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Vom Malermeister zum Oppositionsführer

Tino Chrupalla aus Gablenz bei Görlitz ist erst seit vier Jahren in der AfD. Wer ist der Mann, der zum neuen Co-Vorsitzenden seiner Partei gewählt wurde?

Von Tobias Wolf & Ulrich Wolf & Maximilian Helm
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Tino Chrupalla strebt nach Höherem. Die Niederungen der Kommunalpolitik sind nicht so sein Ding.
Tino Chrupalla strebt nach Höherem. Die Niederungen der Kommunalpolitik sind nicht so sein Ding. © Imago images/Florian Gärtner

Das Urteil ist hart. „Er kommt überheblich rüber“, sagt Peter Weszkalnys, der ehrenamtlich den Bürgermeister von Gablenz-Kromlau vertritt. Tino Chrupalla gehe „in Polen Pizza essen, obwohl er doch als AfD-Politiker für die Schließung der Grenzen eintritt. Das stört mich.“ Seit zwölf Jahren sitze er, Weszkalnys, im Gemeinderat. Chrupalla habe er dort nie getroffen: „Der tut hier nichts“.

Dass ihn die Niederungen der Kommunalpolitik nicht sonderlich interessieren, daraus hat Chupalla nie einen Hehl gemacht. „Ich habe mir das im Nachbardorf Krauschwitz einmal angeschaut und fand es weniger motivierend“, sagte er bereits im Sommer 2016. Da hatte seine politische Laufbahn gerade erst begonnen. Seit dem heutigen Sonnabend hat sie einen neuen Höhepunkt: Auf dem AfD-Bundesparteitag in Braunschweig ist der 44-Jährige zum Nachfolger von Parteichef Alexander Gauland gewählt worden.

Dabei hatte Chrupalla, mit Ausnahme einer Mitgliedschaft in der Jungen Union von 1990 bis 1992, mit Politik lange nichts am Hut gehabt. Nach der Wende ließ er sich zum Maler und Lackierer ausbilden, absolvierte Zivildienst in Weißwasser und machte seinen Meister. Im Sommer 2003 gründete Chrupalla seinen Malerbetrieb.

Die Politik tritt erst mit Pegida wieder in sein Leben. „Ich war oft dabei“, gibt Chrupalla zu. 2015 wird er AfD-Mitglied, schon im Frühjahr 2016 Vorstandsmitglied im Kreisverband Görlitz. Schließlich wird er dessen Vorsitzender und Bundestags-Direktkandidat.

Er will für die Lausitz eine Sonderwirtschaftszone, in der die Gewerbesteuer wegfällt. Er will bessere Infrastruktur und ein Ende der Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Er will Kita- und Hortgebühren abschaffen sowie kostenloses Schulessen und Gratis-Schülertransporte. Er holt die Partei-Prominenz in seinen Wahlkreis, erst Frauke Petry, später Gauland und vor allem Alice Weidel. Unbekannte schmieren mit schwarzer Farbe ein Hakenkreuz an die Gartenmauer seines Privatgrundstückes.

Raus aus der Latzhose

Aber er gewinnt. Am Abend des 24. September 2017 kann Tino Chrupalla die Maler-Latzhose gegen einen Abgeordneten-Anzug tauschen. Er hat Michael Kretschmer, den damaligen Generalsekretär der sächsischen CDU, geschlagen. Der würde nichts leisten für die Region außer Bändchendurchschneiden und Bäumepflanzen, hatte Chrupalla im Wahlkampf immer wieder gesagt. Und damit den Protestnerv vieler Wähler getroffen. Es punktete mit seinem Fokus auf Heimat und Handwerk. „Heimat. Sachsen. Görlitz.“ Oder: „Menschlich. Beharrlich. Erfolgreich. Ein Handwerker für Berlin.“ Oder: „Wir lieben unsere Lausitz. 100 Prozent.“

