus Kirchgemeinden, von Pfadfinderorganisation und weitere Einwohner haben ebenfalls eine Petition gestartet und sie an Ursula von der Leyen, die Präsidentin der EU-Kommission, geschickt. Sie kritisieren darin unter anderem, dass von tschechischer und deutscher Seite ein Auslaufen des Tagebaus Turów innerhalb der nächsten zehn Jahre gefordert werde. 

Allerdings würden in beiden Ländern, in Grenznähe zu Polen, deutlich größere Tagebau betrieben – so im Lausitzer Revier und im Raum Most. In Deutschland werde die Förderung noch Jahrzehnte weitergehen. Dort werde langfristig daran gearbeitet, alternative Arbeitsplätze für die Bergleute und andere Beschäftigte sowie künftige Generationen zu schaffen. Diese Zeit fordern die Unterzeichner des Schreibens auch für polnische Kumpel und Kraftwerker. Sie verweisen auf 5.000 direkte Mitarbeiter und weitere 10.000 Jobs bei Dienstleistern und anderen mit dem Tagebau verbundenen Unternehmen. Sie bitten zudem um Hilfe bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze für die Zeit nach der Kohle. 

Polen unterschreibt Klima-Ziele nicht

Auch die EU-Abgeordnete Anna Cavazzini fordert eine gerechte Transformation mit Blick auf die Energiewende. Die Organisatoren des Internet-Treffens verweisen dabei darauf, dass Polen acht Milliarden Euro aus dem europäischen Fonds für einen gerechten Wandel erhalten könne. Allerdings habe Polen als einziges EU-Mitglied die Ende 2019 ausgehandelten gemeinsamen Klimaschutzziele bislang nicht unterschrieben.
Der Energiekonzern, Tagebau- und Kraftwerksbetreiber PGE, hält an seinen Plänen fest, die Grube Turów bis 2044 zu betreiben und hat sich der polnischen Petition nun angeschlossen. PGE verweist auf 60.000 Menschen, deren Existenz in der strukturschwachen Region an der Kohle hänge. Gemeint sind neben direkten Mitarbeitern und Dienstleistern auch deren Familien. 

Unterstützung kommt von Anna Zalewska (PiS), Mitglied des Europäischen Parlaments. Sie sagte polnischen Medien: "Die Erwartung, dass wir die einzigen in Europa sind, die Braunkohlebergwerke innerhalb von zehn Jahren schließen, während andere Länder - reicher als Polen - viel mehr Zeit dafür haben, ist ungerechtfertigt und unfair."

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