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Was nach dem Eklat im Pflegeheim passiert

Im Juni 2019 bringen Personalnot und pflegerische Missstände das Oderwitzer Seniorenheim bundesweit in die Schlagzeilen. Was hat sich seitdem getan?

Von Jana Ulbrich
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Petra Niebler (l.) leitet jetzt das Seniorenheim in Niederoderwitz. Seit dem Aufnahmestopp vor einem Jahr hat sich viel geändert.
Petra Niebler (l.) leitet jetzt das Seniorenheim in Niederoderwitz. Seit dem Aufnahmestopp vor einem Jahr hat sich viel geändert. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Es riecht nicht mehr nach Urin! Das ist das erste, das mir auffällt, als ich das Senioren- und Pflegeheim in Niederoderwitz zum ersten Mal nach einem Jahr wieder betrete. Es ist noch dasselbe Haus, dasselbe Foyer mit denselben roten Sitzgruppen. Aber der Eindruck ist jetzt ein anderer. Viel freundlicher.

Vor einem Jahr war nach meinen Recherchen hier ein Pflege-Skandal öffentlich geworden: In dem Haus mit Platz für 200 Bewohner haben jahrelang Personalnot, Fachkräftemangel und pflegerische Missstände geherrscht - von der Heimleitung und dem privaten Betreiber ignoriert, von den staatlichen Aufsichtsbehörden übersehen oder geduldet. 

Im vergangenen Juni hatte die sächsische Heimaufsicht - nach zahlreichen Hinweisen -reagiert und einen sofortigen Aufnahmestopp für das Haus verfügt - eine landesweit sehr seltene und nur im äußersten Notfall angewandte Maßnahme. Heimleiter und Pflegedienstleiterin wurden vom Geschäftsführer beurlaubt.

"Hier weht jetzt ein frischer Wind"

Und heute? Ein Jahr später? Im Foyer eilt mir eine junge Kollegin entgegen. Sie arbeitet hier als Alltagsgestalterin, sagt sie, und sie habe einer Bewohnerin versprochen, sie spazieren zu fahren. "Ich muss mich beeilen, die alte Dame wartet schon", ruft die junge Frau im Vorübergehen. Dabei wirkt sie fröhlich, kein bisschen gehetzt.

Oben im Wohnbereich 4 sind sie gerade mit dem Essen fertig. Beim Abräumen scherzen die Mitarbeiter mit den Bewohnern und spielen Ratespiele: "Ein Essen mit K - was gab es denn heute?" Ein bisschen Freude, Unterhaltung und Gedächtnistraining nebenbei. Die Augen der Pflegekräfte blinzeln freundlich. Manche haben sich ein Smily auf den Mundschutz gemalt.

Eine kleine Geste nur. Aber eine, die sofort zeigt, dass sich hier offenbar so einiges verändert hat. "Hier weht jetzt ein richtig  frischer Wind!" Die das sagt, ist Petra Niebler, eine couragierte, resolute und freundliche Frau, die das "R" nicht wie die Oberlausitzer rollt, sondern wie die Franken, und die jetzt den Auftrag hat, das Heim wieder auf Vordermann zu bringen.

Der Bau stammt noch aus DDR-Zeiten: viele Doppelzimmer auf langen Fluren, die Toilette auf dem Gang. Das wird sich ändern: Das ganze Haus wird jetzt schrittweise saniert.
Der Bau stammt noch aus DDR-Zeiten: viele Doppelzimmer auf langen Fluren, die Toilette auf dem Gang. Das wird sich ändern: Das ganze Haus wird jetzt schrittweise saniert. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Petra Niebler tut das mit viel Herzblut. Das spürt, wer sie erlebt und mit ihr spricht. "Ich möchte ein Haus, in dem die Mitarbeiter gerne arbeiten und die Bewohner gerne leben - nicht mehr und nicht weniger", sagt die 50-Jährige. Bei ihr beginnt das schon mit scheinbaren Kleinigkeiten: Damit, dass die Bewohner im Bereich 1 jetzt einen Fernseher in ihrer Sitzecke haben, dass aus einem Lautsprecher im Foyer dezente Radiomusik läuft, dass draußen auf Beeten Blumen blühen. Die Atmosphäre im Haus ist angenehmer geworden.

