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Bauklimatik-Experte: "Mit wenig Dämmung kann man viel erreichen"

In Radebeul bieten sich Lösungen mit Geothermie für das Heizen von Gebäuden an. Das sagt Bauphysiker John Grunewald. Er hat auch Tipps fürs richtige Dämmen.

Von Silvio Kuhnert
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Radebeul als Gartenstadt hat Grundstücke mit Platz um den Häusern sowie Flächen zu bieten, die sich für das Nutzen von Erdwärme eignen.
Radebeul als Gartenstadt hat Grundstücke mit Platz um den Häusern sowie Flächen zu bieten, die sich für das Nutzen von Erdwärme eignen. © Arvid Müller

Radebeul. Nach der Diskussion über das Heizungs- beziehungsweise Gebäudeenergiegesetz im vorigen Jahr lässt jetzt ein Thesenpapier aus dem Bundeswirtschaftsministerium vor allem Kommunen aufhorchen. Im Zuge des bis 2045 geplanten weitgehenden Ausstiegs aus fossilen Brennstoffen rechnet das Ministerium mit einer Verkleinerung des bestehenden Gasverteilnetzes.

"Bis dahin muss der Ausstieg aus fossilem Erdgas vollzogen worden sein, Gasverteilernetze für die bisherige Erdgasversorgung werden dann in der derzeitigen Form und Umfang nicht mehr benötigt werden", heißt es in einem 23-seitigen Ideenpapier, das das Ministerium vor Kurzem auf seiner Website veröffentlicht hat.

In diesem Papier steht weiter, dass rechtzeitig geklärt werden müsse, wie ein weiterer Ausbau zur Erdgasversorgung vermieden werden könne und "unter welchen Voraussetzungen bestehende Gasnetzanschlüsse getrennt und zurückgebaut werden dürfen."

Sorge um Entwertung des Gasnetzes

In Radebeul ist das Erdgasnetz ein Baustein für das Heizen von Gebäuden. Perspektivisch ist angedacht, dieses auf grünen Wasserstoff umzurüsten. Oberbürgermeister Bert Wendsche (parteilos) interpretiert dieses Ideenpapier aus Berlin dahingehend, dass der Rückbau des Gasnetzes eine Vorgabe werden soll.

Das Anlagevermögen der Stadtwerke Elbtal beträgt rund 24 Millionen Euro. Damit ist der Wert von Strom- und Gasleitungen gemeint, die unter anderem im Erdreich liegen. Der Wert des Gasnetzes macht die Hälfte des Betrages aus. "Zwölf Millionen Euro Anlagevermögen würde wertlos werden", informiert das Stadtoberhaupt. Kommunen sollen jedoch keinen Anspruch auf Entschädigung bekommen.

Prof. Dr.-Ing. John Grunewald, Direktor des Instituts für Bauklimatik der TU Dresden (r.), und Heiko Fechner, ebenfalls vom Institut, sprachen über Vorzüge der Geothermie als regenerative Energie.
Prof. Dr.-Ing. John Grunewald, Direktor des Instituts für Bauklimatik der TU Dresden (r.), und Heiko Fechner, ebenfalls vom Institut, sprachen über Vorzüge der Geothermie als regenerative Energie. © SZ/Silvio Kuhnert

Zufall oder nicht: Einen Abend später, nachdem das Stadtoberhaupt dies im Stadtrat gesagt hatte, spricht Professor Dr.-Ing. John Grunewald, Leiter des Instituts für Bauklimatik an der TU Dresden, im Kultur-Bahnhof über "Regenerative Energien und Baudenkmale". Der Bauphysiker folgt einer Einladung des Vereins für Denkmalpflege und neues Bauen, sowie auch zahlreicher Zuhörer. Er will den Abend nutzen, um der Wahrheit zu mehr Geltung zu verhelfen.

