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Ob Zastrow oder Wagenknecht: Es geht nicht ohne links und rechts

Wagenknecht, Zastrow, Freie Wähler: Politik für alle "Vernünftigen" ist populär. Doch es ist ein Schwindel. Demokratie lebt von den Unterschieden. Ein Kommentar.

Von Marcus Thielking
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Verschiedene Richtungen gehören zur Demokratie, meint Sächsische.de-Redakteur Marcus Thielking.
Verschiedene Richtungen gehören zur Demokratie, meint Sächsische.de-Redakteur Marcus Thielking. © Jörg Carstensen/dpa

Am Rosenmontag ging’s mal wieder ordentlich zur Sache. Kanzler Olaf Scholz war ein „Hohlaf“ ohne Hirn. Gesundheitsminister Karl Lauterbach wurde als „Master of Desaster“ dargestellt, dem sein Experimentierkasten um die Ohren fliegt. Außenministerin Annalena Baerbock erschien als Elefant im Porzellanladen. Und CDU-Chef Friedrich Merz wurde von einer AfD-Domina gegängelt. Tätää, tätää, tätää!

So albern wie die Motivwägen beim Karneval ist Politik in Wirklichkeit nicht. Neu ist, dass aus dem närrischen Treiben Ernst wird. Spott und Hohn auf Politiker aller Parteien ist Mainstream geworden. Kein Wunder, wenn sich aus dieser Haltung heraus neue Bewegungen und Parteien gründen. So unterschiedlich diese sind, haben sie doch eines gemeinsam: Sie treten an im Namen einer „vernünftigen“ Sachpolitik, die angeblich ideologisches Parteidenken hinter sich lässt. Klingt gut? Nein, es ist ein Schwindel, der mit Demokratie nichts zu tun hat.

Politik von der künstlichen Intelligenz

Ein paar Beispiele aus jüngster Zeit: Die Ex-Linke Sahra Wagenknecht führt nun eine Partei mit einem grotesken All-in-one-Titel: „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“. Der erste Landesverband dieser Partei wird jetzt in Sachsen gegründet. Der ehemalige sächsische FDP-Chef Holger Zastrow ist aus seiner Partei ausgetreten und will eine Art politisches Super-Projekt auf die Beine stellen: „Ich stehe nicht für die Nische, sondern für eine Politik für alle und damit die Mehrheit.“

Schon länger im Geschäft mit dieser Masche sind die Freien Wähler. In Sachsen treten sie mit einem Programm an, in dem es heißt: „Unser Wahlprogramm ist als ein Angebot zur Umsetzung einer bürgernahen, vernünftigen und realistischen Politik zu verstehen.“ Spitzenkandidat Matthias Berger stellt sogar die Parteiendemokratie in Frage, spricht von „unfähigen Ideologen“ und wünscht sich ein Parlament ohne Parteien, sondern mit „ehrenamtlichen Praktikern“.

Der Traum von Politik ohne Ideologie ist so alt wie die Demokratie selbst. Doch wenn er wahr wäre: Warum dann nicht gleich das Regieren einer künstlichen Intelligenz überlassen? Es wäre ein Albtraum! Die Demokratie lebt davon, dass Menschen unterschiedliche Überzeugungen und Werte haben. Wenn Zastrow die Grünen eine „sektiererische Kraft“ nennt, dann haben wir es wohl mit einer Sekte zu tun, der immerhin Millionen Deutsche ihre Stimme gegeben haben. Millionen andere haben die FDP gewählt. Dazwischen liegen oft Welten. Man nennt es Demokratie.

Ideologen, das sind immer die anderen

Politik im Namen einer vermeintlich einzig wahren Vernunft ist selbst Ideologie. Das geht mit der Frage los, welche Instanz bitte festlegen soll, was vernünftig ist und was nicht – da fangen die Meinungsunterschiede schon an. Wer Politik „für die Bürger“ verspricht, maßt sich an, ganz genau und immer zu wissen, was alle Bürger wollen, und das auch noch zu repräsentieren und umzusetzen. Solchen Größenwahn kennt man sonst aus totalitären Regimen, in denen es konsequenterweise nur eine Einheitspartei gibt.

Das Wort Ideologie ist ein unschöner Kampfbegriff. Ideologen, das sind immer die anderen. Und doch gilt für die Demokratie auch im 21. Jahrhundert: Ganz ohne Ideologie – also ohne Weltanschauung, Überzeugung, Glauben, Standpunkt, Werte oder wie auch immer man es sonst nennen will – geht es nicht. Was ist „vernünftige“ oder „bürgernahe“ Sozialpolitik? Mehr Freiheit, mehr Wachstum, mehr Wohlstand? Oder mehr Gleichheit, mehr Umverteilung, mehr Fürsorge? Darüber streiten die Lager seit Jahrhunderten, und auch Frau Wagenknecht und Herr Zastrow werden diesen Gegensatz nicht in einer Legislaturperiode auflösen.

Der AfD, einer durch und durch populistischen Partei, muss man eines zugutehalten: Sie bekennt sich immerhin zu einem klar erkennbaren ideologischen Profil, nämlich nationalistisch und stramm rechts. Zugleich ist die AfD ein Beispiel dafür, dass Ideologien stets auch die Gefahr in sich bergen, sich zum Extremismus zu radikalisieren.

Die Ursache für das Ampel-Desaster

Demokratie lebt vom Wettstreit der Meinungen. Parlamente und Parteien mögen Erfindungen aus früheren Jahrhunderten sein – sie bleiben aber notwendig, damit demokratische Willensbildung funktionieren kann. Dazu gehören nicht zuletzt altbewährte Raster als Orientierungshilfe: Sozial, liberal, konservativ, links, rechts.

Das Ampel-Desaster hat seine Ursache letztlich darin, dass die ideologischen Gegensätze in dieser Dreierkoalition zum Teil schwer vereinbar sind. Darüber kann man jammern, aber auch diese Situation gehört zur Demokratie. Sie ist das Ergebnis der Entscheidungen ganz verschiedener Wähler mit unterschiedlichen Weltsichten. Hier hülfe nun wirklich Vernunft: Nicht als politisches Programm, sondern als Methode, mit deren Hilfe sich verschiedene Standpunkte einigen können. Klare Werte und nüchternes Regieren schließen einander nicht aus. Ein Glück, dass der Karneval vorbei ist.

In einer früheren Version dieses Textes wurde auch die Moderatorin Thi Nguyen-Kim als Beispiel genannt. Sie hat inzwischen klargestellt, dass ihre Ankündigung, in die Politik gehen zu wollen, nicht ernst gemeint sei.