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„Wir hätten Granaten verschießen können“

Ein Ex-Volkspolizist spricht über die Oktobertage 1989. Der Meißner SPD-Ortsverein stellt sich hinter den von einem Historiker kritisierten Frank Richter.

Von Ulf Mallek
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Zwei Freunde zu Besuch bei der Sächsischen Zeitung: Der Meißner SPD-Landtagsabgeordnete Frank Richter (l.) und Ex-VP-Oberleutnant Detlef Pappermann. Sie sprachen zu den Vorgängen am 8. Oktober 1989.
Zwei Freunde zu Besuch bei der Sächsischen Zeitung: Der Meißner SPD-Landtagsabgeordnete Frank Richter (l.) und Ex-VP-Oberleutnant Detlef Pappermann. Sie sprachen zu den Vorgängen am 8. Oktober 1989. © Anne Hübschmann

Meißen. Das will der Meißner Ortschef der SPD nicht auf sich und seiner Partei sitzen lassen. Frank Richter, der für die SPD in den sächsischen Landtag gewählt wurde, ist indirekt der Lüge bezichtigt worden. Von dem Meißner Zeithistoriker Johannes Zeller. Es geht um die Rolle Richters als Mitgründer der Gruppe der 20 im Oktober 1989 in Dresden.

SPD-Ortsvorsitzender Eyk Schade: „Ich fordere Herrn Zeller auf, an einem öffentlichen Symposium teilzunehmen und seine Thesen in Gegenwart anderer Historiker darzulegen und zu diskutieren.“ Wissenschaft, so Schade, lebe vom Zweifel und der Infragestellung gültiger Thesen. Doch deswegen habe ein Wissenschaftler noch lange nicht das Recht, „andere Personen als unglaubwürdig darzustellen“.

Johannes Zeller hatte in einem SZ-Interview vor allem Zweifel an der Rolle des Richter-Partners Detlef Pappermann am 8. Oktober 1989 in Dresden auf der Prager Straße geäußert. Der Polizeioffizier einer Spezialeinheit taucht in den von Zeller ausgewerteten schriftlichen Primärquellen wie Lagefilmen der Volkspolizei und der Staatssicherheit nicht auf. 

Daher, schlussfolgert Zeller, kann Pappermann gar nicht mit Richter gemeinsam die Gruppe der 20 gegründet haben. Auch der von einem Funkamateur mitgeschnittene Polizeifunk am Abend des 8. Oktobers 1989 in Dresden, in dem Pappermanns Stimme auftauchen soll, ist für Zeller kein Beweis. 

Der Rufname beziehe sich auf eine Polizeieinheit aus Halle. Zudem sei der Mitschnitt kein originaler Funkverkehr, sondern ein Zusammenschnitt, eine Toncollage. Das bestätigte auch die auf Echtheitsuntersuchungen von Video- und Audiodateien spezialisierte Dresdner Firma Dence GmbH.

Zeithistoriker Zeller vermutet eher hinter dem damaligen Einsatzleiter der Volkspolizei auf der Prager Straße Oberstleutnant Bernd Prager den eigentlichen Akteur, der auf die Demonstranten zuging. Der Name Prager ist in den DDR-Dokumenten mehrfach verbrieft. Prager selbst hatte sich bisher nicht zu den Vorgängen geäußert.

Ex-VP-Oberleutnant Detlef Pappermann kam gemeinsam mit Frank Richter zur Sächsischen Zeitung. Pappermann sagte, er war „lediglich als persönlicher Führungsgehilfe, eine Art Navigator, des kommandierenden Offiziers der 6. VP-Bereitschaft Halle eingesetzt“.

Sein Rufname war Hermelin 34100. Im zusammen geschnittenen Tondokument sei Pappermanns Stimme und Wortwahl deutlich zu erkennen (Minute 1:44 bis 2:01). Der phonetische Typus von Personen aus Halle sei ein anderer.

Weshalb der Name Pappermann in den Dokumenten nicht auftauche, habe mit seiner besonderen Rolle zu tun. Er war Mitglied der Diensteinheit IX der Bezirksbehörde der VP Dresden. Das war so eine Art Spezialeinheit zur Bekämpfung von Gewaltakten, etwa 110 Mann stark.