Chrupalla lebt in einer Waldsiedlung. Hohe Hecken als Sichtschutz. Das stattliche Einfamilienhaus ist Sitz seines Malerbetriebs, das Grundstück gehört schon seit Jahrzehnten der Familie seiner Frau. Im Süden begrenzt der Krauschwitzer Weg die Siedlung, dahinter kommt gleich der Badeteich. Auf Facebook postet er zuweilen Fotos, die ihn dort mit dem jüngsten seiner drei Kinder zeigen. Er besucht die Zweitliga-Eishockeyspiele der Lausitzer Füchse. Und ist Gast der Meisterfeiern und Sommerfeste der Handwerkskammer Dresden. Die Meisterpflicht, die geht ihm über alles. Wenn die Kammer jedoch eine Kampagne zur Ausbildung von Flüchtlingen startet, spricht der 44-Jährige von „Propaganda“ und wettert: „Handwerksbetriebe wehrt euch! Nein, wir brauchen keine Betriebe, die mitmachen.“ Man senke die Qualitätsstandards für Beschäftigte, „um offenbar Flüchtlinge ins Handwerk zu holen“.

Im Norden von Gablenz beginnt Brandenburg, im Osten liegt Polen. Die Bäche tragen Namen wie Koppel- oder Jägerwiesengraben oder Räderschnitza. Die Straßen heißen Sagoinza, Feldweg, Wiesengrund. Es gibt jetzt einen neuen Bäcker, nachdem der alte mit dem Auto verunglückt war. Und die Straßenlaternen brennen nun die ganze Nacht. Wegen der Autodiebstähle. Mit den neuen LED-Lampen, sagen einige, fühlten sie sich sicherer.

Das Herz des Dorfes ist ein Freizeitzentrum mit Fitnessstudio, Friseur und Physiotherapie. Das war einmal ein Kartoffellager. Dietmar Noack, CDU-Mann, Bürgermeister und Heizungsbauer, kaufte es 2001, sanierte es. Er wohnt nur zwei Häuser von Chrupalla entfernt. Man kenne und schätze sich, sagt Noack. „In der Region gelten wir als Vorzeigegemeinde“, sagt er stolz. Die Pro-Kopf-Verschuldung liege bei unter zehn Euro. Noacks Tochter Sandra betreibt in dem Freizeitzentrum ein Restaurant mit Bowlingbahn. In der Mitte des Gastraumes steht der Stamm einer alten Eiche, an der sich einst Napoleons Pferd das Fell gerieben haben soll.

Oft in Landgasthöfen unterwegs

Der Gablenzer Napoleon der Gegenwart heißt Chrupalla. „Immer wenn ich antrete, gehe ich auf Sieg“, sagt er. Bei der Bundestagswahl im vergangenen September gaben ihm 40,4 Prozent von 829 Wählern in Gablenz ihre Erststimme – obwohl die AfD im Gemeinderat nicht vertreten ist. In seiner Heimatregion murren sie nicht, wenn Chrupalla in der Görlitzer Gaststube „Alte Schäferei“ seinen Verdienst als Bundestagsabgeordneter von rund 10.000 Euro im Monat als eher klein darstellt. Schließlich komme ein Abgeordneter wie er, der seine Aufgabe ernst nehme, pro Woche auf sieben Arbeitstage zu je 14 Stunden.

Chrupalla tritt gern in solchen Wirtshäusern auf: „Zur Linde“ in Krauschwitz, „Zur Schlangenkrone“ in Schleife, „Drei Linden“ in Uhyst. Der Politiker signalisiert: Ich bin so wie ihr. Und wettert gegen andere Parteien, die als „Nationale Front“ gegen die AfD aufträten. Er schimpft auf „Merkeldeutschland: geschüttelt von Gewaltverbrechen, gelähmt durch Heimatverlust.“ Kurzum: Das Establishment ist der Feind.

