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Grenzen dicht: Odyssee durch Europa

Tilo Nixdorf will eigentlich nur seine Schwiegermutter nach Hause fahren. Doch dann bescherte das Coronavirus dem Neugersdorfer eine echte Strapaze.

Von Romy Altmann-Kuehr
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Schwiegermutter Viera ist glücklich, dass sie wieder zu Hause in der Slowakei angekommen ist. Tilo Nixdorf stand da die Odyssee der Rückfahrt noch bevor.
Schwiegermutter Viera ist glücklich, dass sie wieder zu Hause in der Slowakei angekommen ist. Tilo Nixdorf stand da die Odyssee der Rückfahrt noch bevor. ©  privat

Wenn Viera Cimbakova ihre Tochter und den Schwiegersohn in Neugersdorf besucht, ist das für die Familie immer etwas Besonderes. Denn sie lebt weit entfernt in der Slowakei nahe der ukrainischen Grenze. Ihr letzter Besuch hatte allerdings einen traurigen Hintergrund, sie kam, um an einer Beerdigung teilzunehmen. Die Mutter ihres Schwiegersohns war verstorben. Ihr die letzte Ehre zu erweisen, das wollte sich Viera Cimbakova nicht nehmen lassen. 

So war sie extra aus der Slowakei angereist. Am 6. März fand die Beerdigung statt, eine Woche später wollte Viera wieder in die Heimat reisen. Der Schwiegersohn wollte sie zum Bahnhof nach Decin in Tschechien bringen. Von dort ginge es für Viera mit dem Zug weiter nach Prag und nach einem Umstieg direkt mit dem Fernzug in die Slowakei zu ihrem Heimatort. "So haben wir das in den letzten Jahren immer gemacht, wenn meine Schwiegermutter bei uns zu Besuch war", erzählt Tilo Nixdorf. 

Doch dann kam Corona und damit die überraschende Grenzschließung nach Tschechien. Plan B musste her. "Nach Tschechien konnte ich meine Schwiegermutter ja nicht mehr fahren und auch die Fernzüge in die Slowakei hat die tschechische Bahn gestrichen." Hier bleiben konnte Schwiegermutter Viera auch nicht. Wegen ihrer Krebserkrankung hatte sie einen wichtigen Untersuchungstermin in der Heimat. 

Plan B muss her

Plan B lautete also: die Schwiegermutti über Polen bis zur slowakischen Grenze fahren. Dort würde sie von einem Bekannten aus der Slowakei abgeholt und nach Hause gebracht. Dieser Plan funktioniert ganz gut - bis zur slowakischen Grenze. 550 Kilometer hatten Tilo Nixdorf und seine Schwiegermutter da schon zurückgelegt. Am 14. März starten sie nachmittags um 17 Uhr in Neugersdorf, nachdem Tilo Nixdorf seine Schicht in der Backstube beendet hat. 

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"Bei Görlitz kamen wir noch gut über die Grenze", schildert der Neugersdorfer. Dort weisen zwar schon Schilder darauf hin, dass es medizinische Kontrollen gebe. "Grenzpolizisten haben auch vereinzelt Autofahrer rausgewunken und Fieber gemessen", hat Tilo Nixdorf beobachtet. Er und seine Schwiegermutter können die Grenze aber ungehindert passieren. Quer durch Polen geht es bis an die slowakische Grenze. Rund einen Kilometer vor der Grenze gibt es dort die letzte Möglichkeit an einem Parkplatz zu halten, schildert Tilo Nixdorf. Dort hätte er die Schwiegermutter absetzen können, den Rest hätte sie laufen müssen bis über den Grenzübergang. 

