Egal, wohin man in der Opernnacht lauschte: Zwei Eindrücke spiegelten die meisten Gäste des 15. Semperopernballes wider: Niemandem hat die übliche Verleihung der ein, zwei, drei, vielen St. Georgs Orden gefehlt. Keiner vermisste die ein, zwei, drei, vielen Reden im Ballprogramm - Förmlichkeiten, die halt dazu gehörten, aber nicht den Unterhaltungswert der mindestens zweistündigen Eröffnungsgala steigerten. Und: Das Feiern nach dem nun deutlich bunteren Programm erschien vielen Ballbesuchern entspannter denn je. Einerseits, weil sich weniger Menschen an den neuralgischen Vergnügungspunkten drängten, andererseits, weil jeder Erleichterung empfand.
Die Anspannung vor dem Event war immens gewesen. Seit Ballchef Hans-Joachim Frey Ägyptens Staatspräsidenten Al-Sisi den Dresdner Ballorden überbracht hatte, überschlugen sich die Ereignisse: Die Moderatorin Judith Rakers sagte ab, ihre Nachfolgerin, Mareile Höppner, ebenfalls, SAP-Gründer Dietmar Hopp wollte nicht mehr geehrt werden, Unicef nicht mehr Charitypartner sein, mehrere Künstler baten um Auflösung ihrer Verträge. Peter Maffay knüpfte seinen Auftritt beim Mitternachtskonzert an die Bedingung, dass Frey sich nicht nur für seinen Fehlgriff entschuldigt, sondern Al-Sisi den Preis wieder aberkennt.
Bis hin zur Bedeutungslosigkeit reichten die Rückzieher. Fußballergattin Cathy Hummels, die wenigstens für die junge Debütantengeneration interessant gewesen wäre, meinte, ihren Namen besser nicht mit diesem Ball zu beschmutzen. Sogar Jenny Elvers hatte echt viel zu verlieren.
Die Stunde der Sternchen
Die ohnehin dürftige VIP-Gästeliste schrumpfte am Tag vor dem Ereignis bis zur Unkenntlichkeit. Die Dresdner Schauspieler Stephanie und Wolfgang Stumpf verschwanden stillschweigend davon, genau so wie die weltberühmte Opernsängerin Anna Netrebko. Immerhin blieb deren Ehemann, der Tenor Yusif Eyvazov im Programm. Hans-Joachim Freys osteuropäischer Künstlercast stand geschlossen hinter ihm und füllte das Galaprogramm mit hohem Niveau. Die Sensibilitäten, Diktatoren gegenüber, sind halt verschieden.
Nichts von all dem ließen sich die Fotografen am Roten Teppich anmerken. Sie brüllten genau so laut, um die Aufmerksamkeit der Prominenz zu erhaschen, wie in den vergangenen Jahren auch. Eine halbe Ewigkeit haben die Journalisten aus ganz Deutschland am Rand des Laufsteges gewartet und sich gefragt: Wer wird sich überhaupt noch im Blitzlichtgewitter drehen? Kurz vor Beginn des Programms ging es dann doch hoch her. Es war die Stunde der Sternchen.
Echte Stars lassen sich schon immer schwer nach Dresden bewegen. Dabei sind sie so wichtig - nicht nur als Zier des Ballzaren Frey. Sondern, um das zu erreichen, was dieser beabsichtigte, als er den St. Georgs Orden ins Spiel brachte: Aufmerksamkeit für den Ball, nicht nur in Dresden, nicht nur in Sachsen, nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt - und am besten darüber hinaus.
Das meinen die Ballgäste
Mit der umstrittenen Preisverleihung an einen Despoten hat er nicht nur geografisch Grenzen überschritten, und das zum wiederholten Mal. Als Wladimir Putin 2009 den Orden erhielt, hagelte es Kritik. Für Kopfschütteln sorgte 2017 die Huldigung des saudiarabischen Prinzen Salman al Saud - auch er ein "Brückenbauer" und "Hoffnungsträger". Er setze sich dafür ein, dass Frauen in seinem Land selbst Auto fahren dürfen, hieß es damals zur Verkündung der Personalie auf einer Pressekonferenz.
