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Auch Spinner können gefährlich werden

Der von einer Terrorzelle geplante Staatsstreich ist ein Fantasiegebilde. Trotzdem muss der Reichsbürger-Truppe das Handwerk gelegt werden.

Von Karin Schlottmann
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Heinrich Reuß, Chef der Terrorzelle, bei seiner Festnahme in Frankfurt/Main.
Heinrich Reuß, Chef der Terrorzelle, bei seiner Festnahme in Frankfurt/Main. © dpa/Boris Roessler

Zugegeben, es fällt nicht ganz leicht, sich diesen grauhaarigen Prinzen in seinem Thüringer Jagdschloss als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung vorzustellen. Der Senior im Tweed-Jackett wirkt eher wie ein Spinner, der nichts als abstruse Ideen im Kopf hat. Sogenannte Reichsbürger wie der Prinz und sein Gefolge erkennen die Rechtsordnung nicht an, verweigern Steuerzahlungen und erschweren die Arbeit von Behörden und Gerichten. Sie sind, so möchte man glauben, vor allem ein Fall für den Psychiater.

Offensichtlich reicht einem Teil der Szene die bloße Provokation nicht mehr aus. Nach Erkenntnissen der Ermittler hat sich ein enges Netzwerk aus Reichsbürgern und einigen AfD'lern gebildet, das an einem gewalttätigen Systemwechsel auf allen Ebenen in Deutschland gearbeitet hat. Es ist wohl nicht allein der 72-jährige Heinrich Reuß, der den Generalbundesanwalt zum Einschreiten gezwungen hat. Angehörige der Gruppierung sollen auch frühere Polizeibeamte und Bundeswehrsoldaten gewesen sein, von denen einige Spezialkenntnisse und Zugang zu Waffen hatten. Mindestens 120 Menschen haben von den Plänen gewusst. Keiner wandte sich an die Polizei.

Wie konkret war die Gefahr, die von der Gruppierung ausging? Es gab erschreckend präzise Vorstellungen der Beschuldigten für das, was sie die Übergangsregierung nannten. Die Ideen reichten von der Beschaffung von Ausrüstung, Schießtrainings, Rekrutierung neuer Mitglieder bis hin zur Bildung militärisch organisierter „Heimatschutzkompanien“. Diese sollten nach einem „Umsturz“ politische Gegner festnehmen und exekutieren. Besonders absurd mutet es an, dass den Hauptverdächtigen bereits „Ministerämter“ versprochen worden waren.

Trotzdem bleibt der Staatsstreich ein Fantasiegebilde in den Köpfen der Beschuldigten. Die Demokratie war nicht in Gefahr. Sehr viel konkreter waren aber wohl die Vorbereitungen eines bewaffneten Sturms auf den Bundestag. Wer sich an die Ereignisse vor fast drei Jahren erinnert, als von Donald Trump aufgestachelte Rechtsextremisten das Capitol in Washington stürmten, hat eine Vorstellung davon, wozu eine aufgehetzte Menschenmenge fähig ist. Selbstverständlich stehen weder der Bundestag noch andere Institutionen Attacken wehrlos gegenüber. Aber schon der Verdacht, eine militärisch vorgebildete Terrorgruppe könnte ein Blutbad im Bundestag planen, rechtfertigt konsequentes Durchgreifen.

Die Lehre aus dem NSU

Man fragt sich, was den Prinzen und seine Leute hat vermuten lassen, dass ihnen bei einem „Putsch“ breite Massen der Bevölkerung folgen würden. Die Hintergründe sind derzeit noch ungeklärt, aber dass Menschenleben in Gefahr waren, ist sehr wahrscheinlich. Der Generalbundesanwalt geht nach den bisherigen Ermittlungen davon aus, dass Mitglieder der mutmaßlichen Terrorgruppe Tote und Verletzte in Kauf genommen hätten. Schon aus diesem Grund führte an den Verhaftungen kein Weg vorbei.

Die Ermittlungsbehörden werden sich nach dem Versagen im Fall der rechtsextremen Terrorgruppe NSU nie wieder dem Vorwurf aussetzen wollen, die Gefahr von Rechts unterschätzt zu haben. Eine Reihe rechtsextremistischer Gruppierungen ist in den vergangenen Jahren nach Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte strafrechtlich verfolgt worden, auch in Sachsen. Mitglieder und Unterstützer sind zu Haftstrafen verurteilt worden. Und dabei sind die Täter in einem Fall nicht einmal über das Planungsstadium hinausgekommen.

Bei der jetzt aufgeflogenen Reichsbürger-Gruppierung mit gut 20 Beschuldigten geht es um sehr schwerwiegende Vorwürfe. Ja, einige der bisher bekannt gewordenen Figuren rufen Spott hervor. Der alte Prinz, die Richterin mit Sportschützen-Lizenz, der Hotelkoch, eine Astrologin, die Russin, die in Leipzig Kontakte zum russischen Konsulat suchte: Sie alle jagen einem zunächst keine großen Schrecken ein. Bekannt ist aber eben auch, dass Polizeibeamte und frühere Bundeswehrsoldaten involviert waren; Waffen und größere Geldbestände wurden gehortet. Abwarten war in diesem Fall keine Option.

Mehr Investitionen in die Sicherheit

Die Ermittlungen sind längst nicht abgeschlossen. Aber es liegt auf der Hand, dass die Dynamik, die von einer solchen Gruppe in Gang gesetzt wird, höchstgefährlich sein kann, auch wenn nicht alle Beteiligten selbst handeln können oder wollen. In einem Terror-Verfahren kommt es darauf an, ob die Verdächtigen eine feste Gruppe bildeten, der sich die Mitglieder unterordnen und ob diese Gruppe den gemeinsamen Willen hatte, schwere Straftaten wie Mord oder Totschlag zu begehen.

Es gibt schon Vorschläge aus der Politik, welche Konsequenzen aus dem Fall zu ziehen sind. Dazu zählen ein strengeres Waffenrecht und eine Überprüfung von Mitarbeitern in Sicherheitsbehörden. Überzeugend ist das nicht. Keiner dieser Schritte würde verblendete gewaltbereite Ideologen von ihrem Tun abhalten. Ermittlungserfolge wie dieser sind vor allem das Ergebnis der aufwendigen Arbeit von Polizei, Verfassungsschutz und Justiz. Die Politik sollte sich also eher die Frage stellen, ob diese Institutionen ausreichend ausgestattet sind qualifiziertem Personal, moderner Technik und rechtlichen Befugnissen.