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Radebeuler Familien geben Ukrainern ein Zuhause

Die mit dem Hilfskonvoi am Wochenende nach Radebeul gekommenen Flüchtlinge haben private Unterkünfte bezogen. Sie berichten von Nächten der Angst.

Von Silvio Kuhnert
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Alla Zbaravska (M.) spricht nach der Ankunft in der Küche mit Ute (l.) und Katharina Liebich, die Hobbyräume zu einer kleinen Wohnung umgebaut haben.
Alla Zbaravska (M.) spricht nach der Ankunft in der Küche mit Ute (l.) und Katharina Liebich, die Hobbyräume zu einer kleinen Wohnung umgebaut haben. © Arvid Müller

Radebeul. Ein Wechselbad der Gefühle durchlebt Alla Zbaravska. Tränen der Wehmut und Trauer wechseln sich mit denen der Freude ab, als die 36-jährige Ukrainerin mit ihrer Schwester Inna und deren Tochter Alina Kovchishina ihre Unterkunft in Radebeul bezieht. "Wir mussten unsere Männer und unsere Mutter zurücklassen", sagt Alla Zbaravska, "wir hatten ein Haus ein Auto, jetzt haben wir nichts."

Die drei Ukrainerinnen sind am Wochenende mit dem Radebeuler Hilfskonvoi von der polnischen Ostgrenze in die Lößnitzstadt gekommen. Sie stammen aus Starokostjantyniv, einer Stadt in der Region Khmelnickiy. Ihr Heimatort liegt relativ mittig zwischen Lwiw und Kiew. Waffengefechte zwischen ukrainischen und russischen Soldaten sind dorthin zwar noch nicht vorgedrungen, aber es gab Luftschläge. Ein Flughafen befindet sich in der Nähe. Es gab ohrenbetäubende Explosionen. "Die Wände der Häuser wackelten", berichtet Alla Zbaravska in Englisch.

Nächte im Keller verbracht

Jeden Abend heulen die Sirenen. Die gesamte Familie sucht jede Nacht im Keller Schutz vor Luftangriffen. Die 13 Jahre alte Alina Kovchishina habe aus Angst nicht mehr geschlafen und gegessen, schildert Alla Zbaravska, das seit dem russischen Überfall auf die Ukraine Erlebte. Als sie Bilder des Leids und der Zerstörung aus umkämpften Städten wie Charkiw im Fernsehen sahen, fühlten sie sich in ihrem Keller nicht mehr sicher. Die drei Frauen flohen über die polnische Grenze.

Alla Zbaravska (2.v.l.), Inna (3.v.l.)und ihre Tochter Alina Kovchishina (l.) verlassen mit Stephan und Katharina Liebich das Hotel Radisson Blu.
Alla Zbaravska (2.v.l.), Inna (3.v.l.)und ihre Tochter Alina Kovchishina (l.) verlassen mit Stephan und Katharina Liebich das Hotel Radisson Blu. © Arvid Müller

Am vorigen Freitag war ein aus zehn Fahrzeugen bestehender Hilfstransport nach Korczowa, nahe der ukrainischen Grenze, gefahren. Der Konvoi brachte Hilfsgüter für die Radebeuler Partnerstadt Obuchiw dorthin. Die Kartons mit medizinischem Material und Lebensmittel wurden in einer Halle zwischengelagert, weil der ukrainische Lkw am Wochenende nicht die Grenze passieren und eine Übergabe somit nicht stattfinden konnte. Unter anderem war das Registrierungssystem des polnischen Zolls zusammengebrochen. Die Probleme sind behoben. Der Lkw konnte die Fracht aufladen und ist in Obuchiw angekommen, informierte die Stadtverwaltung am Montag.

Bus der Landesbühnen ein zweites Mal unterwegs

Auf ihrer Rückfahrt nahmen die ehrenamtlichen Helfer aus Radebeul 76 Geflüchtete aus einem Auffanglager mit. Von der Grenze bringen Busse permanent Menschen zu einer großen Halle in Korczowa, die geschätzt doppelt so groß wie der Ikea-Möbelmarkt am Elbepark ist. Mehrere Tausend Menschen warten regelmäßig vor Ort auf die Weiterfahrt mit organisierten Transporten oder privaten Fahrzeugen. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Am Sonntagnachmittag war ein Bus der Landesbühnen erneut dorthin aufgebrochen. Er bringt weitere 27 Ukrainer in die Lößnitzstadt, die in einer Pension unterkommen.

