Radeberg
Merken

"Durchwachsen": Radeberger Tisch blickt mit gemischten Gefühlen auf 2022 zurück

Jahresrückblick: Mehr Bedürftige, weniger Spenden - der Krieg in der Ukraine und die Inflation haben dem Radeberger Tisch in diesem Jahr arg zugesetzt. Wie die Lage aktuell aussieht.

Von Verena Belzer
 5 Min.
Teilen
Folgen
Schokoweihnachtsmänner und Lebkuchen für die Kinder: Enrico Schimpf und Ute Lange vom Radeberger Tisch zeigen Spenden, die sie kürzlich bekommen haben.
Schokoweihnachtsmänner und Lebkuchen für die Kinder: Enrico Schimpf und Ute Lange vom Radeberger Tisch zeigen Spenden, die sie kürzlich bekommen haben. © Marion Doering

Radeberg. Früher musste das Brot eingefrostet werden, weil zu viel davon da war. Doch diese Zeiten sind beim Radeberger Tisch lange vorbei. An vielen Tagen herrscht Ebbe in den Regalen. "Wir versorgen momentan etwa 350 Menschen aus Radeberg und Umgebung mit Lebensmitteln, neuerdings sind neben den vielen Ukrainern auch wieder Flüchtlinge aus Afghanistan dabei", erklärt Mirko Grätz, Chef des Tischs. "Aber an manchen Tagen müssen wir an die 20 Leute abweisen. Es ist einfach nicht genug da."

Mit welchem Problemen kämpft der Radeberger Tisch?

Die Lage des Radeberger Tischs begann sich mit Beginn des Ukraine-Kriegs dramatisch zu verschlimmern. Das hatte vor allem drei Gründe: Erstens stieg die Zahl derer, die den Tisch aufsuchen, schlagartig an. Neben Ukrainern kamen im Laufe des Jahres auch immer mehr ältere Menschen mit kleinen Renten, Geringverdiener, Flüchtende und Hartz-IV-Empfänger hinzu.

Die Liste an Bedürftigen ist lang, weil die Preise vor allem für Lebensmittel in den Supermärkten deutlich gestiegen sind. "Immer mehr Leute können es sich nicht leisten, im Supermarkt einkaufen zu gehen", sagt Grätz. Von ähnlichen Problemen berichtete unterdessen auch die Radeberger Kleiderkammer, die einen Stock über den Räumlichkeiten des Tischs in der Dr.-Rudolf-Friedrichs-Straße untergebracht ist.

Zweitens sank die Spendenbereitschaft. Der Radeberger Tisch bezieht seine Lebensmittel hauptsächlich von Großhändlern, großen Lebensmittelbetrieben und Bäckereien. Aber auch die schnüren den Gürtel enger, seit Krise ist.

"Die Bäcker backen weniger und die Händler bestellen weniger, weil auch für sie die Preise im Einkauf gestiegen sind", erklärt Grätz. "Ich verstehe das. Aber da bleibt dann abends für uns auch weniger übrig." Grätz und seine Mitarbeiter mussten in der Folge viel größeren Aufwand betreiben, um überhaupt an Spenden zu kommen. Mehr Anrufe tätigen. Briefe schreiben. Weitere Wege fahren.

Neben Grätz sind 16 weitere Frauen und Männern beim Radeberger Tisch engagiert - darunter Ein-Euro-Jobber, Bundesfreiwilligendienstler und Ehrenamtliche. Er selbst ist in Teilzeit angestellt.

Und dann ist da noch das dritte Problem: die gestiegenen Benzinkosten. "Wir müssen weitere Wege fahren, um an Essen zu kommen. Und gleichzeitig ist das Benzin so teuer." Die Konsequenz aus den gestiegenen Mehrkosten und dem Mehraufwand: Der Radeberger Tisch schränkte seine Öffnungszeiten ein und hob die Preise an - von drei Euro für eine Lebensmittel-Ration auf 3,50 Euro.

Manche Kunden klagten über die Erhöhung, doch die meisten konnten Grätz verstehen. Im Juli fasste der Chef die Lage unumwunden drastisch zusammen: "So krass wie momentan war es noch nie."

Leere Regale im Sommer: Vor allem Brot ist beim Radeberger Tisch seit Beginn des Ukraine-Kriegs oft Mangelware. Die Bäckereien backen aufgrund gestiegener Rohstoffpreise derzeit lieber zu wenig als zu viel.
Leere Regale im Sommer: Vor allem Brot ist beim Radeberger Tisch seit Beginn des Ukraine-Kriegs oft Mangelware. Die Bäckereien backen aufgrund gestiegener Rohstoffpreise derzeit lieber zu wenig als zu viel. © Marion Doering

Wie konnte die Politik dem Tisch helfen?

Im Herbst wurde die Politik auf die prekäre Situation des Radeberger Tischs aufmerksam. Die Bürgermeister von Radeberg, Arnsdorf, Wachau und Ottendorf-Okrilla setzten sich zusammen und berieten, wie sie helfen könnten. Denn der Tisch gibt nicht nur an Radeberger aus - sogar bis aus Kamenz kommen Bedürftige. Sie schätzen an der Einrichtung die unkomplizierte Ausgabe und die freundliche Art der Mitarbeiter, wie einige Kunden Sächsische.de gegenüber berichtet hatten.

Aus Radeberg wurden in der Folge rund 2.000 Euro zur Verfügung gestellt, um die Finanzierung des neuen Transporters durch Werbung zu sichern. "Auf dem neuen Fahrzeug werden verschiedene Firmen ihre Werbung präsentieren und durch diese Einnahmen kann das Fahrzeug abbezahlt werden", erklärte damals Radebergs Pressesprecher, Michael Weber. Und Oberbürgermeister Frank Höhme (parteilos) wollte sich persönlich bei Unternehmen aus der Region für den Tisch einsetzen.

Ähnliche Gespräche führte auch Wachaus Bürgermeister Veit Künzelmann (CDU). "Wir hatten dem Radeberger Tisch bereits einmalig einen Zuschuss gegeben und ich habe auch mit unseren ansässigen Firmen gesprochen, und um weitere Unterstützung gebeten."

Wie sieht die Situation beim Tisch aktuell aus?

Die ein oder andere Spende kam dann auch bei Mirko Grätz und in der Folge bei den Bedürftigen an "und auch Privatleute haben immer mal wieder etwas vorbeigebracht, worüber ich sehr dankbar bin". Jede Spende hilft.

Über die Weihnachtsfeiertage jedoch war die Lage wieder etwas angespannter. "Ich kann nicht klagen", sagt Mirko Grätz. "Aber es ist eigentlich wie das ganze Jahr über: Es könnte schon etwas mehr sein." Vor allem Wurst, Brot, Brötchen und Süßes für die Kinder fehle. Gerade den Kleinsten wolle er immer mal wieder etwas mitgeben. Über eine Schokoweihnachtsmann- und Lebkuchenspende hat er sich dann auch sehr gefreut.

Aber oft sind das nur Tropfen auf den heißen Stein, "die großen Firmen geben nichts, obwohl wir sie mehrfach angeschrieben haben. Da bekommt man noch nicht einmal eine Antwort". Derzeit seien er und einige Kollegen bis zehn Stunden am Tag unterwegs, die Lebensmittel zu beschaffen. "Ich bin dankbar, dass wenigstens die Mitarbeiter so gut mitziehen."

Wie fällt die Jahresbilanz aus? "Durchwachsen", sagt Grätz. "Es ist schon besser geworden dank der Spenden, aber es könnte deutlich besser laufen."