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"Daran kann man sterben": Das sagt eine Kinderärztin aus Dresden über Ohnmachtsspiele

In regelmäßigen Wellen tauchen in den sozialen Medien Mutproben oder "Spiele" auf, die potenziell tödlich enden können - eines davon ist das "Ohnmachtspiel", bei dem sich auch Schüler der Oberschule Rödertal gewürgt haben.

Von Verena Belzer
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Gefährliche "Spiele": An der Oberschule Rödertal in Großröhrsdorf haben sich Kinder teilweise bis zur Ohnmacht gewürgt.
Gefährliche "Spiele": An der Oberschule Rödertal in Großröhrsdorf haben sich Kinder teilweise bis zur Ohnmacht gewürgt. © Symbolfoto: dpa

Radeberg/Dresden. Die Bestürzung und die Angst waren groß, als Ende Juni Berichte die Runde machten, dass sich Schüler an der Oberschule Rödertal teilweise bis zur Ohnmacht gewürgt hatten - sie hatten das als "Spiel" aufgefasst. In sozialen Medien wird es als "Ohnmachtsspiel" oder "Pilotenspiel" bezeichnet.

Warum die Kinder sich selbst die Luft abschnüren, warum dieser absichtlich herbeigeführte Sauerstoffmangel tödlich enden kann und was Eltern und Schulen tun können, darüber haben wir mit Dr. Carolin Stegemann gesprochen. Die Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin hat an der TU Dresden und in Südafrika Medizin studiert. Sie arbeitet seit 2011 am Städtischen Klinikum Dresden Neustadt und ist Mutter eines Sohnes.

Frau Stegemann, an der Oberschule Rödertal haben sich Schüler teilweise bis zur Ohnmacht gewürgt. Was hätten Sie Ihrem Kind gesagt, wenn es dabei gewesen wäre?

Ich würde mit meinem Kind offen darüber reden und ihm ganz klar die Gefahren erläutern, die solche Spiele mit sich bringen.

Was sind die Gefahren?

Diese Ohnmachtsspiele führen zu einem Sauerstoffmangel, der im Gehirn zu Nervenschädigungen führen kann.

Was bedeutet das konkret?

Mit jedem Sauerstoffmangel sterben unwiderruflich Nervenzellen ab. Das kann je nach Kind oder Jugendlichem verschiedene Folgen haben.

Carolin Stegemann ist Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin am Städtischen Klinikum Dresden Neustadt. Sie rät Eltern unter anderem, sich über das Internetportal Klicksafe.de zu informieren.
Carolin Stegemann ist Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin am Städtischen Klinikum Dresden Neustadt. Sie rät Eltern unter anderem, sich über das Internetportal Klicksafe.de zu informieren. © privat

Können Sie Beispiele für Folgeschäden nennen?

Durch den Sauerstoffmangel kann es zu epileptischen Krampfanfällen kommen, die wiederum einen weiteren Sauerstoffmangel bedingen. Auch können Durchblutungsstörungen auftreten und Hirnblutungen entstehen. Die Kinder und Jugendlichen könnten daraufhin ins Koma fallen und bleibende Hirnschäden davontragen. Dazu können auch Verletzungen durch einen möglichen Sturz kommen, wenn das Kind stand, als es ohnmächtig wurde. Hier sind Platzwunden bis hin zu Schädelbrüchen denkbar.

Kann man an einem absichtlich herbeigeführten Sauerstoffmangel auch sterben?

Ja, man kann daran sterben. Die meisten Fallberichte in der wissenschaftlichen Literatur beziehen sich auf Kinder und Jugendliche, die sich selbst mittels eines Gürtels oder Seils stranguliert haben. Diese Kinder konnten den Sauerstoffmangel nicht stoppen und sind erstickt. Es sind aber auch Einzelfälle beschrieben, bei denen die Ohnmacht ohne Gürtel oder Seil herbeigeführt wurde, in denen die Kinder dennoch ins Koma gefallen und gestorben sind.

Kennt die Wissenschaft auch Fälle, bei denen sich Kinder gegenseitig gewürgt haben?

Ja, "Ohnmachtsspiele" sind ein Oberbegriff für verschiedene Arten, einen Sauerstoffmangel herbeizuführen. Bei einer drückt ein Kind einem anderen den Brustkorb zusammen, bis es ohnmächtig wird. Das ist nicht neu, nicht erst seit Tiktok ein Phänomen. Was es in meinen Augen aber gefährlicher macht, ist, dass es über die sozialen Medien anders transportiert wird. So werden auch immer jüngere Kinder damit konfrontiert, die noch weniger medizinisch aufgeklärt und sich der Konsequenzen nicht bewusst sind.

Gerät der Körper bei Atemnot als Schutzmechanismus nicht in Panik?

Das stimmt so nicht, nein. Wir wissen, dass bei einem Sauerstoffmangel eine gewisse Euphorie oder traum- oder tranceähnliche Zustände eintreten können. Das ist das Gegenteil von Panik und Teil des Problems, warum Jugendliche, die so rauschartige Zustände erfahren haben, diese Spiele wiederholen.

Das heißt, davon kann man auch abhängig werden?

Nach dieser Grenzerfahrung, nach diesem Rausch kann man süchtig werden, auf jeden Fall. Wir wissen auch, dass Jugendliche, die das häufiger machen, auch andere Erfahrungen suchen, die einen ähnlichen Reiz ausstrahlen.

Zum Beispiel?

Alkoholexzesse und Komasaufen, Drogen ausprobieren, oder eben auch andere gefährliche Trends, die über soziale Medien verbreitet werden. Auf Waschmittel-Tabs beißen oder ungesichert auf Hochhäuser oder Baustellen klettern, um Fotos von sich zu machen. Bei manchen dieser gefährlichen Trends kann ein Gruppendruck entstehen. Die Jugendlichen wollen mitmachen, um dazuzugehören.

Was würden Sie Eltern in diesem Zusammenhang raten?

Es sollte an verschiedenen Stellen medizinisch aufgeklärt werden, natürlich auch im Elternhaus. Ob Eltern, ältere Geschwister oder andere Verwandte aufklären, ist letztlich egal. Wichtig ist, dass es eine Vertrauensperson ist, die einen Zugang zu dem Kind hat. Viele Jugendliche machen sich keine Gedanken darüber, was aus solchen gefährlichen Spielen alles resultieren kann. Wenn Eltern mitbekommen, dass solche Trends im Umlauf sind, dann ist es wichtig, dass sie das aktiv mit ihren Kindern besprechen.

Wo könnten Eltern sich entsprechend informieren?

Es gibt die sehr gut aufgearbeitete Seite Klicksafe.de, die viele Themen rund um das Thema Kinder und Internet aufgreift. Darunter etwa Cybermobbing und Medienerziehung, aber auch diese selbstverletzenden Trends und Mutproben im Netz. Hier können sich Eltern gut informieren.

Sollten auch andere Stellen diesbezüglich aktiv werden?

Auf jeden Fall. Schulen, Freizeiteinrichtungen und Jugendclubs müssen hierfür frühzeitig ins Boot geholt werden, weil sie einen anderen Zugang zu Kindern und Jugendlichen haben und auch mal in Gruppen Themen diskutieren können. Medizinische Aufklärung kann helfen, dass weniger Kinder bei solchen Trends mitmachen, weil sie wissen, dass es gefährlich ist. Meine persönliche Meinung ist zudem, dass es an allen größeren Schulen auch Schulpsychologen und Sozialarbeiter geben sollte, die Kinder durch ihre Arbeit auf vielfältige Weise stärken können.