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"Wir haben durchaus andere Prioritäten"

Eva Oehmichen führt die Fraktion Bürgerforum/Grüne/SPD im Stadtrat an. Im Interview spricht sie über Verkehrswende, Bernig-Wahl und Mehrheiten.

Von Silvio Kuhnert
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Eva Oehmichen ist Augenoptikerin. Seit 2009 engagiert sich die 54-Jährige für die Wählervereinigung Bürgerforum/Grüne im Radebeuler Stadtrat. Ihre Fraktion bildet seit rund einem Jahr ein Bündnis mit der SPD.
Eva Oehmichen ist Augenoptikerin. Seit 2009 engagiert sich die 54-Jährige für die Wählervereinigung Bürgerforum/Grüne im Radebeuler Stadtrat. Ihre Fraktion bildet seit rund einem Jahr ein Bündnis mit der SPD. © Norbert Millauer

Frau Oehmichen, ob Haushalt, Kauf des alten E-Werks oder der Aral-Tankstelle – die Fraktion Bürgerforum/Grüne/SPD steht Vorlagen aus der Verwaltung mitunter kritisch bis ablehnend gegenüber. Welches Grundverständnis haben Sie von der Rolle Ihrer Fraktion im Stadtrat? Ist sie die Opposition?

Zunächst einmal: Die Fraktion stimmt den meisten Vorlagen der Verwaltung, aber auch den Anträgen anderer Fraktionen zu, wenn sie uns plausibel erscheinen. Wir prüfen allerdings die Vorlagen, diskutieren darüber und wägen danach ab. Meistens kommen die einzelnen Fraktionsmitglieder zu einem ähnlichen Ergebnis. Bei uns herrscht kein Fraktionszwang. Im Stadtrat gibt es keine Regierung und keine Opposition. Wir sehen uns als Vertreter der Bürgerschaft und sind bemüht, sachlich und unvoreingenommen zu entscheiden. Wir verstehen uns nicht als Zustimmungsorgan für die hauptamtliche Verwaltung.

Was vermissen Sie im Stadtrat?

Wir vermissen eine sachliche, kritische und dabei konstruktive Diskussion im Stadtrat. In der Regel werden unsere Anträge, wie zum Beispiel bei der Debatte um den diesjährigen Haushalt, von einer Mehrheit aus CDU, AfD, Freien Wählern und FDP abgelehnt und das meist ohne nachvollziehbare Begründung. Bei diesen starren Mehrheitsverhältnissen drängt sich natürlich der Eindruck auf, wir seien die Opposition im Stadtrat. Für uns gibt es durchaus andere Prioritäten in der Stadtpolitik.

Welche wären das? Was möchte Ihre Fraktion gern umsetzen?

Unsere Prioritäten haben wir in unserem Wahlprogramm zur letzten Kommunalwahl beschrieben und das Programm hat nach der Stadtratswahl nicht seine Gültigkeit verloren. Wir möchten eine Stadt gestalten, in der sich alle Generationen wohl fühlen und auch für Menschen mit wenig Einkommen Wohnen möglich ist. Radebeul braucht Familien! Gerade in dieser Zeit, in der viele Familien von Kurzarbeit betroffen sind, erhöht die Stadt die Elternbeiträge für Kitas. 

Dies beruht auf einer 2016 erfolgten Stadtratsentscheidung zur Grundsatzregelung über Elternbeiträge für Kitas und Kindertagespflege. Daher müssen wir als Rat unbedingt früher gefasste Beschlüsse überdenken und gegebenenfalls korrigieren. Familien, Verkehrswende oder der Erhalt des Charakters Radebeuls als grüne Stadt haben für uns Vorrang, deshalb haben wir weder für den Erwerb der Aral-Tankstelle noch für den Kauf des E-Werks gestimmt.

Was soll sich im Straßenverkehr verändern?

Straßenbau ist immer wieder ein zentrales Thema im Stadtrat. Jedoch ist der Fokus zu stark auf den Kraftverkehr gerichtet. Für uns gehört zu einer guten Verkehrsplanung, dass alle Verkehrsteilnehmer und nicht nur die Autofahrer die Möglichkeit bekommen, sich sicher auf unseren Straßen zu bewegen. Dazu gehören ältere Menschen, Kinder und Jugendliche, Fahrradfahrer, Fußgänger und der motorisierte Verkehr. Wir verstehen unter Verkehrswende, dass ihre Wünsche und Bedürfnisse gleichermaßen in den Blick genommen werden. 

Leider ist dies beim aktuellen Ausbau der Meißner Straße wieder nicht gelungen. Da endet der Radschutzstreifen direkt vor der Straßenbahnhaltestelle. Solche Fehlleistungen dürfen nicht wieder passieren. Ich fahre nicht mehr mit dem Fahrrad auf der Meißner Straße. Es ist zu gefährlich.

Seit einem Jahr bilden Bürgerforum/Grüne und SPD eine gemeinsame Fraktion. Wie ist die Zusammenarbeit?

Wir arbeiten sehr konstruktiv, freundschaftlich und partnerschaftlich zusammen. Ein jeder ist ein Gewinn und bringt seine Kompetenzen ein.

Durch den Fraktionswechsel von Ilka Petzold droht der Fraktion Die Linke der Verlust ihrer Ausschusssitze. Werden Bürgerforum/Grüne/SPD die beiden Linken-Stadträte, Daniel Borowitzki und Karl Lehmann, bald als neue Partner im Fraktionsbündnis begrüßen?

