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Warum Dynamos Pokalgegner aufs Heimrecht pfeift

Die TuS Dassendorf zieht für das Pokalspiel gegen Dynamo nach Zwickau. Der entscheidende Grund dafür sind aber nicht etwa die Fans.

Von Sven Geisler
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So ausgelassen feierten die Spieler der TuS Dassendorf nach ihrem 2:1-Sieg im Hamburger Landespokalfinale gegen Norderstedt. Haben sie gegen Dynamo wieder Grund dazu?
So ausgelassen feierten die Spieler der TuS Dassendorf nach ihrem 2:1-Sieg im Hamburger Landespokalfinale gegen Norderstedt. Haben sie gegen Dynamo wieder Grund dazu? © Hanno Bode

Der Pokal und seine eigenen Gesetze. Eine Floskel, mit der Jan Schönteich wenig anfangen kann. „Dynamo müsste uns schon sehr unterschätzen, damit wir eine realistische Chance hätten“, meint der 52-Jährige. Er ist Sportchef der Turn- und Sportgemeinschaft Dassendorf, im Ehrenamt, versteht sich. Der kleine Verein aus dem hohen Norden ist am Samstag der Gegner von Fußball-Zweitligist Dynamo Dresden in der ersten Runde des DFB-Pokals. „Wir wollen uns die Welt nicht schönreden“, meint Schönteich, „das ist nicht Bayern München.“

Trotzdem hält er es für ein Glückslos. „Das ist ein absoluter Traditionsverein, achtmal deutscher Meister!“ Ja, er macht keinen Unterschied zwischen dem Titel in der DDR-Oberliga und der Bundesliga. Und das macht ihn für die Dresdner Fans sicher schon mal sympathisch. Die TuS hat gar nicht erst versucht, im eigenen Stadion zu spielen. „Wir kokettieren nicht nur mit unserem dörflichen Charme, bei uns ist alles amateurhaft“, erklärt Schönteich.

Die Spieler gehen arbeiten, dreimal in der Woche ist nachmittags Training, plus Freitag, wenn es zum Spielplan passt. Doch diesmal ist für 14 Uhr die Abfahrt angesetzt, denn das Heimspiel findet auswärts statt; laut Routenplaner genau 523,4 Kilometer südlich – in Zwickau. „Die weiteste Tour der Vereinsgeschichte zum zuschauermäßig größten Event der Vereinsgeschichte“, sagt Schönteich. „Ich freue mich unheimlich darauf.“ Schon im Vorverkauf wurden mehr als 5.000 Tickets abgesetzt, 10.134 Plätze hat die Zwickauer GGZ-Arena.

In Zwickau wird gespielt. 
In Zwickau wird gespielt.  © Ralph Koehler/propicture

Mit dem Umzug ist er keineswegs unglücklich, er hat auch nicht etwa damit zu tun, dass Dynamos Anhängern ein zweifelhafter Ruf vorauseilt. Der entscheidende Grund sind die hohen Auflagen, die der Fußballverband an eine Spielstätte für den DFB-Pokal stellt. Die Sportanlage Wendelweg in Dassendorf hat zwar einen Naturrasen, wie vorgeschrieben, aber zum Beispiel keinen abgetrennten Zuschauerbereich für die Gäste-Fans oder einen extra Raum für die Doping-Kontrolle. „Unsere Bürgermeisterin würde es nie absegnen, dafür Geld auszugeben“, meint Schönteich und lacht.

In der Gemeinde östlich von Hamburg leben gut 3.300 Einwohner, im Verein treiben 834 Menschen in sechs Abteilungen Sport, wobei die Mitgliederzahl geschätzt ist. Was zählt, ist hier der Spaß an der Sache und dazu gehört es für die Fußballer, ab und zu einen Großen zu ärgern. Allerdings sind sie diesmal selbst in der zweiten Runde des Landespokals an einem Bezirksligisten gescheitert, die Pokal-Generalprobe gegen Teutonia 05 hat die TuS aber am vorigen Sonntagabend mit 3:1 gewonnen.

In den vergangenen Jahren haben die Dassendorfer ihr Ziel immer erreicht, nämlich mindestens einen Wettbewerb zu gewinnen. Von 2014 an waren sie in Folge fünfmal Staffelsieger in der fünftklassigen Oberliga Hamburg, 2018 und 2019 gewannen sie den Landespokal. „Uns platzt der Stolz aus jeder Pore“, sagt Schönteich mit einem Schuss Selbstironie. Insgesamt zum dritten Mal gehört der Dorfklub nun schon zum illustren Feld der DFB-Pokal-Teilnehmer. „Das ist alles, aber nicht selbstverständlich.“ Im Jahr 2000 setzte es ein 0:5 gegen den damaligen Bundesligisten Unterhaching, aber vorige Saison hat sich der MSV Duisburg beim 1:0-Sieg als Zweitligist mehr als schwergetan.

