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Kultwirt startet mit 73 noch mal neu

Johannes Witoschek hat das Nikolai-Café in Görlitz übernommen. Und will noch lange bleiben.

Von Ingo Kramer
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Johannes Witoschek sitzt vor dem Nikolai-Café. Sein neues Lokal befindet sich gleich gegenüber der Jesus-Bäckerei.
Johannes Witoschek sitzt vor dem Nikolai-Café. Sein neues Lokal befindet sich gleich gegenüber der Jesus-Bäckerei. © Nikolai Schmidt/Archiv

Mit 73 schon in den Ruhestand? Für Johannes Witoschek kommt das gar nicht infrage. „Wenn es gesundheitlich geht, mache ich weiter bis 80, warum denn nicht“, erklärt der stadtbekannte Wirt, der einst für die DSU und die CDU im Stadtrat saß. „Arbeiten, so lange es geht, ist ein Jungbrunnen“, sagt Witoschek. Er habe Spaß daran und will auch weiter am öffentlichen Leben teilhaben: „Es ist doch wichtig für die geistige Fitness, eine Struktur im Tagesablauf zu haben und nicht zu vergammeln.“

Hiobsbotschaft kam im Januar

Gesundheitlich geht es ihm jetzt deutlich besser: Im Februar hatte er seine zweite Hüft-OP, inzwischen läuft er wieder ohne Krücken und ist schmerzfrei. Allerdings ereilte ihn Ende Januar eine Hiobsbotschaft. Das Haus in der Brüderstraße, in dem er in den vergangenen neun Jahren die „Altstadtkrone“ betrieben hatte, war an einen polnischen Arzt verkauft worden – und der teilte ihm nun mit, dass er ihm früher oder später eine Eigenbedarfskündigung schreiben werde. Wann, war noch offen, was der neue Besitzer in den Räumen machen will, ebenfalls. „Zumindest keine Gastronomie mehr“, weiß Witoschek.

Doch am Ende wartete er die Kündigung nicht ab, sondern ergriff selbst die Initiative: „Ich hatte gehört, dass die bisherigen Betreiber des Nikolai-Cafés aufhören wollen.“ Er suchte den Kontakt – und beide Seiten wurden sich schnell einig. So kam es, dass er in der Corona-Zeit nach und nach umzog und am 16. Mai, als die Restaurants endlich wieder aufmachen durften, das Nikolai-Café, schräg gegenüber vom Nikolaiturm und gleich neben der Jesus-Bäckerei, wieder eröffnete.

Beide Kellnerinnen mitgenommen

Manches hat er übernommen, den Tresen, Teile der Küche, die Tische, auch den langen Büffet-Tisch am Fenster. Anderes hat er aus der Brüderstraße mitgebracht, vor allem seine beiden Kellnerinnen, aber auch die Stühle und einige Küchenausstattung. Die Kristalllüster hat er rausgenommen, stattdessen setzt er auf indirekte Beleuchtung. Und auf viel Grün, innen wie außen. Ein Apfel- und ein Sauerkirschbaum stehen nach wie vor in großen Töpfen vor dem Café, der Kirschbaum hängt über und über voll mit sauren Früchten.

Die Speisekarte hat sich verändert – jedenfalls teilweise. Kaffee und Kuchen stehen nach wie vor im Mittelpunkt, der Kuchen kommt jetzt vom Bräsel-Bäcker aus Rauschwalde. Doch Witoschek bietet auch Fassbier an – und mehr herzhafte Speisen als die Vorbetreiber. Piroggen gibt es bei ihm, wechselnde Suppen, dazu viele saisonale Gerichte. Den winterlichen Brunch – einmal im Monat an einem Sonntag – will er fortführen, denn der kam bei den Vorbetreibern gut an. Die hatten das Café auch eröffnet, um den Gästen ihrer Ferienwohnungen in der Bogstraße einen Frühstücksort anzubieten. „Das hat aber nicht so gut funktioniert, viele Gäste haben sich mit dem Frühstück selbst gekümmert“, sagt Heidrun Töpfer, die mit ihrem Mann die Ferienwohnungen auch weiter betreibt.

Schon seit 1973 selbstständig

Für Witoschek, der seit 1973 selbstständig ist und Mitte der 1990er-Jahre von der Raumausstattung in die Gastronomie wechselte, ist es das sechste Lokal. Vom Publicity in der Elisabethstraße über das Blues in der Annengasse kam er im Jahr 2000 auf den Untermarkt, betrieb dort zunächst die Kleine Marktwirtschaft, ab 2007 den Frenzelhof und schließlich die Altstadtkrone.

Und nun der Schritt hinaus aus der Altstadt. Anfangs war er deshalb schon ein bisschen skeptisch, das gibt er gern zu. Er wohnt selbst in der Altstadt – und konnte sich gar nicht richtig vorstellen, woanders Gastronomie zu machen: „Aber der Standort hier ist wirklich sehr schön, man hat Himmel und Weite.“ In der engen Brüderstraße sei er ja schon manchmal etwas neidisch auf die Gastronomen gewesen, die im Frühling zeitig und im Herbst noch lange Sonne abbekamen. Das hat er jetzt auch.

Räte haben ihn noch nicht entdeckt

Andererseits fehlt ihm der tagesaktuelle Informationsfluss aus der Brüderstraße. Dort kamen Bürgermeister und Stadträte auf dem Weg ins Rathaus oft bei ihm vorbei. Das vermisst er, die Räte haben ihn am neuen Standort offenbar noch nicht gefunden. Die Touristen hingegen schon. Aber es sind nicht die Bus-Touristen, die es immer eilig hatten, weil sie schnell zurück zum Bus mussten. Die, die sich zum Nikolai-Café finden, haben Zeit. Und die Nikolaivorstädter ebenfalls, sie verstehen das Lokal als ihr Stadtteil-Café. „Viele freuen sich, dass jetzt auch unter der Woche offen ist“, sagt Witoschek. Aktuell hat er von 12 bis 18 Uhr geöffnet, nur der Donnerstag ist Ruhetag. Aber er kann sich vorstellen, die Öffnungszeiten je nach Bedarf der Gäste zu ändern, beispielsweise abends zu verlängern. Und das noch möglichst viele Jahre.

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