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Groß-Demo am Samstag in Dresden: Brandmauer gegen Rechts

Zehntausende strömen in Dresden auf den Theaterplatz, weil sie sich um die Demokratie sorgen. Auf den Straßen in Berlin, Dippoldiswalde und anderen Orten melden sich ganz normale Menschen zu Wort. Sie erzählen, warum sie demonstrieren.

Von Maximilian Helm & Gunnar Klehm & Connor Endt & Johannes Frese & Jonas Niesmann
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Mehrere Zahntausend Menschen kamen am Sonnabend auf dem Theaterplatz vor der Semperoper in Dresden zusammen, um sich gegen Rechts zu positionieren.
Mehrere Zahntausend Menschen kamen am Sonnabend auf dem Theaterplatz vor der Semperoper in Dresden zusammen, um sich gegen Rechts zu positionieren. © Archiv: ronaldbonss.com

Die Musiker auf der Bühne haben es am Sonnabend besonders eilig. Die deutschlandweit bekannte Band "Revolverheld" spielt bereits, da strömen noch die Menschenmassen auf den Theaterplatz vor der Semperoper in Dresden. Wer erst kurz nach 13 Uhr ankommt, hört nur noch die letzten Klänge. Aber das stört niemanden. Die Teilnehmer der Kundgebung eint nicht ihr Musikgeschmack, sondern alle wollen die Demokratie verteidigen, gegen Rechtsradikalismus demonstrieren.

Zu den Älteren, die auf dem Platz stehen, gehört Gerhard Breiter. "Ich bin auch nicht regierungskonform, aber gegen Rechts muss man sich schon mal positionieren", sagt der 73-jährige Dresdner. Das sei er auch früheren Generationen schuldig. Ein Verwandter von ihm wurde in der Nazi-Diktatur als Kommunist ins KZ gesteckt, weil er damals beim Plakatekleben erwischt wurde, auf denen stand: "Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!". Zum Theaterplatz wäre Gerhard Breiter auch gekommen, wenn die Kundgebung weniger groß aufgezogen gewesen wäre.

Mehr als 200 Organisationen hatten zur Teilnahme aufgerufen. Zehntausende waren gekommen. "Eigentlich müssten doch 95 Prozent der Bevölkerung hier sein. Fast alle lehnen doch Rechtsextremisten und Faschismus ab, wenn Gespräche auf dieses Thema kommen", sagt Breiter.

Demonstranten in Dresden: Respektvoller Umgang

Doch diese Gespräche fänden immer seltener statt. Viele Menschen würden sich nur noch in kleinen privaten Kreisen und Social-Media-Blasen bewegen, in denen gebetsmühlenartig dieselben, immer wiederkehrenden Behauptungen verkündet werden. Bis man sie glaubt oder sie Bestätigung für die eigene Auffassung sind.

Das bewegt auch Heike Schaffer-Röhricht und Stephan Röhricht sehr. Sie stehen für die Zukunft ihrer Enkel auf dem Theaterplatz. „Man muss die Menschen am Herzen packen“, sagen sie unisono. Wie herausfordernd das ist, erlebt das Ehepaar in der eigenen Familie. „Das größte Streitthema ist die Migration“, sagt Stephan Röhricht. Trotz unterschiedlicher Ansichten ist es ihnen wichtig, den Kontakt nicht abbrechen zu lassen und respektvoll im Umgang zu bleiben.

Warnung vor EU-Austritt

Nach kurzen Redebeiträgen auf der Bühne, die vor der Gefahr von rechtem Gedankengut warnen, spielt die Band Ätna, ein Elektro-Duo aus Dresden. Die Jugend tanzt dazu, die Älteren wippen im Takt. Auf dem Platz treffen sich alle Generationen. Familien mit Kinderwagen oder Freundeskreise sind genauso unterwegs wie Pärchen.

Anders als noch bei der ersten spontanen Demonstration in Dresden vor zwei Wochen, als auch schon Zehntausende auf die Straße gingen, ist dieses mal alles professioneller organisiert, sind die Veranstalter auf die Massen vorbereitet. Auch in den hinteren Reihen kann man das Gesagte aus Lautsprechern verstehen.

Auf einer Großleinwand werden Bilder vom Platz und der Bühne übertragen. Nur die Videoschalte zur parallel stattfindenden Kundgebung in Berlin geht technisch etwas schief. Politiker sprechen keine. Vermisst werden sie offenbar auch nicht.

