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Rechtsstreit um die Kopfnoten in Sachsen geht weiter

Obwohl Sachsens Landtag wegen seines Falles das Schulgesetz geändert hat, klagt ein Schüler weiter gegen die Kopfnoten in seinem alten Zeugnis.

Von Karin Schlottmann
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Für dieses Zeugnis gab es bestimmt eine Belohnung. Foto: Robert Michael
Für dieses Zeugnis gab es bestimmt eine Belohnung. Foto: Robert Michael © Robert Michael (Symbolfoto)

Kevin P. zieht wieder vor Gericht. Die Schule hat er inzwischen hinter sich gelassen. Trotzdem klagt er gegen den Freistaat auf ein neues Zeugnis – ohne Kopfnoten. Mit diesem Thema hat er vor drei Jahren schon einmal ein kleines bisschen Rechtsgeschichte geschrieben.

Anlass für den Rechtsstreit mit dem Kultusministerium war sein Jahreszeugnis für die 9. Klasse in der Oberschule. Die Klassenkonferenz bewertete ihn in den Kategorien Betragen, Fleiß, Mitarbeit und Ordnung dreimal mit der Note 3 und einmal mit der Note 2. Im Halbjahreszeugnis für die Klasse 10 stand sogar eine 4. Damit, so fürchtete er, könnten Bewerbungen für seinen Wunschberuf scheitern. Er wolle ausschließlich auf Grundlage seiner schulischen Leistungen benotet werden.

Seine Eltern reichten für ihn einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Dresden gegen sein Zeugnis ein. Zum Entsetzen von Kultusminister Christian Piwarz (CDU) gaben die Richter dem Schüler Ende November 2018 recht.

Ein hochemotionales Thema

Kopfnoten stammen noch aus DDR-Zeiten und sind vermutlich auch deshalb in Sachsen ein emotionales Thema. Das Bewertungssystem hat sich seitdem weiter entwickelt. Wie die Lehrer im Einzelnen die Haltungsnoten vergeben, ist bisher wenig erforscht. Aber das Kultusministerium verlangt von ihnen, nicht nur die Klassiker Pünktlichkeit, Sorgfalt und Zuverlässigkeit zu berücksichtigen, sondern es hat auch Kriterien wie Zivilcourage, Toleranz, Gemeinsinn und Kreativität in die entsprechende Verordnung hinein geschrieben.

Viele Bildungspolitiker, die Handwerkerschaft, Eltern und der Lehrerverband verteidigen die Kopfnoten strikt gegen Kritiker, die darin wiederum ein veraltetes Instrument der Disziplinierung sehen. In der Schule gehe es nicht nur um Wissensvermittlung, sondern auch um soziale Kompetenzen, argumentierte dagegen Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) nach dem umstrittenen Gerichtsbeschluss.

Das Verwaltungsgericht hatte in seinem Beschluss bemängelt, dass das Kopfnoten-System damals nur in einer Verordnung des Kultusministeriums geregelt worden war. Dies hielten die Richter nicht für ausreichend. Immerhin übe die Schule einen großen Einfluss auf den beruflichen Lebensweg von Schülern aus. Es sei deshalb Sache des parlamentarischen Gesetzgebers, solche schwerwiegenden Eingriffe in das Grundrecht auf freie Berufswahl in einem Gesetz zu regeln und dies nicht der Kultusverwaltung zu überlassen.

Kultusminister Piwarz gab sich zuversichtlich, dass der Beschluss die nächste Instanz juristisch nicht überleben würde. Tatsächlich hob das Oberverwaltungsgericht in Bautzen die Entscheidung wieder auf. Den Kopfnoten komme im Vergleich mit den Fach-Zensuren eine geringere Bedeutung zu. Sie seien weder für den Verbleib an der Schule noch für die Versetzung erheblich. Auf die Berufswahl hätten sie nur einen indirekten Einfluss. Es sei daher kein Problem, die Kopfnoten in einer ministeriellen Verordnung zu regeln und nicht in einem Landesgesetz.

Piwarz ging dennoch lieber auf Nummer sicher. Nach intensiver Debatte inklusive einer Online-Petition des Lehrerverbandes mit Tausenden Unterschriften legte er dem Landtag einen Gesetzentwurf vor, in dem die Notenvergabe für Betragen, Fleiß, Mitarbeit und Ordnung geregelt wurde. Eine Verordnung definiert die vier Kategorien sowie die Zensuren von 1 bis 6. Zusätzlich beschloss der Landtag, dass die Kopfnoten um eine verbale Einschätzung ergänzt werden sollen.

Wiedersehen vor dem Oberverwaltungsgericht

Doch damit ist die Geschichte von Kevin P. noch nicht zu Ende. Da das Gericht bisher nur per Eilverfahren entschieden hatte, entschied es auf seinen Antrag hin gewissermaßen nachträglich, dass seine Zeugnisse mit Kopfnoten rechtswidrig waren. Das Verwaltungsgericht Dresden blieb also bei seiner Rechtsauffassung. Das Kultusministerium dagegen ging in die Berufung.

Am Dienstag heißt es deshalb wieder einmal: Kevin P. gegen den Freistaat. Der Kläger ist inzwischen volljährig. Nach der Oberschule wechselte er auf eine Fachoberschule. Nach Angaben des Oberverwaltungsgerichts geht er nicht nur ohne Eltern, sondern auch ohne Rechtsanwalt in die mündliche Verhandlung. Einen Antrag auf Prozesskostenhilfe habe das Gericht abgelehnt, weil Kevin P. die dafür erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht habe. Auch sein Antrag, die Verhandlung möge bei ihm zu Hause in Radeberg stattfinden, fand nicht die Zustimmung des Gerichts.

Der Kläger wird Mühe haben, dem Gericht zu erklären, welches Ziel er mit seinem Rechtsstreit jetzt noch verfolgt. Der Gesetzgeber hat sich ausdrücklich zu den Kopfnoten bekannt und die Regelungen im Schulgesetz verankert. Aus Sicht des Kultusministeriums hat sich die Klage ohnehin erledigt. Und auch das Oberverwaltungsgericht hat seine bisherige Auffassung über die Kopfnoten nicht geändert.