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Aserbaidschan verkündet Sieg über Armenier in Berg-Karabach

Nach heftigen Angriffen haben sich die militärisch unterlegenen Armenier in Berg-Karabach ergeben. In der aserbaidschanischen Stadt Yevlax werden jetzt die Bedingungen ihrer Niederlage ausgehandelt.

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Ein beschädigtes Wohnhaus in Stepanakert nach einem aserbeidschanischen Beschuss.
Ein beschädigtes Wohnhaus in Stepanakert nach einem aserbeidschanischen Beschuss. © Siranush Sargsyan/AP/dpa

Eriwan/Baku. Einen Tag nach ihrer Niederlage sind die von Aserbaidschan angegriffenen Karabach-Armenier zu Verhandlungen in der aserbaidschanischen Stadt Yevlax eingetroffen. Der armenischen Delegation gehöre unter anderem der Parlamentsabgeordnete David Melkumjan aus der international nicht anerkannten Republik Berg-Karabach (Arzach) an, meldete die armenische Nachrichtenagentur Armenpress am Donnerstag. Die aserbaidschanische Seite teilte mit, bei dem Treffen solle es um die "Reintegration" Berg-Karabachs in Aserbaisch gehen. Als Vermittler anwesend sein sollen auch in der Region stationierte russische Soldaten.

Aserbaidschan hatte die zwar auf seinem Staatsgebiet gelegene, aber mehrheitlich von Armeniern bewohnte Südkaukasus-Region Berg-Karabach seit Dienstagmorgen mit Raketen und Artillerie angegriffen. Am Mittwoch gaben die militärisch unterlegenen Armenier auf. Viele von ihnen fürchten nun, aus ihrer Heimat vertrieben zu werden oder - wenn sie bleiben - zum Ziel aserbaidschanischer Gewalt zu werden. Durch die Kämpfe der vergangenen Tage wurden laut armenischen Medien mindestens 200 Menschen getötet und mehr als 400 weitere verletzt.

Armenische Flüchtlinge strömen in ein von russischen Soldaten betriebenes Lager. Rund 5000 Karabach-Armenier sollen aus besonders gefährlichen Orten der belagerten Region herausgebracht werden, meldet das Verteidigungsministerium in Moskau.
Armenische Flüchtlinge strömen in ein von russischen Soldaten betriebenes Lager. Rund 5000 Karabach-Armenier sollen aus besonders gefährlichen Orten der belagerten Region herausgebracht werden, meldet das Verteidigungsministerium in Moskau. © Russisches Verteidigungsministerium/dpa

Die beiden Ex-Sowjetrepubliken Aserbaidschan und Armenien kämpfen bereits seit Jahrzehnten um Berg-Karabach. Im letzten Karabach-Krieg 2020 eroberte das durch Öl- und Gaseinnahmen hochgerüstete Aserbaidschan bereits große Teile der Region.

Mit der jetzigen Niederlage der Karabach-Armenier ging eine Feuerpause einher, die seit Mittwochmittag gilt. Tatsächlich ließ die Intensität der Kampfhandlungen Angaben aus Eriwan zufolge seitdem nach. Zugleich berichtete die armenische Seite aber am Mittwochabend, aserbaidschanische Soldaten hätten Militärstellungen im Ort Sotk auf armenischem Staatsgebiet beschossen.

In Berg-Karabach selbst wiederum laufen derweil Evakuierungsmaßnahmen. Von russischer Seite hieß es, bislang seien 5000 Zivilisten aus besonders gefährlichen Orten in Sicherheit gebracht worden. Zuvor hatte auch der Menschenrechtsbeauftragte der international nicht anerkannten Republik Berg-Karabach (Arzach), Gegam Stepanjan, von der Evakuierung mehrerer Ortschaften gesprochen. Schätzungen zufolge leben in Berg-Karabach rund 100 000 Menschen.

Zukunft für Armenier in Aserbaidschan weiter ungewiss

Russland gilt traditionell als Schutzmacht des christlich-orthodoxen Armeniens, während das muslimisch geprägte Aserbaidschan auf die Unterstützung der Türkei baut. Russland hatte eigentlich zugesichert, einen nach dem letzten Karabach-Krieg 2020 vereinbarten Waffenstillstand in der Region zu überwachen. Viele Armenier werfen Moskau nun vor, sie im Stich gelassen zu haben und seiner Rolle als Schutzmacht nicht nachgekommen zu sein.

Sie kritisieren, dass russische Soldaten weder die monatelange Blockade der einzigen armenischen Zugangsstraße nach Berg-Karabach durch Aserbaidschaner verhinderten noch jetzt der aserbaidschanischen Armee entgegentraten. Proteste in Armeniens Hauptstadt Eriwan richteten sich deshalb auch gegen die russische Botschaft vor Ort.

Einen Appell an die Weltgemeinschaft sendete unterdessen auch US-Star Kim Kardashian, die selbst armenische Wurzeln hat. "Leider ist das Potenzial für einen Genozid von Armeniern in Arzach/Berg-Karabach nun noch schlimmer", schrieb sie auf der früher als Twitter bekannten Plattform X. Kardashian forderte sowohl die US-Regierung als auch andere Staaten zum Handeln auf.

EU verlangt Sicherheitsgarantien

Die EU blickt schockiert auf die Ereignisse in Berg-Karabach. Nach dem Militäreinsatz in Berg-Karabach fordert sie Sicherheitsgarantien für die dort lebenden Armenier. EU-Ratspräsident Charles Michel habe in einem Telefonat mit dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev deutlich gemacht, dass dessen Land sicherstellen müsse, dass ethnische Armenier respektiert würden und eine Zukunft in Aserbaidschan hätten, sagte ein ranghoher EU-Beamter am Donnerstag. Für diejenigen, die Berg-Karabach verlassen wollten, müssten Bedingungen für eine sichere und freiwillige Ausreise geschaffen werden.

Zur Positionierung Aliyevs in dem Gespräch sagte der Beamte, dieser habe eine internationale Vermittlung in dem Konflikt abgelehnt und nochmals bekräftigt, dass der Militäreinsatz gerechtfertigt gewesen sei. Aserbaidschan sei demnach nun daran interessiert, die "Wiedereingliederung" des Gebiets fortzusetzen und würde eine Amnestie für diejenigen in Erwägung ziehen, die ihre Waffen niedergelegt hätten.

Zu einer möglichen Antwort der EU auf die Entwicklungen sagte Michel nach Angaben des Beamten, es habe bereits Diskussionen über unterschiedliche Optionen gegeben. Die Mittel, die die Regierung in Aserbaidschan genutzt habe, seien schlicht und einfach inakzeptabel. Nach Angaben von EU-Diplomaten reichen die Optionen von einem Einberufen des Botschafters über das Aussetzen von Kooperationsformaten bis hin zu Sanktionen.

Das Thema ist für die EU brisant, weil sie eigentlich die Gasgeschäfte mit dem Land weiter ausbauen will, um sich unabhängig von russischen Energielieferungen zu machen. Nach einer im Sommer 2022 von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Präsident Aliyev unterzeichneten Absichtserklärung soll die Liefermenge für die EU ab 2027 mindestens 20 Milliarden Kubikmeter pro Jahr betragen. In diesem Jahr sollen rund zwölf Milliarden Kubikmeter Gas fließen, nach nur etwa acht Milliarden Kubikmetern in den Jahren zuvor.