Dabei steckt er selbst mittendrin in dem großen Berliner Zirkus. Er sitzt ganz vorn im Bundestag, er ist stellvertretender Vorsitzender seiner Fraktion. Er ist Mitglied im wichtigen Ausschuss für Wirtschaft und Energie, er ist in den großen Talkshows zu Gast. Er reist zu Parteiveranstaltungen nach Mannheim, Karlsruhe, Heidelberg. Er zeigt sich mit Parteifreunden auf dem Oktoberfest in München, mit Beatrix von Storch im Dienstwagen, auf dem Balkon der deutschen Botschaft in Prag; zur Klausurtagung der Bundestagsfraktion in Binz, mit Mitgliedern des Wirtschafts-Ausschusses auf der Hannover-Messe. Er besucht das „neue Hambacher Fest“ in Neustadt an der Weinstraße: „Patrioten aus ganz Deutschland zeigen, dass unser Vaterland lebt.“

Und er empfängt Gäste: „Kürzlich war Steve Bannon, der Architekt von Donald Trumps Wahlsieg, bei mir zu Besuch in Berlin. Wir haben uns fünf Stunden lang unterhalten.“ All das postet er auf Facebook. Ein Nutzer kommentiert: „Statt ständig irgendwelche Selfies aus dem Bundestag zu senden, sollte er sich (...) wieder einmal im Landkreis blicken lassen.“

Gerade noch genug rechts außen

Damit ist eher nicht zu rechnen, jetzt, da ganz oben in der AfD angelangt ist. Chrupalla war Gaulands Wunschkandidat. Das Kalkül des noch 78-Jährigen war von Anfang an: Chrupalla stammt aus dem Osten, also von dort, wo die Partei ihre größten Wahlerfolge feiert. In der Partei heißt es, Chrupalla sei ein „sozialisierter Ossi“, also ein echter, nicht wie Björn Höcke oder Andreas Kalbitz, die aus dem Westen nach Thüringen beziehungsweise Brandenburg gezogen sind.

Eine weitere Überlegung: Mit dem wiedergewählten Jörg Meuthen ist die gewünschte Ost-West-Doppelspitze entstanden. Der Volkswirtschafts-Professor ist vermittelbar in den moderateren Kreisen der Partei. Und Chrupalla ist gerade genug rechts außen, dass ihn die Mitglieder des in Teilen rechtsradikalen Flügels akzeptieren.

Vom Flügel distanziert sich Chrupalla, zuletzt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Auf die Frage, wie er es finde, dass sich Höcke gern inszeniere, antwortete Chrupalla: „Personenkult lehne ich ab.“ Er, Chrupalla, sei „nicht Bestandteil des Flügels“. Gleichwohl sei die Strömung Bestandteil der AfD: „Sie ist patriotisch, aber nicht rechtsradikal oder völkisch.“ Dass er erst im vergangenen September an einem Treffen des Flügels auf Schloss Burgk in Freital teilnahm, das erzählte er der Zeitung nicht.

Auch seine Bundestagsrede zum Mauerfall am 8. November gilt parteiintern als Versuch, sich bei Flügel-Anhängern beliebt zu machen. Er fände es schade, dass Merkel „nicht verrät, welche Herrschafts- und Zersetzungsstrategien“ sie bei der FDJ gelernt habe, sagte Chrupalla da. Schließlich seien Agitations- und Propaganda-Kenntnisse wertvolles Wissen.

Journalisten durchaus denunzieren

Selbst mit Rechtsextremen hat der Lausitzer keine Berührungsängste. Im AfD-Prüfbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz wird auf ein Video verwiesen, dass der Rechtsextremist Nikolai Nerling hochgeladen hat. Die Verfassungsschützer schreiben dazu: „Das Video soll den Anschein der Spontanität erwecken, doch ist Chrupalla in einer frühen Kameraeinstellung bereits wartend im Hintergrund zu sehen.“ Am Ende willigt Chrupalla lächelnd ein, Nerling auch weiterhin für Interviews zur Verfügung zu stehen.