Beide Male ist man nur zehn Kilometer weiter in den benachbarten Hamburger Stadtteil Bergedorf umgezogen, hat im Stadion „An den Sander Tannen“ gespielt. „Eine relative Ruine“, wie Schönteich meint. Das war diesmal keine Option, denn „die Organisation hat uns voriges Jahr an den Rand von Nervenzusammenbrüchen gebracht“. Was einem an Auflagen aufgebrummt werde, sei mit noch so großem Engagement einiger Ehrenamtlicher nicht zu stemmen. „Wenn man den Katalog liest, hat man das Gefühl, es spiele nicht Dassendorf gegen Dynamo, sondern Juventus Turin gegen Manchester United – mindestens im Champions-League-Halbfinale.“ Schönteichs bittere Schlussfolgerung: „Ich kann eigentlich keinem Amateurverein empfehlen, Landespokalsieger zu werden.“

Jan Schönteich (r.) ist Sportchef bei der TuS Dassendorf - natürlich im Ehrenamt.
Jan Schönteich (r.) ist Sportchef bei der TuS Dassendorf - natürlich im Ehrenamt. © Hanno Bode

Der TuS-Sportchef ist deshalb froh und dankbar für die Möglichkeit, das neue Stadion in Zwickau nutzen und auf die Hilfe der Betreiber sowie des FSV und von Dynamo zurückgreifen zu können. „Wir fühlen uns dort herzlich willkommen und klasse unterstützt“, betont Schönteich. Dafür verzichtet die TuS liebend gerne auf den Heimvorteil. „Mal ehrlich“, meint Schönteich, „ob wir gegen Dynamo in Dassendorf, Bergedorf, Zwickau, Dresden oder im Maracana in Rio de Janeiro spielen – unsere Siegchance ist doch immer genau gleich hoch.“

Was nicht heiße, dass man nur mal kurz vorbeikomme, um zu gratulieren. „Wir haben vorige Saison auswärts sogar mehr Punkte geholt als zu Hause.“ Zudem spielt beim Außenseiter ein Stürmer, der gegen Dynamo schon zweimal getroffen hat, beide Male für Hansa Rostock. Marcel Schied, der seit der Hochzeit mit Katharina Walsleben-Schied heißt, hat insgesamt vier Erst- und 178 Zweitligaeinsätze für Hansa, Zeiss Jena, Unterhaching und Osnabrück bestritten. Inzwischen ist er 36 Jahre alt, hat in der Hostel-Kette des Vereinsmäzens Michael Funk eine Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement abgeschlossen und wurde übernommen.

Christian Gruhne, Maximilian Dittrich (v.l.) werden nach dem Triumph von den Fans gefeiert.
Christian Gruhne, Maximilian Dittrich (v.l.) werden nach dem Triumph von den Fans gefeiert. © Hanno Bode

Er passt perfekt zum Profil der TuS. „Wenn Sie mir zwei talentierte Spieler aus Dresden anbieten würden, die fürs Studium nach Hamburg gehen und bei uns spielen wollen, würde ich ihnen helfen, zum Beispiel bei St. Pauli II unterzukommen“, sagt Schönteich. „Aber wenn einer kommt, der aus der Region stammt, zum Ende seiner Karriere noch auf hohem Niveau spielen will und eine Arbeit sucht, sind wir da.“

Einen Etat nennt der Sportchef nicht, die Spieler bekommen Prämien. Wenn sie, wie in der Saison 2017/18 in der Liga 96 von 102 Punkten holen und obendrauf den Pokal gewinnen, kommt eine beträchtliche Stange Geld zusammen. „Wir haben einige uns wohlgesonnene Menschen, die das bis auf den letzten Cent übernehmen“, erklärt Schönteich. In die Regionalliga aufsteigen will Dassendorf trotzdem nicht. Aus dem gleichen Grund, weshalb sie das Pokalspiel gegen Dynamo nach Zwickau verlegt haben: Die infrastrukturellen Anforderungen wären zu hoch.

Ein paar Busse werden vom Sachsenwald, dem größten Waldgebiet Schleswig-Holsteins, nach Sachsen fahren. Die Auslosung im Juni hatten im Festzelt der Freiwilligen Feuerwehr etwa 400 Dassendorfer verfolgt, auf etwa genauso viele hofft Schönteich am Samstag auch in Zwickau. „Ich freue mich unheimlich drauf.“