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Kirchenaustritte im Rödertal: "Diesen Trend können wir nicht mehr aufhalten"

Immer mehr Menschen kehren den Kirchen den Rücken zu. Bleiben im Rödertal auch viele Kirchenbänke leer? Was die Kirchgemeinden dazu sagen.

Von Rainer Könen
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Pfarrer Johannes Schreiner, hier vor der Radeberger Stadtkirche, sieht eine zunehmende Entfremdung zwischen Kirche und Menschen. "Aber man kann auch Kirche sein, wenn wir weniger Menschen sind."
Pfarrer Johannes Schreiner, hier vor der Radeberger Stadtkirche, sieht eine zunehmende Entfremdung zwischen Kirche und Menschen. "Aber man kann auch Kirche sein, wenn wir weniger Menschen sind." © Christian Juppe

Radeberg. Ostern und Heiligabend sind traditionsgemäß überall in Deutschland die Kirchen voll. An den übrigen 364 Tagen im Jahr werden sie jedoch seit Jahren immer leerer - sowohl bei der katholischen als auch bei der evangelischen Kirche. Und wie sieht es im überwiegend protestantisch-geprägten Rödertal aus?

Im ländlichen Bereich sind die Zahlen stabiler

Pfarrer Jan Schober, der im Radeberger Kirchspiel die Gemeinden Wachau, Seifersdorf und Schönborn betreut, weiß um die Tendenz in dieser Zeit. Immer mehr Gläubige kehren den beiden Kirchen den Rücken, das ist seit Jahren so. Aber, schränkt er ein, das sei insbesondere in den Ballungszentren ein großes Problem. In ländlichen Bereichen sei dieser Trend bei weitem nicht so ausgeprägt, hier sei alles "etwas stabiler".

So gesehen, befinde er sich in seinem rund 800 Gemeindemitglieder umfassenden Sprengel "fast wie im Paradies". Es gibt nur wenige Kirchenaustritte, die Gottesdienste und andere kirchliche Veranstaltungen seien immer gut besucht.

In der evangelischen Kirchgemeinde von Ottendorf-Okrilla hingegen verliert man seit Jahren Mitglieder. Nicht rasant, aber mit einer gewissen Kontinuität. Darauf weist Maximilian Menzel, der Vorsitzende der Kirchgemeindevertretung, hin. Es seien vor allem jüngere Leute, die der Kirche den Rücken kehrten. Sie sehen Gemeinde und Kirche nicht mehr als Tradition oder als einen Wert, der gepflegt werden müsse, sagt Menzel.

Einfach nur "in der Kirche sein", wie das früher der Fall war, eine solche Haltung gebe es heutzutage kaum noch. Die kirchlichen Angebote, erzählt Menzel weiter, würden zunehmend weniger genutzt. Die Folge: Pfarrstellen werden gekürzt oder umstrukturiert, Kirchgeld- und Kirchensteuereinnahmen gehen zurück.

Aber trotz allem, das betont Menzel, werde die seelsorgerische Arbeit in Ottendorf-Okrilla aufrechterhalten. Die Gemeindearbeit solle auch künftig lebendig und engagiert sein.

Erstmals sind mehr Bürger nicht-kirchlich

In Deutschland sind seit 2022 erstmals mehr Bürger nicht-kirchlich und kein Mitglied der katholischen oder evangelischen Kirche. Weniger als die Hälfte der Deutschen ist noch Mitglied in einer der beiden Kirchen. Tendenz fallend - stark fallend.

Das zeigen auch die Zahlen, die die evangelisch-lutherische Landeskirche vor Kurzem veröffentlichte. Durch Austritte verlor die sächsische Landeskirche 2022 insgesamt 10.651 Mitglieder. Eine Zahl, die im Vergleich zu den Vorjahren deutlich gestiegen ist. Im Jahr 2021 waren es 8662 Austritte, 2020 haben insgesamt 6627 die Kirche verlassen.

Insgesamt zählte die sächsische Landeskirche am 31. Dezember 2022 610.503 Mitglieder. Die evangelischen Gemeinden im Rödertal gehören zum Kirchenbezirk Dresden-Nord. Auch hier hat die Zahl der Kirchenaustritte zugenommen: von 651 im Jahr 2019 auf 872 im Jahr 2022.

"Die Missbrauchsfälle haben das Fass zum Überlaufen gebracht"

Gründe für den Kirchenaustritt gibt es etliche - etwa, um die Kirchensteuer einzusparen. Es ist aber vor allem die Entfremdung, die zahlreiche Menschen aus der Kirche treibt. Viele fühlten sich in der Kirche einfach nicht mehr aufgehoben, nicht mehr verstanden, beschreibt es Pfarrer Johannes Schreiner. Der Pfarramtsleiter des Kirchspiels Radeberg weist darauf hin, dass "jeder Austritt eine eigene Geschichte hat".

Wenn jemand in seiner Gemeinde austrete, biete man ein Gespräch an, um zu erfahren, welche Beweggründe für den Austritt vorliegen. "Eine Offerte, die in meiner Amtszeit bisher nur zwei Mal wahrgenommen wurde", sagt Schreiner, der seit 2010 Pfarrer im Radeberger Kirchspiel ist.

Rund 3.500 Mitglieder hatte die Gemeinde vor fünf Jahren. Jetzt sind es nur noch 2.900. Natürlich habe das auch demografische Gründe, es gebe zunehmend mehr Sterbefälle, erklärt Schreiner. Nach Einschätzung des Radeberger Pfarrers schwinde die Bindekraft der Institution Kirche in der Gesellschaft zunehmend.

Das hängt auch mit den zahlreichen Missbrauchsfällen in beiden Kirchen zusammen. Die, das steht für Schreiner fest, "haben das Fass zum Überlaufen gebracht" - und zahlreiche Gläubige bewogen, aus der Kirche auszutreten.

Nach Auffassung von Pfarrer Schreiner sei das ein Trend, der nicht mehr aufzuhalten sei. Patentrezepte gegen die vielen Austritte gebe es jedenfalls keine, das hört man in diesen Tagen oft von Seelsorgern. "Aber man kann auch Kirche sein, wenn wir weniger Menschen sind", davon ist der Radeberger Pfarramtsleiter überzeugt.