Viel Beifall heimst Unternehmer Dirk Röhrborn vom Verband Silicon Saxony ein. In seiner kurzen und prägnanten Rede macht er darauf aufmerksam, dass auch Unternehmen wütend seien, vor allem wegen der ausufernden Bürokratie. Doch ein EU-Austritt und vor allem das Unterbinden von Migration, wie es Rechte fordern, sei keine Lösung. "Ohne Demokratie, ohne Rechtsstaat, ohne Europa wird es keine Freiheit und keinen Wohlstand für uns alle hier geben", ruft er in das Mikrofon. Er sorgt sich, dass der schlechte Ruf Sachsens ausländische Fachkräfte abhält, die seine Branche so dringend braucht.

Singen verbindet

Der Gänsehautmoment ist dann ein eher leiserer, kurz bevor sich nach mehr als einer Stunde der Kundgebung der Demonstrationszug auf den Weg übers Terrassenufer zur Synagoge machte. Fast sanft wird das bekannte Kinderlied "Hejo, spann den Wagen an" angestimmt, allerdings mit anderem Text. Statt lauthals wird eher summend gesungen: "Wehrt euch, leistet Widerstand, gegen den Faschismus, hier in uns'rem Land, auf die Barrikaden, auf die Barrikaden ...". Am Ende bauen sich die Stimmen der Tausenden auf wie eine Wand.

Das passt an diesem Nachmittag zum alle verbindenden Motto. Als sich die Demonstration in Bewegung setzt, dauert es fast eine halbe Stunde, bis sich auch das Ende des Zuges vom Theaterplatz wegbewegt. Da schwenkt die Spitze mit ihrem Banner "NIE WIEDER IST JETZT - Wir sind die Brandmauer" bereits von der Sankt Petersburger Straße auf die Wilsdruffer Straße Richtung Altmarkt ein.

