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Bundesrat macht Weg für Cannabis-Legalisierung frei - Sachsens Stimme ungültig

Nach vielen Debatten stimmte der Bundesrat der Legalisierung der Droge zu. Weil sich Sachsen nicht einigen konnte, wurden die Stimmen nicht gewertet.

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Martin Dulig (hinten links, SPD), Michael Kretschmer (l, CDU) und Wolfram Günther (Bündnis 90/Die Grünen) bei der Abstimmung im Bundesrat.
Martin Dulig (hinten links, SPD), Michael Kretschmer (l, CDU) und Wolfram Günther (Bündnis 90/Die Grünen) bei der Abstimmung im Bundesrat. © dpa/Bernd Von Jutrczenka

Berlin. Der Weg für die teilweise Legalisierung von Cannabis in Deutschland ist nach jahrzehntelangen Diskussionen frei. Der Bundesrat ließ am Freitag ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz passieren, mit dem zum 1. April Besitz und Anbau der Droge für Volljährige mit zahlreichen Vorgaben für den Eigenkonsum erlaubt werden. Trotz vieler Kritikpunkte gab es keine Mehrheit dafür, das Gesetz in den Vermittlungsausschuss mit dem Parlament zu schicken und so vorerst auszubremsen. Um ein Scheitern abzuwenden, hatte die Bundesregierung zuletzt noch zugesichert, einige Regelungen nachträglich zu ändern.

Die Zäsur in der Drogenpolitik kann damit in wenigen Tagen am Ostermontag in Kraft treten. Das Gesetz muss zuvor noch amtlich verkündet werden, wenn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier es unterzeichnet hat. Legal sein soll für Erwachsene ab 18 Jahren grundsätzlich der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum.

In der eigenen Wohnung sollen drei lebende Cannabispflanzen erlaubt sein und bis zu 50 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum. Kiffen im öffentlichen Raum soll unter anderem in Schulen, Sportstätten und in Sichtweite davon verboten werden - konkret in 100 Metern Luftlinie um den Eingang.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach verfolgt Kretschmers Rede im Deutschen Bundesrat.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach verfolgt Kretschmers Rede im Deutschen Bundesrat. © dpa/Bernd Von Jutrczenka

Bei der Abstimmung im Bundesrat konnte sich Sachsen nicht auf eine gemeinsame Haltung einigen. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) stimmte gegen die Legalisierung. Er plädierte für die Überweisung des Gesetzes in den Vermittlungsausschuss. Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) votierte dafür, den Entwurf der Ampel-Koalition ohne weitere Änderungen passieren zu lassen. Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig (SPD) erklärte die Stimmen Sachsens daraufhin für ungültig.

Kretschmer dagegen, Dulig dafür

In der sächsischen Koalition von CDU, Grünen und SPD gilt die übliche Vereinbarung, dass sich der Freistaat in der Länderkammer enthält, wenn sich die drei Partner nicht einigen können. Kretschmer sagte am Freitag, bei diesem sehr zentralen und persönlichen Thema dürfe es nicht um Parteipolitik oder Koalitionsarithmetik gehen. Sein ungewöhnliches Abstimmungsverhalten begründete er mit der heftigen Kritik von Ärzten sowie der Innen- und Justizminister an der Legalisierung der Droge. Bei vielen psychisch Kranken habe der Leidensweg mit Cannabis begonnen, sagte er und verwies auf Besuche in Krankenhäusern. Er habe dort Patienten gesehen, die mit einem Löffel Wasser von einem Glas ins andere gegossen hätten oder Gipsplatten mit einem Hammer zerschlügen, um beschäftigt zu sein, sagte er.

Während Spielhallen 1.000 Meter von Schulen entfernt sein müssten, dürften Cannabis-Verkaufsstellen sich in einer Entfernung von 100 Meter aufstellen, kritisierte Kretschmer. Der frühere niederländische Ministerpräsident Rutte habe ihn eindringlich davor gewarnt, den Weg der Legalisierung zu gehen. Sie mache alles schlimmer und nichts besser.