"Das wollte ich ihr nicht zumuten. Es waren sechs Grad minus, sie ist krank und geht am Stock." Also entscheidet sich Tilo Nixdorf fix über die Grenze zu fahren, sie dort an einer Wendeschleife abzusetzen, sodass sie zu dem Bekannten ins Auto umsteigen kann. So macht er es dann auch, der Wendepunkt ist nur 50 Meter hinter der Grenze. Doch als er umdreht und zurück nach Polen will, halten ihn Grenzpolizisten davon ab. Polen hat die Grenzen dicht gemacht, lässt keinen mehr rein, heißt es. Tilo Nixdorf erklärt ihnen die Lage. Er erzählt von der kranken Schwiegermutter, die er nicht zu Fuß gehen lassen wollte. Und, dass er ja gar nicht ausgestiegen ist, sondern nur auf der Durchreise. Egal, sagen die Polizisten. Gesetz ist Gesetz. 

Gesetz ist Gesetz

Hinweisschilder an der Grenze zu Polen informierten über medizinische Kontrollen. 
Hinweisschilder an der Grenze zu Polen informierten über medizinische Kontrollen.  © privat/Nixdorf

Tilo Nixdorf bleibt nichts anderes übrig, als erst einmal mit zu seiner Schwiegermutter nach Hause zu fahren. Hier kommt er nicht weiter. Mitten in der Nacht kommen sie an, er legt sich ein paar Stunden hin. Dann ruft er beim Auswärtigen Amt an, was er jetzt tun kann. "Dort war man sehr freundlich und hilfsbereit", lobt er. Man rät ihm, durch die Slowakei, über Österreich und Bayern wieder nach Hause zu fahren. "Ich sollte mich aber beeilen, sagte man mir. Denn bald könnte auch dort alles dicht sein." 

Tilo Nixdorf hört auf den Rat und setzt sich am Sonntag früh um halb zehn ins Auto. Vom Wohnort der Schwiegermutter direkt an der ukrainischen Grenze geht es quer durch die Slowakei rüber nach Österreich, von dort nach Bayern und über Regensburg zurück nach Sachsen. Über mehr als 1.700 Kilometer führt die Strecke - eine ziemliche Strapaze, zumal der Neugersdorfer selbst gesundheitlich angeschlagen, im letzten Jahr etliche Operationen durchmachen musste. "Die Grenze zwischen Österreich und Bayern war schwer bewacht. Da standen Polizisten mit Maschinenpistolen", erzählt Tilo Nixdorf. "Das hat mir schon einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Aber ich durfte durchfahren." 

Montag früh wieder auf Arbeit

Montagnacht kommt er wieder zu Hause in Neugersdorf an. Insgesamt hat Tilo Nixdorf in den anderthalb Tagen mehr als 2.300 Kilometer zurückgelegt. Und um 9 Uhr steht er am Montag nach ein paar Stunden Schlaf wieder in der Backstube bei der Bäckerei-Füssel in der Ebersbacher Kaufland-Filiale. "Mein Chef hätte bestimmt auch Verständnis gehabt, wenn ich nicht erschienen wäre", sagt Tilo Nixdorf. "Er ist da sehr sozial eingestellt. Aber ich wollte es versuchen - und es hat ja geklappt." Nixdorf ist in der Bäckerei Praktikant zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt, hofft auf einen Job. Da wollte er nichts riskieren.

Quer durch die Slowakei und Österreich führte Tilo Nixdorf der Rückweg über 1.700 Kilometer bis nach Neugersdorf. 
Quer durch die Slowakei und Österreich führte Tilo Nixdorf der Rückweg über 1.700 Kilometer bis nach Neugersdorf.  © privat/Nixdorf

Seine Schwiegermutter musste sich unterdessen zu Hause in der Slowakei in häusliche Quarantäne begeben. "Denn sie ist ja aus Deutschland eingereist, wo es schon Corona-Fälle gegeben hat", erklärt Tilo Nixdorf. "Das wird dort sehr streng gehandhabt." Nachbarn versorgen die 71-Jährige mit dem Nötigsten. Wann sie Tochter und Schwiegersohn mal wiedersehen kann - das ist in der aktuellen Lage völlig unklar. 

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