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Hebamme aus Wachau: "Viele entscheiden sich hier für drei Kinder"

Rund 60 Kindern hilft Marthe Stein jährlich für einen guten Start ins Leben. Dass ihr Beruf so schlecht bezahlt wird, findet sie schade. Doch Hebammen streikten eben nicht.

Von Siri Rokosch
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Hebamme Marthe Stein (l.) und Jana Jahn beim Abhören mit Hörrohr.
Hebamme Marthe Stein (l.) und Jana Jahn beim Abhören mit Hörrohr. © Christian Juppe

Wachau. Hebamme Marthe Stein aus Wachau liebt ihren Beruf. "Ich wollte nie etwas anderes machen", sagt sie. Doch wie Kolleginnen mit Hauskredit, eigener Praxis und großem Auto finanziell um die Runden kommen, sei ihr ein Rätsel. Denn bezahlt würden die Hebammen immer noch schlecht.

Arbeiten an sieben Tage in der Woche

Marthe Stein arbeitet auf selbstständiger Basis, wie die meisten ihrer Kolleginnen im Rödertal auch, sieben Tage in der Woche, denn Babys kennen kein Wochenende. Täglich ist sie zwischen fünf und zehn Stunden bei Schwangeren und Wochenbettlerinnen im Rödertal unterwegs. Sie mache nur Hausbesuche, denn sie möchte die Praxiskosten sparen und könne sich so besser auf die Familien einstellen.

Für die Hausbesuche müsste sie eigentlich, würde sie gut verdienen wollen, 15 Minuten pro Frau einplanen, sagt Marthe Stein. Doch so können sie nicht arbeiten. Die Betreuung der Schwangeren und jungen Mütter würde viel mehr Zeit in Anspruch nehmen und nur "nach Bauch und Brust zu gucken" reiche einfach nicht aus und genüge ihren Ansprüchen einer guten Betreuung nicht, sagt die Hebamme, die seit 2005 in ihrem Traumberuf arbeitet. Das Baby müsse ja auch im Gesamtbild der Familie betrachtet werden.

Sie betreut die Frauen vom Beginn der Schwangerschaft an, über das zwölfwöchige Wochenbett hinaus, über die Stillzeit hinweg, bis hin zu den Rückbildungskursen für die jungen Mütter. Zudem komme auch die Betreuung von Familien mit Pflegekindern im Säuglingsalter hinzu, ebenso wie die Begleitung junger Eltern nach Fehlgeburten, erklärt Stein.

"Kein Baby ist besonders süß"

Für Marthe Stein ist das der schönste Beruf überhaupt. Zwar gebe es auch ab und zu weniger schöne Erlebnisse, doch gemeinsam mit den Familien würden auch die schweren Zeiten gut überstanden.

Besonders findet sie, dass vor allem im Rödertal viele Familien mehr als die 1,5 Kinder im Durchschnitt haben. "Viele entscheiden sich hier für drei Kinder. Es gibt aber auch Familien mit sechs oder sogar acht Kindern", erzählt die Hebamme. Dabei gebe es aber kein Baby, welches besonders süß sei, denn alle Kinder sind etwas Einzigartiges und jede Familie sei so spannend und individuell, egal ob arm oder reich, dass Marthe Stein immer wieder begeistert sei, die kleinen Neuankömmlinge in dieses neue Leben zu begleiten.

Drei Frauen habe sie bislang betreut, welche sich zu alleinigen Geburten, ohne Unterstützung durch Hebammen oder Ärzte entschieden. "Das ist selten, aber es kommt vor. Die meisten Frauen gehen immer noch in die Klinik, aber gerade während Corona hatten sich auch viele entschieden, Geburtshäuser zu nutzen, da sie nicht wussten, wer alles zur Geburt mitkommen darf", erzählt die erfahrene Hebamme.

Ohne Kinder gibt es keine Zukunft, sagt sie und wundert sich darüber, dass ihr Berufszweig keine größere Würdigung erhält. "Es fällt mir schwer, dafür die politischen Gründe zu verstehen", sagt Stein. Offensichtlich fehle das Bewusstsein für diesen Lebensabschnitt, vermutet sie.

Kosten für Versicherungen und Lebenshaltung weiter gestiegen

Die letzten Gehaltsverhandlungen gab es 2017, indiziert vom Deutschen Hebammenverband, doch inzwischen seien die Kosten für Versicherungen und die Lebenshaltung durch die Inflation und den Krieg in der Ukraine weiter gestiegen. Höhere Abrechnungspauschalen für freiberufliche Hebammen gibt es nicht. Zahlen müsse Marthe Stein unter anderem die Beruftsgenossenschaftsversicherung, die gesetzliche Rentenversicherung, die Berufshaftpflichtversicherung und die gesamte Verwaltung und die Abrechnungen, welche nur noch digital erlaubt seien. "Dafür muss ich mir Programme kaufen oder mieten und das ist sehr teuer", sagt Marthe Stein. Doch so wie sie, lieben die meisten Hebammen ihre Arbeit, und deshalb, so vermutet Stein, würden sie auch nicht auf die Idee kommen, zu streiken.

Seit drei Jahren gebe es im Rödertal genügend Hebammen. Davor sei es schwer gewesen für schwangere Frauen, eine Hebamme zu finden, doch nun sei in jedem Ort eine freiberufliche Hebamme da, sagt Stein. "Wir stehen auch in Kontakt und tauschen uns aus."

Bislang war der Beruf der Hebamme vollständig in Frauenhand, doch die Zeiten ändern sich. In Dresden gibt es nun auch einen Mann, der Hebamme ist, oder anders: "Entbindungspfleger".