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Wenn der Staat sich selbst der Nächste ist

Ein Gesetz soll wegen der Borkenkäferplage Millionen ausschütten - aber nur an den Staatsforst. Dagegen wehrt sich unter anderen die Stadt Zittau.

Von Anja Beutler & Markus van Appeldorn
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Tilo Freier betreut als Förster den Wald von 200 Privatwaldbesitzern.
Tilo Freier betreut als Förster den Wald von 200 Privatwaldbesitzern. ©  Rafael Sampedro

Der Wald macht gerade keine Freude - jedenfalls nicht seinen Besitzern. Stürme, Borkenkäferbefall und seit über zwei Jahre anhaltende Trockenheit haben dem Wald massiv zugesetzt. Besonders Fichtenbestände sind flächendeckend zerstört, der Holzpreis auf einem historischen Tief. In dieser Situation will sich der Staatsbetrieb Sachsenforst (SBS) per Gesetz mit einer Finanzspritze von beinahe 52 Millionen Euro versorgen lassen - und Privatwaldbesitzer sollen leer ausgehen. Das sorgt für Ärger. 

"Es gibt nur einen Wald", sagt Tilo Freier, "der Wald kann nicht unterscheiden, ob er Staatswald oder Privatwald ist." Freier betreut als Förster gut 2.000 Hektar Wald für 200 Privatwaldbesitzer. Die Unterscheidung zwischen Staatswald und Privatwald kann zumindest das Grundbuch vornehmen. "Im Kreis Görlitz gibt es keinen Staatswald", sagt Tilo Freier. Die größten Waldbesitzer hier sind mit rund der Hälfte des Gesamtbestandes die Städte Zittau, Löbau und die Kirche. Den Rest teilen sich etliche Private.

Und all diese Waldbesitzer fallen bei einem Gesetzentwurf hinten runter, den CDU, Grüne und SPD in den Sächsischen Landtag eingebracht haben - und der im Mai verabschiedet werden soll. Mit diesem Gesetz soll ein sogenanntes Sondervermögen über fast 52 Millionen Euro zur "Beseitigung Schadensfolgen Extremwetterereignisse - Forst" eingerichtet werden. Einziger Empfänger der Millionen: der SBS.

"Wir haben eine Pandemie im Wald!"

Ein Umstand, den Tilo Freier und die von ihm betreuten Privatwaldbesitzer extrem ungerecht finden. "Der Zittauer und Löbauer Stadtwald haben die gleichen Borkenkäferprobleme wie der Staatswald", sagt er etwa die größten kommunalen Waldbesitzer betreffend. Und er rechnet die wirtschaftliche Situation aller Waldbesitzer vor: "In guten Zeiten haben wir 80 Euro pro Festmeter Holz erwirtschaftet, jetzt sind es noch 30 Euro" sagt er. Denn der Holzmarkt ist überschwemmt, dazu ist das durch Borkenkäfer, Stürme oder Trockenheit geschädigte Holz minderwertiger. Gleichzeitig seien die Kosten der Holzernte gestiegen, weil etwa kreuz und quer liegendes Sturmholz mehr Aufwand macht als die normale Holzernte.

Das wirtschaftlich Ergebnis ist für Tilo Freier schlicht dieses: "Der Aufwand für den Einschlag und der Ernte-Erlös ergeben mittlerweile eine Nullsumme. Wenn wir als Waldbesitzer gar ins Minus kommen, müssten wir damit aufhören." Gerade das aber dürften sie nicht. "Alle Waldbesitzer sind gesetzlich verpflichtet, Borkenkäfer-Holz aus dem Wald zu holen", sagt Freier. Bloß wie? "Der Wald stirbt uns schneller weg, als wir ihn aufräumen können. Wir haben eine Pandemie im Wald!", sagt er.

Und selbst wenn er das befallene Holz rechtzeitig genug aus dem Wald bekäme - den Waldbesitzern würden die Mittel für eine notwendige Wiederaufforstung fehlen. "Das Pflanzen von einem Hektar Wald mit gewünschten Bäumen wie Eichen oder Buchen kostet mit allen notwendigen Maßnahmen rund 10.000 Euro", rechnet Tilo Freier. Gefördert würde das - und das dazu nach einem komplizierten Verfahren - zu maximal 70 Prozent. "Unter diesen Umständen lassen die Waldbesitzer das. Freier und seine Waldbesitzer fordern in dieser Situation eine Subventionspraxis ähnlich der in der Landwirtschaft. "Wir bräuchten eine bestimmte Summe pro Hektar Waldbesitz", sagt er. 