Ausgebildeten Journalisten gegenüber zeigt sich der Lausitzer nicht so generös. Seinen Anhängern empfiehlt er, Medienvertreter gegebenenfalls zu denunzieren. In einem Brief an die Mitglieder des AfD-Kreisverbands Görlitz behauptet er Anfang 2019, die Presse verfolge „eine Spaltungs- und Zersetzungsstrategie“, man kenne das Spiel bereits aus der DDR.

Da war er zwar noch ein Kind auf den Straßen des Gablenzer Nachbarortes Krauschwitz, gleichwohl fordert er dazu auf, sich zu melden, sollte man noch Ideen und Tricks „von früher“ kennen. Hintergrundinformationen „über als Zersetzungsagenten getarnte Journalisten“ seien willkommen. Kritische Artikel nennt er Feindpropaganda, den russischen Sender RT hingegen sieht er „als Bereicherung für unsere Demokratie“.

Wie Chrupalla wirklich tickt, dass könnte Silvia Littke-Hennersdorf aus Vierkirchen sagen. Sie hat seinen Bundestagswahlkampf gemanagt und leitete die Büros des Bundestagsabgeordneten. Sie trat jedoch im Januar 2019 nach fast fünf Jahren Mitgliedschaft aus der AfD aus. Sie sagt nur: „Gauland macht den dritten großen Fehler. Erst hat er Kalbitz protegiert, dann Höcke und nun Chrupalla.“ Noch im September appellierte sie auf ihrem Facebook-Profil: „Drängt die völkisch-nationalen Radikalen an den Rand, am besten aus der Partei. Bleibt fest auf den Boden der Demokratie, hinterfragt Sachverhalte, fordert gründliche Aufarbeitung der letzten zwölf Monate und rennt nicht den Falschen hinterher.“

Sachsen muss die Richtung bestimmen

In ihrem Facebook-Post zum Parteiaustritt kritisiert sie, insbesondere im Kreisverband Görlitz hätten „Vetternwirtschaft, betreutes Denken, Meinungsdiktatur und ein totalitärer Führungsstil“ das politische Alltagsgeschäft geprägt. Und sie endet mit den Worten: „Danke an Tino Chrupalla für eine intensive und belebende Zeit, die wir miteinander verbrachten. Die Ziele bleiben dieselben, die Wege dahin sind nicht mehr kompatibel.“ Zahlreiche Nutzer, in Sachsens AfD durchaus bekannte Namen, kommentierten den Post. Chrupalla allerdings nicht. Bis heute nicht.

Sachsens Landesverband jedenfalls hat seinen Mann aus Gablenz unterstützt. „Sachsen muss die politische Richtung im AfD-Bundesvorstand der Partei mitbestimmen“, forderte Fraktions- und Landeschef Jörg Urban vor der Wahl am Sonnabend. Der Freistaat sei schließlich „eine Herzkammer“ der Partei. Eigentümlich allerdings ist: Chrupalla war in dem Statement namentlich nicht erwähnt worden.

Die meisten Leute in Gablenz indes juckt das nicht, was da in Dresden oder Berlin oder nun in Braunschweig abgeht. Mit Sätzen wie „Strom sollte solange mit Braunkohle erzeugt werden, wie die Vorräte in der Lausitz reichen“ trifft Chrupalla ihren Nerv. Wie bei jenem Rentner-Ehepaar, das sich einst bei der Arbeit im Kraftwerk Boxdorf kennengelernt hatte. „Gegen den Chrupalla kann man überhaupt nichts sagen“, sagt er. „Ein sehr netter Kerl.“ Die größten Probleme im Dorf seien der Kohleausstieg und die Wildschweine. „Und das es keine richtige Kneipe gibt, das war früher besser.“

Mitarbeit: Thilo Alexe, Ruben Rehage (STERN)