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Mit diesen Ideen will Dresden Chemnitz und Zittau schlagen

Auch Dresden will 2025 Europas Kulturhauptstadt werden. Ausgerechnet die Metropole der Wutbürger will dafür zur Stadt des konstruktiven Dialogs werden.

Von Marcus Thielking
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Das Foto von Andreas Mühe, das die Semperoper als Plakatmotiv zur Oper „Die Hugenotten“ nutzt, ziert auch das Bewerbungsbuch von Dresden: Eigentlich Gegensätzliches wie die Ultras von Dynamo und die Hochkultur sucht einen Dialog.
Das Foto von Andreas Mühe, das die Semperoper als Plakatmotiv zur Oper „Die Hugenotten“ nutzt, ziert auch das Bewerbungsbuch von Dresden: Eigentlich Gegensätzliches wie die Ultras von Dynamo und die Hochkultur sucht einen Dialog. © Andreas Mühe (Archiv)

Drei Städte aus Sachsen bewerben sich um den Titel als Kulturhauptstadt Europas 2025: Chemnitz, Dresden und Zittau. In gut drei Wochen, am 12. Dezember, trifft eine Jury eine Vorauswahl. Am Ende der Vorauswahl benennt diese dann per Shortlist einige deutsche Städte. Die Auserwählten können ihre Bewerbung bis Sommer 2020 detaillierter ausarbeiten.

In loser Folge stellt die SZ bis dahin die Konzepte der drei Bewerber vor und analysiert anhand der Bewerbungsbücher, den sogenannten BID-Books, deren Stärken und Schwächen. Heute: Dresden. Die sächsische Hauptstadt will unter dem Motto „Neue Heimat“ zum Modell für eine europäische Stadtgesellschaft werden, in der trotz großer Umwälzungen ein friedliches und freiheitliches Miteinander möglich ist.

Dresdens Stärken

  • Wie kaum eine andere Stadt in Europa steht Dresden im Fokus von Protesten, Diskussionen und politischen Veränderungen. Dabei geht es um grundsätzliche Fragen des demokratischen Zusammenlebens. Die Dresdner Bewerbung greift diese Situation mutig auf und will die Reibungen in positive Energie umwandeln. Ausgehend von einem weiten Kulturbegriff – zu dem auch Bildung, Stadtentwicklung und Sport zählen – will sie soziokulturelle Projekte umsetzen, die zu einer neuen Form des Miteinanders beitragen. Wenn das gelänge, hätte Dresden eine Chance, die international negativen Schlagzeilen umzumünzen in das Image einer Stadt, die aus Konflikten gelernt hat. Sie könnte eine Vorreiterrolle werden für demokratische Umbrüche, die weltweit stattfinden.
  • Die Dresdner Bewerbungsmappe ist professionell gemacht, wirkt in der Gestaltung hochwertig, und das Konzept liest sich inhaltlich schlüssig und durchdacht. Zwar klingt der Text oft ziemlich theoretisch und strotzt dabei von neumodischen Wortschöpfungen – „X-Kultur“, „Power of Strangeness“, „Transdisziplinarität“, „Common Ground“ –, aber diese Formulierungen richten sich nicht an ein breites Publikum, sondern an eine Jury aus internationalen Fachexperten. Entscheidend ist, dass das Motto „Neue Heimat“ konsequent mit komplexen Ideen untersetzt wird.
  • Ein großes Plus ist, dass die Ideen aus der Bewerbungsmappe sich zu einem großen Teil auch dann fortführen und umsetzen lassen, wenn es mit dem Titel nichts wird. Viele Projekte werden schon jetzt in Zusammenarbeit mit Stadtteilen, Initiativen, Kulturvereinen und Bürgern entwickelt. Die Idee von Dresden als Debattenhauptstadt ist nicht neu und wird auch von etlichen andere Institutionen in der Stadt längst praktiziert. Wie auch immer die Jury entscheidet, bleibt also die Bewerbung um den Titel Kulturhauptstadt ein Gewinn.

Dresdens Schwächen

  • Während die Bewerbung die zerstrittene Stadt wieder einen will, sorgt sie selbst für Konflikte. Dabei gibt es Kritik von ganz links ebenso wie von ganz rechts: Die einen sehen in dem Bemühen um Dialog eine Verharmlosung rechtsextremer und fremdenfeindlicher Positionen. Für die anderen ist das Konzept der Bewerbung ein typisches Beispiel für „soziokulturelle Klientelpolitik“, wie sie die sächsische AfD in ihrem Wahlprogramm kritisiert. Eine geplante Podiumsdiskussion über Kunstfreiheit mit dem Theaterintendanten Joachim Klement und dem AfD-Politiker Bernd Lommel stieß schon im Vorfeld auf heftige Kritik aus dem linken Lager. Die Diskussion wurde kurzfristig abgesagt, da die AfD laut Kulturhauptstadtbüro auf Absprachen nicht reagierte. Zuvor hatte Lommel auf seiner Facebook-Seite sich über ein buntes Werbevideo zur Bewerbung lustig gemacht: „Wenn das das Image ist, dann gute Nacht.“ Von einer guten Debattenkultur scheint die Stadt weit entfernt zu sein.
  • Dresdens Idee, die aktuellen gesellschaftlichen Konflikte zum Thema zu machen, ist zwar klug – aber andere Bewerberstädte hatten sie ebenfalls. Tatsächlich haben sogar die meisten der sieben Mitbewerber diesen Gedanken mehr oder weniger konsequent ebenfalls zu einem Leitmotiv erklärt. Besonders originell und einzigartig ist die Idee also nicht.
  • Eine vermeintliche Stärke ist zugleich die größte Schwäche: Unbestritten ist Dresden eine Hochkulturstadt von Weltrang, mit Semperoper, Galerie Alte Meister und historischer Architektur. Das könnte im Urteil mancher Jurymitglieder jedoch sogar ein Minuspunkt sein, um die falsch verstandene Botschaft zu vermeiden, Dresden bekäme als Heile-Welt-Barockstadt den Titel trotz der unschönen Bilder, die zuletzt um die Welt gingen.

Fazit

Dresden hat eine Bewerbung auf hohem Niveau vorgelegt, die sich auf jeden Fall sehen lassen kann und im Vergleich zu den Mitbewerbern durchaus gute Chancen hat. Entscheidend wird sein, ob die Jury die Idee glaubwürdig findet, aus der Zank-und-Wutbürger-Hauptstadt eine Hauptstadt des konstruktiven Dialogs zu machen. Mit gewissen Zweifeln ist zu rechnen.