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„Das hat mit Wissenschaft nichts zu tun“

Radebeuls Oberbürgermeister Bert Wendsche (parteilos) spricht über die Bundes-Notbremse, deren Kontrolle und die Öffnungsaussichten in der Stadt.

Von Peter Redlich
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Radebeuls Oberbürgermeister Bert Wendsche mit Sachsens Kulturministerin Barbara Klepsch (CDU) zum Weinherbst im September 2020. Die Ministerin ließ sich zeigen, wie unter Einhaltung eines Hygienekonzeptes Kulturveranstaltungen im Freien durchgeführt we
Radebeuls Oberbürgermeister Bert Wendsche mit Sachsens Kulturministerin Barbara Klepsch (CDU) zum Weinherbst im September 2020. Die Ministerin ließ sich zeigen, wie unter Einhaltung eines Hygienekonzeptes Kulturveranstaltungen im Freien durchgeführt we © Norbert Millauer

Radebeul/Meißen/Riesa. Die Kommunen trifft die Bundesnotbremse besonders. Radebeuls Oberbürgermeister Bert Wendsche (parteilos) findet einige der Regelungen fragwürdig. Im Interview mit sächsische.de spricht er darüber und blickt nach vorne.

Herr Wendsche, seit dieser Woche sind wieder Schulen und Kitas – bis auf Notbetreuung und Abschlussklassen – dicht. Ihre Sicht: War das nötig?

Ich bin tief enttäuscht über diese Regelung. Es verbittert. Nach einem Jahr Corona hat man den Eindruck, dass Kinderrechte, das Recht auf Bildung für Kinder weiterhin keine Rolle spielten. Wir hatten in Sachsen mit der letzten Corona-Schutzverordnung nach langem Ringen eine vernünftige Regelung gefunden, wonach es keine flächendeckende Schul- und Kitaschließung mehr gab, begleitet von einem intensiven Testregime und für diejenigen, die in Sorge um ihre Kinder waren, die Wahlfreiheit. Damit sind wir hier gut gefahren. Jetzt wird alles wieder rückgängig gemacht. Das ist bitter und enttäuschend.

Es gelten Ausgangssperren. Kontrolliert das jemand in Radebeul?

Ja, es wird natürlich von Polizei und Ordnungsamt kontrolliert. Aber machen wir uns nichts vor, wie es auch schon die Gewerkschaft der Polizei gesagt hat: Eine flächendeckende Kontrolle von Ausgangssperren ist völlig illusorisch. Und für unser Ordnungsamt kommt noch hinzu, dass wir rechtlich keine Anhaltekontrollen ausüben dürfen. Damit beschränkt sich der Kontrollrahmen. Es wird im Wesentlichen an die Vernunft der Menschen appelliert. 22 Uhr - außerhalb der Großstädte eine wenig wirkungsvolle Festlegung.

Radebeul hatte sich auf kleine Kulturveranstaltungen und Märkte ab Anfang Mai vorbereitet. Viele Mediziner sagen, im Freien gibt es kaum eine Gefahr der Ansteckung. Wie jetzt weiter? Werden die Veranstaltungen verschoben?

Auch hier hat der Bundesgesetzgeber uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Er hat mit der Inzidenzgrenze von 100 einen Strich gezogen, wobei schon das Thema Inzidenz als alleiniger Maßstab zweifelhaft ist. Wir hatten in Sachsen dies nicht umsonst um die Krankenhauskapazitäten ergänzt. Wenn diese Zahl 100 nicht unterschritten wird, sind sämtliche Kulturveranstaltungen, sämtliche Gastronomie - auch außen -, der Einzelhandel, mit ganz wenigen Ausnahmen, untersagt. Die wenigen Ausnahmen, wie eine Zoo-Öffnung, sind für uns ohne Bedeutung. Man muss realistisch sagen, die Inzidenz von 100 werden wir in Sachsen im Mai nicht sehen. Das ist unrealistisch. Wir sind noch hoffnungsvoll, dass wir die Inzidenzzahl von 165 für die Schulen vielleicht Mitte Mai erreichen.

Insofern haben wir als Stadt gut geplant, indem wir die Veranstaltungen nicht an einen fixen Termin gebunden, sondern variabel gestaltet haben. Wir schieben jetzt alles in Richtung Anfang Juni und hoffen, dass dann mehr möglich wird. Die Enttäuschung für die Künstler und Kulturschaffenden ist freilich groß. Für sie hängt ja viel dran - auch was das Einkommen betrifft. Sie wollen endlich wieder tätig werden.

Mediziner, wie etwa auch Professor Kekulé, betonen immer wieder, dass draußen die Ansteckungsgefahr gegen null geht. Und mit ein wenig Abstand müsste doch mehr möglich sein?

