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„Deutschland kann noch mehr machen“: Angehörige der deutschen Hamas-Geiseln klagen an

Yarden Roman-Gat ist eine von acht deutschen Staatsbürgern, die von den Hamas entführt wurden. Ihre Familie fordert mehr Einsatz von Deutschland. Und ist nicht die einzige.

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Yarden Roman-Gat mit ihrer  dreijährigen Tochter.
Yarden Roman-Gat mit ihrer dreijährigen Tochter. © Roni Romann

Von Saara von Alten

Die letzten Fotos von Yarden Roman-Gat zeigen eine lächelnde Frau mit langem Haar inmitten ihrer Kleinfamilie: Wie sie mit Mann und Kind auf einer Picknickdecke liegt. Oder wie sie am Strand, mit einem Blumenkranz auf dem Kopf, ihre dreijährige Tochter in den Armen hält.

„Yarden ist eine liebevolle Mutter, sie ist Ehefrau, Schwester und außerdem Enkelin einer Holocaust-Überlebenden“, sagt Doron Gallia-Kind, ein enger Freund der Deutsch-Israelin, der extra nach Berlin gereist ist, um über ihr Verschwinden aufzuklären.

Am 7. Oktober wurde die 36-Jährige von Hamas-Terroristen gekidnappt und wie knapp 200 weitere Menschen in den Gazastreifen verschleppt, ebenso ihre Schwägerin Carmel Gat und ihre Schwiegermutter Kinneret Gat. Entführt wurde sie im Kibbuz Be’eri, einer der ersten Orte, an dem die Hamas am vergangenen Wochenende ein Massaker anrichtete. Die Terroristen kamen im Morgengrauen, fesselten Menschen in ihren Betten und erschossen sie.

In einem Raum pferchten sie 15 Teenager zusammen und ermordeten sie mit einer Handgranate. Sie töteten mehr als 100 Bewohner, darunter zahlreiche Kinder. Die israelische Armee habe 48 Stunden gebraucht, um den Kibbuz von den Terroristen zu befreien. Von überall her seien Hamas-Kämpfer gekommen, die sich in den Häusern versteckt hielten, sagte ein israelischer Generalmajor zu Medienvertretern. Weitere Bewohner wurden wie Yarden entführt.

Die Hamas-Kämpfer zerrten sie in einen Wagen

„Ihre Familie hat mich nach Berlin geschickt, damit die deutsche Regierung alles unternimmt, um seine Staatsbürgerin sowie weitere Geiseln zu befreien“, sagt Gallia-Kind. Gallia-Kind ist ein israelischer Künstler, der derzeit in den Niederlanden lebt. Seit vielen Jahren kenne er Yarden Roman-Gat sowie ihre Familie. Derzeit stehe er im engen Austausch mit ihrem Ehemann Alon. Dieser sei, wie ihre dreijährige Tochter, zunächst ebenfalls von den Hamas-Terroristen verschleppt worden.

Die Familie Roman-Gat, die eigentlich nahe Tel Aviv wohnt, befand sich an dem Wochenende in Be’eri, um an einer Feierlichkeit des Kibbuz teilzunehmen. „Die Terroristen haben sie nach Aussage von Alon in einen Wagen gezerrt“, erzählt Gallia-Kind. Kurz vor der Grenze nach Gaza sei die Kleinfamilie, gemeinsam mit der Mutter, aus dem Auto gesprungen, um zu fliehen.

„Yarden gab ihre Tochter in die Arme ihres Mannes. Ich glaube, das hätte jede Mutter getan“, sagt Gallia-Kind. Ihr Mann Alon sowie das dreijährige Mädchen konnten sich retten. Die junge Mutter,Yarden Roman-Gat, hätten sie zuletzt hinter einem Busch gesehen, dort habe man auch ihr Handy zum letzten Mal orten können.

Seitdem habe die Familie zahlreiche Male verzweifelt versucht, Kontakt zu ihr aufzunehmen. „Wir hoffen alle sehr, dass Yarden, diese wundervolle und liebenswerte Person, noch am Leben ist“, sagt Gallia-Kind. Yarden ist Physiotherapeutin, sie arbeitet hauptsächlich mit älteren Menschen. Sie sei außerdem, wie die Bewohner des Kibbuz, an Frieden in Nahost interessiert. „Das ist eine sehr alternative und engagierte Gemeinschaft, die sich immer für die Belange der Palästinenser eingesetzt hat“, sagt Gallia-Kind.

Nach Deutschland gereist sei Gallia-Kind, um hier Menschen dazu zu bewegen, sich für die Entführungsopfer einzusetzen und damit sie auch verstünden, dass es etwas bewirken könne, wenn Deutsche ihre Stimme erheben.

„Das ist nun die Chance in der deutschen Geschichte, dass Deutschland etwas wirklich Wichtiges und Richtiges für Israel machen kann“, sagt der 32-jährige Israeli. Dass die deutsche Außenministerin bereits nach Israel gereist sei und in den Kibbuzim mit Menschen gesprochen habe, sei ein erstes Zeichen.

„Aber die deutsche Regierung kann mehr machen, indem sie beispielsweise mit arabischen Staaten verhandelt, damit diese Druck auf die Hamas ausüben“, sagt Gallia-Kind, der während des Gesprächs für Rückfragen immer wieder mit Yardens Bruder chattet. Auch andere Verwandte von deutsch-israelischen Entführungsopfern hatten bereits bei Baerbocks Besuch an die Außenministerin appelliert, dass Deutschland dringend mehr unternehmen müsse. Sie alle dringen auf mehr Aufmerksamkeit.

Zum Ende kommt eine schlechte Nachricht

Gemeinsamen mit Yardens Familie haben Gallia-Kind und andere Bekannte von Opfern eine Social-Media-Kampagne gestartet. Um mit Videos und den Hashtags #BringYardenHome und #BringthemHome Aufmerksamkeit für die 199 israelischen Geiseln zu erwirken. „Wir sind dankbar über jeden, der Yardens Schicksal und das der anderen teilt – damit wir sie hoffentlich lebend wiedersehen“, sagt er.

Andere Israelis haben in Berlin-Mitte und in Prenzlauer Berg Plakate mit Fotos der Entführten aufgehängt. Gallia-Kind zeigt sich darüber entrüstet, dass diese Plakate teils zerstört und übermalt wurden.

„Es ist schlimm, dass ich als Israeli auf den Straßen Berlins Angst haben muss, Hebräisch zu sprechen“, sagt er. Dabei wollten sich Juden endlich sicher fühlen. Nun könnten sie das auch nicht mehr im eigenen Land.

Außenministerin Annalena Baerbock sagte in der ARD, dass die Situation der acht deutschen Geiseln eines der Hauptthemen ihrer Besuche in Israel und Ägypten gewesen sei. Ein kleines Team im Auswärtigen Amt beschäftige sich zudem „rund um die Uhr damit, die Geiseln freizubekommen“. Kontakt zu den Entführten gebe es keinen.

Kurz vor Veröffentlichung dieses Artikels erhält Doron Gallia-Kind die Nachricht, dass der tote Körper, der ebenfalls entführten Schwiegermutter von Yarden, Kinneret Gat, gefunden worden sei. Mehr Informationen hat er zu diesem Zeitpunkt nicht.