Doch was ist übrig geblieben von der Empörung, den Distanzierungen, den vielen Statements und gesetzten Zeichen? Und was blieb vom Ball? Unters Parkett lässt sich nichts kehren. Die Beteiligten haben sich dafür entschieden, die Schwierigkeiten der vergangenen beiden Wochen auch auf dem Ball anzusprechen. Mehr oder weniger deutlich ging es dabei um Fehler und den Aufruf zu einer fairen Streitkultur. Auch der MDR ging offensiv mit dem Thema um, zeigte sogar im Ballprogramm einen Beitrag, in dem der Sender die Vorgeschichte der Preisverleihung an Al-Sisi, seine Person und die Lage in Ägypten einordnet. "Keine gute Idee" und "Krasse Fehlentscheidung" nannte MDR-Moderator René Kindermann die Ordenübergabe. Dass der MDR im Vorfeld nichts von Hans-Joachim Freys Ambitionen gewusst haben will, bleibt dennoch unglaubhaft. Ebenso die Behauptung des MDR-Programmdirektors Peter Dreckmann, der noch zuletzt im Medienmagazin ZAPP betonte, keinerlei Einfluss auf das Ballprogramm zu haben.
Roland Kaiser erschien bei allem am glaubhaftesten. Schon früh hatte er seine Position zum Geschehen und zum Ball selbst erklärt. Vor dem Hintergrund, dass der Staatskanzlei der Plan, Al-Sisi zu ehren, vor Freys Reise nach Kairo bekannt war, lässt Michael Kretschmers "Aber es ist gut, dass man auch mal Fehler erkennt und nachgibt", indes seltsam einseitig erscheinen. Hätte die sächsische Regierung die schwere Beschädigung des Dresdner Semperopernballs und die negativen Schlagzeilen aus der Landeshauptstadt verhindern können? Auch diese Frage muss künftig Bestandteil der Aufarbeitung sein.
Die Gäste selbst genossen den Ballabend sichtlich. Bis 5 Uhr morgens feierten und tanzten sie in den verschiedenen Sälen. Spürbar mehr Bewegungsfreiheit auf den Tanzflächen und an den Bars ließ den Eindruck gewinnen, es seien deutlich weniger Gäste zum Ball gekommen als üblich. Dabei hatte die PR-Agentur des Balls drei Tage vor dem Event erklärt, nur rund 30 Tickets von 2000 seien noch vakant, und es habe auch nur vereinzelt Anrufe von Kunden gegeben, die ihre Tickets zurückgeben wollten.
Ballchef Hans-Joachim Frey zieht eine positive Bilanz: „Der 15. Dresdner Opernball war ein erster Neustart. Wir sind sehr glücklich, dass das veränderte Ballkonzept sehr positiv angenommen wurde und draußen wie drinnen für eine fröhliche und entspannte Ballatmosphäre sorgte." So haben alle Beteiligten das bekommen, was sie verdienen: Die Gäste einen ausgelassenen Abend. Die Künstler Applaus für ihre überzeugende Leistung. Und die Verantwortlichen die Aussicht auf ein Nachspiel.
Mit Jana Mundus und Marvin Graewert
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In eigener Sache
Die DDV-Mediengruppe distanziert sich vom Semperopernball-Preisträger: Der künstlerische Leiter des Semperopernballs, Hans-Joachim Frey, hat am 26. Januar den ägyptischen Staatspräsidenten Abdel Fatah Al-Sisi mit dem St.-Georgs-Orden des Dresdner Semperopernballs ausgezeichnet.
Die DDV-Mediengruppe ist seit vielen Jahren offizieller Medienpartner des Dresdner Semperopernballs. Ziel dieses Engagements war und ist es, ein Dresdner Event mit nationaler Ausstrahlung für Sachsen aufzubauen und zu befördern. Umfang und Art dieses Engagements werden regelmäßig neu bewertet.
Die DDV-Mediengruppe hat keinen Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung des Balls.Statement des Verlages zum Ball