Das ist ja auch das Thema, welches für völliges Unverständnis sorgt. Man sagt, es werde sich auf die Wissenschaft gestützt. Genau betrachtet, ist es aber nur ein kleiner Ausschnitt der Wissenschaft. Es werden Kinderpsychologen und Kinderärzte außen vor gelassen, es werden Aerosolforscher nicht wahrgenommen. Und wenn man hört, wie der Wert 165 bei Schulen entstanden ist - das hat ja einer aus den Reihen des Bundestages gesagt -, man habe geschaut, wie an dem Tag die durchschnittliche Inzidenz in Deutschland war, deshalb hat man den Wert genommen. Das hat mit Wissenschaft nichts zu tun.

Kulturschaffende protestieren – siehe die Videos der Schauspieler. Was halten Sie davon und bekommen Sie oder die Stadt ähnliche Botschaften?

Ja, das ist doch die ganze Gruppe der Betroffenen, Eltern, Kinder, Einzelhandel, Gastronomen, Künstler. Man kann das ganz gut nachvollziehen. Es ist das gute Recht, seine Meinung zu äußern. Es gehört zu einer Demokratie, solche unterschiedlichen Meinungen auszuhalten. Insofern finde ich manche Reaktionen, wie mit diesem Aufschrei der Künstler umgegangen wird, sehr bedenklich.

Was machen die Mitarbeiter im Radebeuler Kulturamt und in der Tourist-Information? Zuletzt hieß es, sie arbeiten an Konzepten.

Gerade im Kulturbereich haben die Mitarbeiter weiter an dem Projekt Kultursommer gearbeitet. Wir haben über den Landkreis gemeinsam mit Riesa, Meißen und Coswig einen Antrag auf Förderung des Kultursommers gestellt. Damit können wir mit dem Tag, an dem wieder etwas möglich ist, sofort starten und möglich machen, was eben geht. Wie im Vorjahr wollen wir bis in den Herbst hinein das Leben wieder ankurbeln und Handel und viele andere unterstützen.

Gaststätten und Hotels leben im Wesentlichen nur von Überbrückungshilfen. Frau Paul vom Goldenen Anker hat das gerade wieder geschildert. Haben Sie eine bessere Idee, zumal das wohl nicht mehr lange so gehen kann?

Die Lasten der Pandemie tragen einige wenige Gruppen - und das nun schon ein ganzes Jahr. Sie sind nicht umsonst Unternehmer, sie wollen was unternehmen und nicht alimentiert werden. Wir im Stadtrat haben beschlossen, dass wir die Sondernutzungsgebühr für Tische, Bänke und Auslagen im Außenbereich für dieses und nächstes Jahr erlassen. Mehr können wir jetzt leider auch nicht machen. Der Adressat für Öffnungen muss der Bund sein.

Außengastronomie wäre doch wahrscheinlich kaum ein Problem.

Ja, auch das. Andere Länder haben konkrete Öffnungspläne - Frankreich, Österreich, Holland haben bei deutlich höheren Inzidenzen bereits ganz konkrete feste Öffnungspläne. Deshalb sehe ich das nicht für alternativlos. Und bei uns verspricht man solche Pläne frühestens für Ende Mai.

Wo kann die Stadt Radebeul noch helfend eingreifen, um Einzelhandel, Kultur, Gaststätten zu unterstützen?

Wir bereiten den Kultursommer vor. Wir haben die Sondernutzungsgebühr erlassen. Wir werden mit Augenmaß das Thema Kindernotbetreuung regeln. Für mehr sind uns leider die Hände gebunden. Da ist bei uns die Enttäuschung genauso groß wie bei den Bürgern.

Warum hat die Stadt Radebeul kein eigenes Testzentrum für die Bürger eingerichtet?

Weil auch dort das Prinzip gilt, was privat organisiert werden kann, soll auch zuerst privat organisiert werden. Wir haben in Radebeul drei Testzentren, die über die Stadt verteilt sind. Wir als Stadt dagegen sind gemeinsam mit dem Landkreis dabei, ein flächendeckendes Testregime aufzubauen. Sodass, sobald es losgeht, Testen als Eintrittskarte sofort einheitlich funktioniert.

Wie wird das organisiert?

Wir werden eine einheitliche Software im Landkreis haben. Schulen, Kitas, Rathäuser, große Betriebe werden gerade angeschlossen. Wenn die Mitarbeiter bereit sind, die zwei wöchentlichen Selbsttests unter geschulter Aufsicht durchzuführen, dann wird das von dort sofort in die Software des Gesundheitsamtes eingespielt. Und der Betreffende bekommt dann auf sein Gerät eine E-Mail und hat damit für 24 Stunden eine hygienische Eintrittskarte. Er kann damit künftig ins Kino, Theater, die Außengastronomie und weiteres. Das bereiten wir flächendeckend vor, um sofort startbereit zu sein.

Wer zweimal geimpft ist oder die Krankheit hinter sich hat, bekommt auch den Freitest. Wer nicht geimpft ist, kann sich so wie beschrieben freitesten.