Ganz sicher werden wir mit Herrn Borowitzki und Herrn Lehmann weiterhin und vielleicht auch intensiver als bisher zusammenarbeiten und uns regelmäßig austauschen. Das bedeutet aber nicht, dass wir zwangsläufig eine gemeinsame Fraktion bilden. Die Mehrheiten im Stadtrat verändern sich letztlich durch den Fraktionswechsel von Frau Dr. Petzold nicht, da sie meistens mit der Mehrheit und gegen ihre alte Fraktion gestimmt hat.

Die Debatte nach der Wahl Jörg Bernigs zum Kulturamtsleiter, die schließlich dazu führte, dass er das Amt nicht begleiten wird, hat einen Riss durch die Radebeuler Gesellschaft offenbart. Wie möchte Ihre Fraktion den Riss kitten?

Eine demokratische Gesellschaft muss unterschiedliche Sichtweisen aushalten. Deshalb hatten wir die knappe Wahl von Herrn Bernig akzeptiert und betont, dass er sich nun im Amt bewähren müsse. Unsere Position zu seiner Person war aber immer klar: Ein Neurechter, der im Übrigen über keinerlei Verwaltungserfahrung verfügt, war für uns als Kulturamtsleiter nicht tragbar. Mit dieser Position befanden wir uns in guter Gesellschaft mit dem weitaus größten Teil der Kulturschaffenden in Radebeul.

Letztlich hat das unprofessionelle Verhalten des Oberbürgermeisters zur Eskalation ebenso beigetragen wie das Agieren des Fraktionsvorsitzenden der CDU, der Herrn Dr. Bernig als Bewerber für die Leitungsstelle erst ins Spiel brachte. Der OB hätte sein Einvernehmen unmittelbar nach der Wahl verweigern müssen. Schließlich war Herr Bernig nicht der von der hauptamtlichen Verwaltung bevorzugte Kandidat für die Neubesetzung der Kulturamtsleiterstelle. Dieses unglückliche Agieren hat den Riss verschärft.

Und wie können Brücken der Versöhnung geschlagen werden?

Um den von Ihnen diagnostizierten „Riss“ durch die Radebeuler zu kitten, müsste zunächst eine offene Diskussion zu dem gesamten Vorgang geführt werden. Daran hat eine Mehrheit im Stadtrat offensichtlich kein Interesse. Wir haben einen Antrag eingebracht, Bürgerdialoge mit professioneller Moderation durchzuführen. Wichtig ist, dass wir immer wieder miteinander reden.

Welche Entwicklung wünscht sich Ihre Fraktion für das Karl-May-Museum?

Wir wünschen uns, dass sich das Karl-May-Museum zu einem modernen Museum entwickelt. Dafür müssen aus unserer Sicht alte Strukturen innerhalb der Stiftung aufgebrochen werden; es braucht viele neue kreative und engagierte Köpfe. Vordringlich muss zunächst ein Kassensturz erfolgen, eine Konzeption für die Zukunft des Museums erarbeitet und Fördermöglichkeiten eruiert werden. Vielleicht ist ein Überarbeiten der Erweiterungs- und Neubaupläne erforderlich, um die doch recht hohen Baukosten zu reduzieren. Zudem müssen Einwirkungsmöglichkeiten der Stadt auf die Stiftung ermöglicht werden, solange die Stadt die Karl-May-Stiftung mit 100.000 Euro im Jahr fördert.

Wie steht Ihre Fraktion zu den Investorenplänen für das Wasapark-Areal?

Wir möchten auf dem Areal eine interessante, abwechslungsreiche, moderne Architektur in nachhaltiger Bauweise unter Nutzung regenerativer Energien entwickeln. Es könnte etwas Außergewöhnliches entstehen, wenn die Stadt den Mut hat, gleichförmige Kastenarchitektur zu vermeiden. Wichtig ist es uns dabei, die Versiegelungsfläche zu minimieren und möglichst begrünte Freiflächen zu schaffen.

Radebeul ist eine grüne Stadt und deshalb hat die Stadt auch viel zu verlieren, wenn immer mehr Flächen verdichtet und versiegelt werden. Wir spüren es in diesem Sommer wieder am eigenen Leib, Bäume und Grünflächen sind Oasen im städtischen Raum. Deshalb engagiert sich unsere Fraktion dafür, den Charakter Radebeuls als grüne Stadt zu erhalten. Der Wasapark darf kein weiteres Glasinvest werden! Wir können den vorliegenden Plänen nicht zustimmen. 

Für die künftige Verkehrsführung auf der Bahnhofstraße stehen drei Varianten zur Debatte: Alles bleibt so, wie es ist, Fußgängerzone oder Einbahnstraße. Welche Variante bevorzugt Ihre Fraktion?

Für uns gehört zur Beurteilung dieser Frage ein durchdachtes Konzept für den ruhenden Verkehr dringend dazu. Dieses liegt aber immer noch nicht vor. Entscheidend ist die Frage, welche Wege legen Autofahrer zurück, um parken zu können. Das ist von zentraler Bedeutung für die Entwicklung des Verkehrsaufkommens in den Nachbarstraßen. Wir möchten auf keinen Fall, dass letztlich längere Wege mit dem Fahrzeug zurückgelegt werden und der Verkehrslärm in dem Gebiet zunimmt. Das vorliegende Verkehrsgutachten erlaubt keine sichere Aussage darüber, wie sich die Verkehrsströme je nach gewählter Variante im Quartier entwickeln werden.

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