Auch Zittau wehrt sich gegen das Gesetz

Der Haushalts- und Finanzausschuss des Landtags hat das geplante Gesetz aktuell Sachverständigen zur Stellungnahme vorgelegt. Und von denen gibt's teilweise erheblichen Gegenwind so etwa von der Stadt Zittau - dem größten kommunalen Waldbesitzer des Freistaats. Auch der Zittauer Stadtwald würde nicht von den Staatsmillionen profitieren. "Der Zuschussbedarf des Forstbetriebs der Stadt Zittau beläuft sich im Jahr 2020 auf 185 Euro pro Hektar", lässt die Stadt den Landtag wissen. Bei einer Fläche von 4.500 Hektar Stadtwald summiert sich das auf gut 832.000 Euro. Die - mittlerweile allerdings ausgesetzte - Waldschutzförderung habe den Zittauer Stadtwald dagegen im Vorjahr nur mit 33 Euro pro Hektar unterstützt.

Das Ungleichgewicht zeigt auch eine Rechnung, die der Bundesverband freiberuflicher Forstsachversändiger ("Freie Förster") dem Landtag aufmacht. Demnach seien rund 40 Prozent des sächsischen Waldes Staatswald, 60 Prozent kommunaler und Privatwald. Im gleichen Verhältnis verteilt sich die Schadfläche von rund 10.000 Hektar im Freistaat. Gemessen an der Schadfläche des SBS (4.200 Hektar) würden die 52 Zusatz-Millionen eine Förderung von über 12.300 Euro pro Hektar für den Staatswald ausmachen.

Alle anderen Waldbesitzer könnten sich hingegen nur Mittel nach der "Förderrichtlinie Wald und Forstwirtschaft" beantragen. Gemessen an der Schadfläche des Nichtstaatswaldes (5.746 Hektar) sei 2019 nur ein Zuschuss von 438 Euro pro Hektar geflossen - ungefähr drei Prozent von der Summe, die dem SBS zufließen soll. Die Freien Förster fordern daher eine Ausweitung des Sondervermögens auf alle Waldbesitzer.

Private sollen Hilfe selbst bezahlen

Der Staatsforst sieht indes eine ganz andere Lösung für Privatwaldbesitzer vor. Tatsächlich sollen rund eine Millionen Euro des Sondervermögens den Privatwaldbesitzern zugute kommen - allerdings indirekt. "Das Geld ist vorgesehen, um Privatwaldbesitzer mit Beratungs- und Forstingenieurs-Leistungen durch den Sachsenforst zu unterstützen. Es verbleibt also trotzdem beim SBS", erklärt Tilo Freier.

Dazu hat der Staatsforst sogenannte "Vorrangflächen" im Privatwald identifiziert. Das sind solche Wälder, von denen man glaubt, dass sie noch eine Chance auf Rettung haben. "Die anderen gibt man auf und konzentriert alle Bemühungen auf diese Vorrangflächen", sagt Freier. Im Landkreis Görlitz betrifft das nach Auskunft des Kreisforstamtes vier Flächen mit insgesamt rund 1.200 Hektar, die rund 100 privaten Kleinwaldbesitzern gehören. Die Gebiete erstrecken sich in Lawalde, im Raum Oppach/Neusalz Süd, beim Wolfsberg in Strahwalde und zwischen Friedersdorf/Neusalza-Spremberg. Sie seien demnach auch deshalb besonders wichtig, da hier zum Teil auch Trinkwasser- und Bodenschutz eine besondere Rolle spielen.

Die Waldbesitzer können technische und fachliche Hilfe vom Sachsenforst bekommen, um zeitnah die nötigen Sanierungsarbeiten beginnen zu können. Bezahlen müssen sie die anstehenden Arbeiten aber selbst. "Ihr Vorteil wäre aber, dass sie besser weitaus schneller und einfacher damit vorankommen können als das sonst in der momentanen Situation mit so vielen Waldschäden möglich wäre. Denn freie Kapazitäten bei Fachfirmen sind derzeit rar", beton Kreisforstamtsleiterin Sylvia Knote.

Verband beklagt "gravierendes Missverhältnisse"

Tilo Freier findet die Idee, sich auf noch rettbare Wälder zu konzentrieren, grundsätzlich nicht schlecht - glaubt aber nicht, dass der SBS den Waldbesitzern eine wirkliche Hilfe sein kann. "Ich kenne alle diese Fachfirmen selbst", sagt er, "die kommen mit ihrem schweren Gerät auch nicht schneller, wenn der Sachsenforst die anruft."

Und auch der Sächsische Waldbesitzerverband äußert in seiner Stellungnahme an den Landtag erhebliche Zweifel an diesem "Vorrangflächen"-Plan. "Hier wird außer Acht gelassen, dass dafür liquide Mittel des Waldbesitzers erforderlich sind", schreibt der Verband. Die aber würden regelmäßig und "in drastisch zunehmendem Maße" fehlen. Der Verband beklagt daher ein "gravierendes Missverhältnis" bei der Zuweisung der geplanten Millionen und fordert eine gerechte Aufteilung im tatsächlichen Verhältnis des Waldbesitzes und der Schadflächen - nämlich 40 Prozent für den Staatsforst, 60 Prozent für kommunale und private Waldbesitzer.

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