Ankunft bei Familie Liebich. Auf der Gartenseite ihres Grundstückes gibt es einen separaten Eingang zur Wohnung, die für die Ukrainer hergerichtet wurde.
Ankunft bei Familie Liebich. Auf der Gartenseite ihres Grundstückes gibt es einen separaten Eingang zur Wohnung, die für die Ukrainer hergerichtet wurde. © Arvid Müller

Die 76 Ukrainer, die am Sonnabend- und Sonntagmorgen in Radebeul eintrafen, wurden zunächst im Radisson Blu Park Hotel untergebracht. Einige von ihnen sind bereits weitergereist, zu Verwandten, Freunden oder Bekannten. Rund 30 Frauen und Kinder bleiben in Radebeul. Am Montag zogen sie aus dem Hotel aus und in private Unterkünfte ein. Insgesamt 31 Familien aus Radebeul haben sich bei der Stadt gemeldet und Wohnungen oder Zimmer angeboten. Davon werden ein Dutzend in Anspruch genommen.

Hobbyraum zur Wohnung umgebaut

"Wir mussten nicht lange überlegen", sagt Stephan Liebich, bei dem Alla Zbaravska sowie Inna und Alina Kovchishina ein Obdach finden. Der Radebeuler war vor einem Jahr im Urlaub in der Ukraine, reiste mit seiner Familie von Kiew entlang des Flusses Dnepr bis dessen Mündung in das Schwarze Meer. Auf der Reise machten sie auch einen Abstecher nach Obuchiw. "Wir wurden sehr nett von den Ukrainern behandelt und mit großer Freundlichkeit aufgenommen", erzählt Stephan Liebich. Mit Frau Ute und Tochter Katharina beschlossen sie daher, jetzt zu helfen.

Mit einem Fußball sucht die 13-jährige Alina Kovchishina Zerstreuung und Abwechslung im großen Garten nach der langen Flucht.
Mit einem Fußball sucht die 13-jährige Alina Kovchishina Zerstreuung und Abwechslung im großen Garten nach der langen Flucht. © Arvid Müller

"Wir haben meine Hobbyräume zu einer Wohnung hergerichtet", informiert Stephan Liebich. In den vergangen zweieinhalb Tagen packten sie mit nachbarschaftlicher Hilfe an. Aus einem Zimmer machten sie mit einem Raumteiler eine Wohnstube und ein Schlafzimmer. Im Nachbarraum bauten sie eine Küche ein. Zudem gibt es ein Bad. Der Radebeuler Fotograf André Wirsig half dabei, in einem Fernseher ukrainische Sender einzuspeisen. "Ich bin mit meinem Computer aus dem Hobbyraum in den Keller gezogen", sagt Liebich.

Großeltern waren auch Flüchtlinge

Die Radebeulerin Maria Haberjahn hat eine Mutter mit zwei Kindern in ihrem Haus aufgenommen. Auch sie richtete ein Hobbyzimmer zu einer kleinen Wohnung her. Freunde halfen am vergangenen Wochenende. "Das Thema macht mich traurig und betroffen. Ich habe selbst eine Familie mit drei Kindern", sagt Haberjahn. Ihre Großmutter mütterlicherseits und ihr Opa väterlicherseits waren als Kinder durch den Zweiten Weltkrieg selbst zu Flüchtlingen geworden, haben von diesen schrecklichen Erlebnissen berichtet. So verlor die Schwester des Großvaters während der Flucht ihr Leben.

Alla Zbaravska und ihre ein Jahr jüngere Schwester Inna Kovchishina haben zwei große Rollkoffer dabei, Teenagerin Alina einen Rucksack. Andere Schutzsuchende kamen mit noch weniger Gepäck in Radebeul an. Sie bekommen an diesem Dienstag in der DRK-Kleiderkammer Sachen. Die Verteilung der Geflüchteten begann am Montagmorgen um 8 Uhr. Gegen 13 Uhr wurde die letzte Familie im Radisson Hotel abgeholt.