Klimaneutralität im Sinne von null Emission von Kohlendioxid bis zum Jahr 2045 hält Grunewald als sehr fragwürdig. Politisch könne man dies behaupten und beschließen. "Es wird aber nicht kommen, weil es unrealistisch ist", sagt er. Dennoch muss der CO₂-Ausstoß reduziert werden. Ein Halbieren der jetzigen Emissionsmenge, wie andere meinen, reicht seines Erachtens nicht aus, um der Erderwärmung unter anderem mit einem Austrocknen Afrikas sowie damit verbundenen Flüchtlingsbewegungen entgegenzuwirken. Auch bei uns werden die Sommer heißer. Ein Senken der CO₂-Emission um 50 Prozent reicht laut Grunewald nicht aus, auf null fahren, gehe nicht.

Dämmung von zehn bis zwölf Zentimeter ist ausreichend

In seinem Vortrag plädierte der Hochschullehrer und Forscher einerseits für ein Senken des Energieverbrauchs in Gebäuden. Andererseits für ein Erhöhen der Produktion regenerativer Energie. Für erstgenanntes hilft Dämmen. "Wenn man sich eine Jacke anzieht, ist einem wärmer", sagt Grunewald, der unter anderem über Innendämmsysteme für Gebäude mit erhaltenswerter Bausubstanz und Fassade geforscht hat.

Er hat einen ganz praktischen Tipp: "Mit wenig Dämmung kann man viel erreichen. Dämme wie nötig und nicht wie möglich." Die Bauindustrie wolle gern 25 Zentimeter breite Dämmungen verkaufen. Doch Grunewald erläutert, dass dies viel zu viel sei. Bei einer Betonwand von 30 Zentimeter Dicke und einem fast ebenso starken Dämmstoff mit einer Wärmeleitung von 0,04 würde bereits nach einem Zentimeter 49 Prozent des Dämmvermögens erreicht, wenn 25 Zentimeter 100 Prozent bilden. "Der erste Zentimeter dämmt am besten", so Grunewald. Die letzten 16 bis 25 Zentimeter machen nur 2,7 Prozent aus. Daher seien zehn bis zwölf Zentimeter dicke Dämmschichten ausreichend.

Quartiers- statt Einzelhauslösungen

Der Energieverbrauch liegt bei einer Person in Deutschland im Schnitt bei rund 120 Kilowattstunden am Tag. Diesen allein mit Wind, Sonne, Wasser oder Biomasse als Energiequelle zu decken, sei sehr ambitioniert, wobei die Solarenergie enormes Potenzial hat. Regenerative Energie ist als Erdwärme oder Geothermie auch in der Erde zu finden. Grunewald erläutert wie Flachkollektoren, Energiekörbe oder Bohrsondenfelder als ein Set verschiedener Technologien genutzt werden kann. Radebeul biete gute Voraussetzungen dafür. "Wo es größere Gärten oder größere Flächen gibt, da steckt unheimlich viel Potenzial", so Grunewald. Die Lößnitzstadt biete das.

Grunewald plädiert für eine lokale und möglichst autarke Energieversorgung mittels Geothermie. Dabei spricht er sich für Quartierslösungen aus, weil diese den Gemeinschaftssinn fördern, als das jeder für sich alleine Sonden ins Erdreich bohrt. Wenn über diese nur Wärme entzogen wird, kühlt sich der Boden aus. Deshalb soll im Sommer über die gleiche Anlage der Erde auch wieder Wärme zugeführt werden. Ein Stichpunkt sind hier kalte Nahwärmenetze

Der Vortrag ist als Debattenbeitrag gedacht. Das Thema Baudenkmale kam etwas zu kurz. Deshalb plant der Denkmalverein eine Fortsetzung.

Am 27. März 2024 bietet der Verein für Denkmalpflege und neues Bauen mit der Unteren Denkmalschutzbehörde des Landkreises Meißens wieder eine Sprechstunde von 16 bis 17 Uhr im Familienzentrum Altkötzschenbroda 20 an. Anmeldung über die Internetseite unter www.denkmalneuanradebeul.de sowie Termine.