"Assistentin der Geschäftsleitung" steht auf dem Namensschild an ihrem dunkelblauen Blazer. Heinz Schumann, Bauunternehmer und privater Betreiber dieses und mehrerer anderer Pflegeheime, hat Petra Niebler aus Nürnberg geholt, um das angekratzte Image seines Unternehmens wieder aufzupolieren.

Sie ist eine top-ausgebildete Fachkraft, gelernte Krankenpflegerin mit jahrelanger Berufserfahrung, Stationsleiterin, studierte Pflegemanagerin. Die Organisationsstrukturen und Arbeitsabläufe im Heim hat sie inzwischen komplett umgekrempelt. "Die Mitarbeiter können jetzt viel effektiver arbeiten und haben mehr Zeit für das Wesentliche", sagt sie.

Als eine wesentliche Veränderung sieht Petra Niebler es auch, dass die Mitarbeiter jetzt viel besser Hand in Hand arbeiten: Pflegefachkräfte, Pflegehilfskräfte, Alltagsgestalter, deutsche, tschechische, polnische und albanische. "Was das Personal jetzt hier leistet, das ist sehr bemerkenswert", sagt die neue Chefin. "Da ziehe ich vor jedem den Hut." 

Aufnahmestopp ist noch nicht aufgehoben

Denn nach wie vor hat das Pflegeheim zu wenig Personal. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sich die Zahl der Pflegebedürftigen seit dem Aufnahmestopp vor einem Jahr auf 141 Bewohner reduziert hat. Es fehlen aktuell vier ausgebildete Pflegefachkräfte, bestätigt Petra Niebler. 

Aber sie sei dran, sagt sie. Inzwischen würden auch wieder Bewerbungen eingehen. Sie habe jetzt sogar eine ehemalige Mitarbeiterin wieder eingestellt, die vor einiger Zeit gekündigt hatte. "Die Stimmung ist jetzt wieder sehr positiv", versichert Petra Niebler. Man spürt es auch.

Der Aufnahmestopp ist noch nicht wieder aufgehoben - und wird es auch nicht, ehe nicht die vier fehlenden Fachkräfte eingestellt sind. Monika Pittasch von der sächsischen Heimaufsicht bestätigt aber, dass das Haus auf einem guten Weg sei. Die vor einem Jahr festgestellten Mängel seien zum überwiegenden Teil abgestellt. Und für anlassbezogene Prüfungen würde derzeit keine Veranlassung bestehen. 

Corona stoppt Umbau-Arbeiten

Die oberen beiden Etagen des Seniorenheims sind inzwischen leer gezogen. Eigentlich sollten jetzt hier die Bauleute am Werk sein. Doch Corona hat die Arbeiten erst einmal gestoppt. Künftig soll es in dem Haus, dessen Bau noch aus DDR-Zeiten stammt, keine Doppelzimmer mit Waschbecken neben der Tür und einer einzigen Toilette für alle auf dem Gang mehr geben. "Das ganze Haus wird jetzt schrittweise umgebaut", erklärt Petra Niebler. Ganz oben lässt sich schon ahnen, wie es hier mal aussehen wird, wenn alles fertig ist: 140 Einzelzimmer mit eigenen Sanitärzellen wird es dann geben und nur noch zehn Doppelzimmer, auch die komfortabler als bisher.

Petra Nieblers Handy klingelt. Der Hausmeister ist dran. "Ich komme sofort", sagt sie und läuft auch gleich los. Auch das scheint neu zu sein: Dass die Chefin jederzeit für jeden ansprechbar ist. 

Voriges Jahr um diese Zeit hatte mir ein Pfleger nach den ersten Zeitungsberichten über die Heim gesagt: "Endlich haben wir schlechte Presse". Seine Worte haben nach Erleichterung geklungen und nach Hoffnung, dass sich nun vielleicht etwas ändert. Ich würde es den Mitarbeitern und Heimbewohnern sehr wünschen.

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