Ihre Mitglieder waren fast alles Offiziere. Pappermann: „Namen der Angehörigen dieser Einheiten sind nirgendwo in Dokumenten genannt.“ Das hänge mit dem hohen Grad der Geheimhaltung zusammen.

Dass er mit Richter nicht gesprochen habe können, weil es die Dokumente nicht bestätigten, sei deshalb falsch, so Pappermann. Es gebe genügend Zeugen des Moments. Oberstleutnant Prager kam erst nach den Funksprüchen auf die Prager Straße. Da war die Auswahl der Gruppe der 20 bereits im Gange.

„Richter und Leuschner haben nie behauptet, Bürgerrechtler zu sein"

„Ich bin mir felsenfest sicher, dass ich selbst den Namen Frank Richter auf einen A4-Zettel schrieb, da ich alle Namen der insgesamt 25 Personen aufschrieb“, sagte Pappermann. Der karierte Zettel stamme übrigens aus dem Notizbuch von Oberstleutnant Prager. Dieses Dokument ist heute nicht mehr auffindbar.

Maßgeblich für die Bildung der Gruppe der 20 war, so Pappermann, das Auftreten der Kaplane Frank Richter und Andreas Leuschner. „Richter und Leuschner haben nie behauptet, Bürgerrechtler zu sein. Diesen Status haben ihnen Geschichtsschreibung, Medien und Interessengruppen zugeschrieben.“

Allerdings bestätigte Pappermann auch, dass sie von der Polizei einen schutzwürdigen Status aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur katholischen Kirche erhielten. Erleichternd für die Gespräche zwischen der Polizei und Demonstranten wirkte sich eine gewisse Abgeschlagenheit der Polizeieinheiten aus. Zudem setzte sich in den Führungsstäben die besonneneren Kräfte um den damaligen SED-Bezirkschef Hans Modrow durch.

Dass es hätte auch anders kommen können, durch Einsatz von Schusswaffen beispielsweise, bestätigte Pappermann. Unterhalb dieses letzten Mittels verfügte die Polizei über Waffensysteme, von denen bislang nichts bekannt war. Die DDR kaufte ein Mehrzweckschussgerät der britischen Firma Anfield, das Reizgas über eine größere Entfernung verschießen kann und bereits in Nordirland erprobt war.

Prager Straße, 8.10.1989: Die Schilde seien auf sein Zeichen hin gesenkt worden, sagt Detlef Pappermann. Ein Zeichen des guten Willens.
Prager Straße, 8.10.1989: Die Schilde seien auf sein Zeichen hin gesenkt worden, sagt Detlef Pappermann. Ein Zeichen des guten Willens. © Pohl

So konnten sechs bis acht Schuss hintereinander abgefeuert und größere Demonstrationsgruppen aufgelöst werden. Diese Technik war damals auch in Dresden verfügbar. „Wir hätten die Gasgranaten verschießen können, wenn es befohlen würde und damit einen großen Platz räumen“, sagte Pappermann.

Kurzzeitig wäre dieses Szenario wohl einmal erwogen worden. Zum Glück passierte das aber nicht. „Der Einsatz der Waffe wäre auch nicht verhältnismäßig gewesen, denn er hätte viele Verletzte gefordert, auch Kinder.“

Frank Richter sagte, es gebe genügend Quellen, die seine und Pappermanns Version der Ereignisse des 8. Oktobers 1989 bestätigen. Dennoch würde er sich gern einem Symposium mit kritischen Fragen, zu dem Historiker Zeller eingeladen ist, in Meißen stellen.

Die Lehren aus der Geschichte sind, dass Menschen in neuen Situationen neu denken müssen. Der andere ist nicht mein Feind, sondern Partner in einer neuen Situation. Richter: „Die vielen Betonköpfe in der SED haben die Revolution nicht verhindert. Wenige intelligente, entschlossene, aber friedfertige Menschen reichten aus, um etwas Großes und Neues zu schaffen.“

Das findet den Beifall des Meißner SPD-Chefs Eyk Schade. Auf dem Symposium sollte auch der aktuelle Zustand der Demokratie in unserem Land diskutiert werden.

Den Mitschnitt des Polizeifunks vom 8.10.1989 als Toncollage gibt es hier zu hören.