Kretschmer warf Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) demokratieschädliche Äußerungen vor. Dieser hatte die Länder und insbesondere die SPD-Minister vor einer Überweisung seines Entwurfs in den Vermittlungsausschuss gewarnt. Vernünftiges Abwägen der Argumente müsse möglich sein, sagte Kretschmer. Er äußerte die Hoffnung, dass der Konflikt keine Folgen habe für die Zusammenarbeit der Koalition in Sachsen.

Nach Kretschmers Rede meldete sich Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) in der Sitzung des Bundesrates zu Wort und kündigte an, gegen die Anrufung des Vermittlungsausschusses zu stimmen. Es gebe Spielregeln in der Koalition, die es einzuhalten gelte.

Das Gesetz von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach erlaubt nicht-kommerzielle "Anbauvereinigungen" für Volljährige. Bis zu 500 Mitglieder mit Wohnsitz im Inland dürfen Cannabis gemeinschaftlich anbauen und untereinander zum Eigenkonsum abgeben. Spätestens 18 Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes soll es eine erste Bewertung unter anderem dazu vorliegen, wie es sich auf den Kinder- und Jugendschutz auswirkt.

Streit um Amnestie-Regel

Größter Streitpunkt des Gesetzes war im Vorfeld die sogenannte Amnestie-Regel. Die sieht vor, dass bereits verhängte Haft- und Geldstrafen wegen Cannabis-Delikten beim Inkrafttreten der Neuregelung erlassen werden sollen. Die Länder befürchten dadurch eine Überlastung der Justiz.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bekräftigte, dass die Amnestie-Regelung bleiben werde, aber: "Das kann etwas langsamer umgesetzt werden. Es gibt auch keine Strafbarkeit, wenn das langsamer umgesetzt wird, für die Gerichte." (SZ/lot)

Cannabis: Wer wie im Bundesrat abstimmte

  • Für eine Anrufung des Vermittlungsausschusses beim Cannabis-Gesetz haben am Freitag im Bundesrat drei Länder gestimmt. Bayern, Baden-Württemberg und das Saarland votierten dafür, das Gesetz zu Nachverhandlungen noch einmal in das Kompromissfindungsgremium von Bundestag und Bundesrat zu schicken. Nur so wäre zumindest eine zeitliche Verzögerung des Inkrafttretens noch möglich gewesen.
  • Alle anderen Bundesländer bis auf Sachsen enthielten sich bei der Frage, ob der Vermittlungsausschuss angerufen werden soll. Somit konnte das Gesetz den Bundesrat passieren.
  • Normalerweise wird in der Länderkammer einfach per Handheben abgestimmt. Sachsen hatte aber darum gebeten, jedes einzelne Bundesland zur Stimmabgabe aufzurufen.
  • Hintergrund: Die Regierung aus CDU, SPD und Grünen in Dresden war sich zuvor nicht einig geworden, wie sie abstimmt. Das galt zwar auch für andere Länder mit Koalitionen aus Gegnern und Befürwortern der Cannabis-Legalisierung. Diese einigten sich deshalb aber auf Enthaltung.
  • Im Gegensatz dazu wollte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) für Sachsen öffentlich deutlich machen, dass er strikt gegen die Cannabis-Legalisierung ist. Er stimmte deshalb für eine Anrufung des Vermittlungsausschusses, während seine Koalitionspartner von SPD und Grünen sich für Enthaltung aussprachen. Die uneinheitliche Stimme wurde von Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig (SPD) als ungültig gewertet.
  • Das erinnert an eine spektakuläre Abstimmung im Bundesrat vor genau 22 Jahren. Beim Votum über das damalige rot-grüne Zuwanderungsgesetz am 22. März 2002 stimmte der Ministerpräsident von Brandenburg, Manfred Stolpe (SPD), mit Ja, sein Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) dagegen mit Nein.
  • Stolpes Votum wurde als Entscheidung des Landes gewertet. Doch das Verfassungsgericht stoppte neun Monate später das Gesetz und gab der Klage von sechs unionsgeführten Ländern statt, weil Länder einheitlich abzustimmen hätten.