Heike Schaffer-Röhricht und Stephan Röhricht war es wichtig gewesen, ein respektvolles Plakat zu malen. Nicht gegen, sondern für etwas zu sein.
Heike Schaffer-Röhricht und Stephan Röhricht war es wichtig gewesen, ein respektvolles Plakat zu malen. Nicht gegen, sondern für etwas zu sein. © ronaldbonss.com
Olaf und Katja Seifert wollten in Dresden zeigen, dass es auch viele Menschen gibt, die anderer Meinung als die AfD sind – für Demokratie, für Menschenrechte. "Unsere Eltern sind Sudentendeutsche und mussten selbst fliehen, wir wissen, wie es ist, vertrieben zu werden. Bald sind hier Wahlen, und der Gedanke an eine Regierungsbeteiligung der AfD macht uns Angst."
Olaf und Katja Seifert wollten in Dresden zeigen, dass es auch viele Menschen gibt, die anderer Meinung als die AfD sind – für Demokratie, für Menschenrechte. "Unsere Eltern sind Sudentendeutsche und mussten selbst fliehen, wir wissen, wie es ist, vertrieben zu werden. Bald sind hier Wahlen, und der Gedanke an eine Regierungsbeteiligung der AfD macht uns Angst." © ronaldbonss.com
Luise Thalheim, Kay Fischer und die Kinder Mya und Lilly: „Ich arbeite im International Office der TU und bekomme selbst mit, wie ausländische Studierende beleidigt werden", sagt Kay Fischer. Eine Studentin habe ihm erzählt, ihr sei im Vorbeigehen von einem AfD-Infostand in Meißen ‚Ausländer raus‘ hinterhergerufen worden. "Wir sind hier, um zu sagen: Jetzt ist Schluss! Wir in Dresden sind bunt, und das soll auch so bleiben. Andere Kulturen bereichern uns doch! Ich hatte schon schlaflose Nächte vor Angst, es könnte wieder wie 1933 werden, und ich hätte nichts dagegen getan“, sagt er.
Luise Thalheim, Kay Fischer und die Kinder Mya und Lilly: „Ich arbeite im International Office der TU und bekomme selbst mit, wie ausländische Studierende beleidigt werden", sagt Kay Fischer. Eine Studentin habe ihm erzählt, ihr sei im Vorbeigehen von einem AfD-Infostand in Meißen ‚Ausländer raus‘ hinterhergerufen worden. "Wir sind hier, um zu sagen: Jetzt ist Schluss! Wir in Dresden sind bunt, und das soll auch so bleiben. Andere Kulturen bereichern uns doch! Ich hatte schon schlaflose Nächte vor Angst, es könnte wieder wie 1933 werden, und ich hätte nichts dagegen getan“, sagt er. © ronaldbonss.com
Die Band Banda Communale rief dazu auf, auch in kleineren Städten Kundgebungen zu organisieren und sie zu unterstützen, wie sie selbst. Am Sonntag spielten sie etwa in Dippoldiswalde.
Die Band Banda Communale rief dazu auf, auch in kleineren Städten Kundgebungen zu organisieren und sie zu unterstützen, wie sie selbst. Am Sonntag spielten sie etwa in Dippoldiswalde. © Matthias Rietschel
Ulrike Witting war mit Romy und Ida bei der Kundgebung dabei. „Wir demonstrieren für eine gute Zukunft, ein respektvolles Miteinander und gegen Ausgrenzung. Wir wollen, dass jeder so sein kann, wie er ist. Ich finde es schön, dass hier heute die ganze Gesellschaft vertreten ist", sagt die Mutter. Sie spreche viel mit ihren Kindern über das, was gerade in Deutschland passiert. Sie fragten dann zum Beispiel, was mit ihrer nepalesischen Klassenkameradin passieren würde, wenn die AfD an der Macht wäre.
Ulrike Witting war mit Romy und Ida bei der Kundgebung dabei. „Wir demonstrieren für eine gute Zukunft, ein respektvolles Miteinander und gegen Ausgrenzung. Wir wollen, dass jeder so sein kann, wie er ist. Ich finde es schön, dass hier heute die ganze Gesellschaft vertreten ist", sagt die Mutter. Sie spreche viel mit ihren Kindern über das, was gerade in Deutschland passiert. Sie fragten dann zum Beispiel, was mit ihrer nepalesischen Klassenkameradin passieren würde, wenn die AfD an der Macht wäre. © ronaldbonss.com
Stephan Neupert geht seit Jahrzehnten auf die Straße – gegen Atomkraftwerke, für Frieden und Klimaschutz. Das Ruhrgebiet mit seiner langen Migrationsgeschichte hat sein Plakat inspiriert, vor zehn Jahren sah er dort ein Ähnliches auf einer Demonstration. Auf die Frage, was ihn bewegt hat, zur Kundgebung zu kommen, holt er tief Luft und legt die Stirn in Falten, wie jemand, der etwas erklären muss, das eigentlich selbstverständlich sein sollte: „Die Würde des Menschen. Sie steht über allen Unterschieden der Religion und Herkunft.“
Stephan Neupert geht seit Jahrzehnten auf die Straße – gegen Atomkraftwerke, für Frieden und Klimaschutz. Das Ruhrgebiet mit seiner langen Migrationsgeschichte hat sein Plakat inspiriert, vor zehn Jahren sah er dort ein Ähnliches auf einer Demonstration. Auf die Frage, was ihn bewegt hat, zur Kundgebung zu kommen, holt er tief Luft und legt die Stirn in Falten, wie jemand, der etwas erklären muss, das eigentlich selbstverständlich sein sollte: „Die Würde des Menschen. Sie steht über allen Unterschieden der Religion und Herkunft.“ © ronaldbonss.com
Nie wieder ist jetzt, war auch das Motto der Demonstration.
Nie wieder ist jetzt, war auch das Motto der Demonstration. © Matthias Rietschel
Aus der Geschichte lernen, hieß es auch am Sonnabend in Dresden.
Aus der Geschichte lernen, hieß es auch am Sonnabend in Dresden. © Matthias Rietschel
Viele kreative Plakate waren im Demonstrationszug zu sehen.
Viele kreative Plakate waren im Demonstrationszug zu sehen. © Matthias Rietschel
Solidarität mit Geflüchteten wurde am Sonnabend in mehreren Redebeiträgen angemahnt.
Solidarität mit Geflüchteten wurde am Sonnabend in mehreren Redebeiträgen angemahnt. © Matthias Rietschel
Das kann man auch als kreative Übersetzung des Mottos "Nie wieder ist jetzt" verstehen.
Das kann man auch als kreative Übersetzung des Mottos "Nie wieder ist jetzt" verstehen. © Matthias Rietschel
Allein die Masse an Menschen machte schon vielen Mut.
Allein die Masse an Menschen machte schon vielen Mut. © Archiv: ronaldbonss.com

Auf diesem ist gerade das Winterdorf mit Eislaufbahn aufgebaut. Am Tisch vor dem Glühweinstand sagt ein Mann mittleren Alters mit Blick auf die Menschenmassen. "Ach, das ist die Demo der Linken gegen Rechts". Eine Frau sagt fast erstaunt: "Die Leute sehen ja ganz normal aus". Vereinzelt sind im Demo-Zug Fahnen von Antifaschisten und linken Splittergruppen zu sehen. Gewerkschaften haben ebenso Fahnen verteilt wie Parteien. Einen schwarzen Block mit vermummten oder aggressiven Chaoten, vor denen Kinder Angst bekommen könnten, gibt es aber nicht.

Die Demo-Organisatoren haben sogenannte Awareness-Teams im Einsatz. Da geht es darum, aufeinander zu achten. "Wir sind Ansprechpartner, wenn sich etwa jemand bei der Kundgebung bedroht oder belästigt fühlt, nicht allein gehen möchte, es ihr oder ihm nicht gutgeht oder jemand auch nur mal etwas zu trinken braucht", sagt eine der Helferinnen. Zu tun habe sie aber nichts, wie sie sagt.

Versöhnliche Worte der Bischöfe

Es ist offensichtlich, dass sich an jenem Tag auch viele Menschen, die man rein äußerlich eher der bürgerlichen Mitte zuordnen würde, in die Demonstration eingereiht haben. Aufgerufen hatten zum Beispiel auch die Kreisverbände von CDU und FDP, sowie katholische Pfarreien, die Diakonie oder der Rotary Club Dresden International.

Fast drei Stunden nach Start der Kundgebung kommt der Demonstrationszug wieder auf dem Theaterplatz an. Die Jüngeren halten noch durch, viele andere zieht es nun offensichtlich ins Warme nach Hause. So haben die Bischöfe der katholischen und evangelischen Kirche zwar etwas weniger Zuhörer als diejenigen, die am Anfang reden durften. Ihre versöhnlichen Worte gehen aber auch gut als Schlussworte beim einsetzenden Nieselregen durch.

Für die Veranstalter ist der Demotag ein voller Erfolg. „Wir haben heute gesehen, wie zum zweiten Mal super viele Leute in Dresden auf die Straße gegangen sind und gesagt haben, dass sie einen Rechtsruck nicht schweigend zulassen wollen. Das ist ein großes Zeichen, das wir heute gesetzt haben, und das freut uns natürlich“, sagt Charly Neumann vom Organisations-Team des Bündnisses „Wir sind die Brandmauer“. Sie schätzt, dass etwa 30.000 Menschen an der Demonstration teilgenommen haben. Das habe die Auswertung von Drohnenbildern ergeben.

Großkundgebung in Berlin

Dresden ist an diesem Wochenende Teil zahlreicher Aktionen, die bundesweit unter dem Motto "Wir sind die Brandmauer" veranstaltet werden. In Berlin kamen am Samstag weit über 100.000 Menschen zur Demonstration gegen Rechtsextremismus rund um den Reichstag zusammen. Angesichts dessen, dass Berlin etwa sechseinhalbmal so viele Einwohner hat wie Dresden, wird deutlich, wie groß die Mobilisierung in der sächsischen Landeshauptstadt ist. Für die Organisatoren sei besonders ermutigend gewesen, dass die große Breite der Bevölkerung vertreten gewesen sei.

Von der Bühne in Dresden wird an diesem Samstag auch appelliert, wieder mehr Gespräche zu führen, zu Hause in der Familie oder beim Sport in der Umkleide, um menschenverachtenden Positionen zu widersprechen. Wie schwer das etwa im Fußball sein kann, weiß der 73-jährige Gerhard Breiter. Mehr als 30 Jahre war er ehrenamtlich als Staffelleiter im Nordostdeutschen Fußballverband aktiv. Aber es helfe nichts, man müsse widersprechen, sagt er. Damit rechtsradikale Positionen nicht normal werden.