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Radebeul erlebt einen deutlichen Geburtenknick

Die Zahl der Neugeborenen ist vergangenes Jahr in Radebeul unter die 200er-Marke gerutscht. Das hat Folgen für Kitas, Schulen und Arbeitswelt, denn die Talsohle ist noch nicht erreicht.

Von Silvio Kuhnert
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Ob ein Blick in die virtuelle Brille hilft? In der nächsten Zeit erlebt Radebeul schwache Geburtenjahrgänge.
Ob ein Blick in die virtuelle Brille hilft? In der nächsten Zeit erlebt Radebeul schwache Geburtenjahrgänge. © Norbert Millauer

Radebeul. Einen starken Rückgang der Geburten erlebt die Stadt Radebeul. Darüber informierte Oberbürgermeister Bert Wendsche (parteilos) in seinem Demografie-Bericht auf der Stadtratssitzung am Mittwochabend. Wann die Talsohle erreicht ist, wie sich die Geburten- und Einwohnerzahl weiterentwickeln wird und welche Folgen der Geburtenknick hat - Sächsische.de und SZ fassen wesentliche Punkte der demografischen Entwicklung zusammen.

Wie stark ist die Geburtenzahl gesunken?

Im Jahr 2016 erblickten 321 kleine Radebeuler das Licht der Welt. Seit diesem Geburtenhöchststand geht die Zahl der Babys jedes Jahr zurück. 2023 hat das Einwohnermeldeamt nur noch 182 Geburten verzeichnet. Seit dem Höchststand bedeutet dies einen Rückgang um 43,3 Prozent.

Warum gibt es weniger Geburten?

Eine deutliche Geburtenlücke erlebte die Lößnitzstadt bereits in der Nachwendezeit Anfang der 1990er-Jahre. Mit dem Untergang der DDR kam es zu politischen, gesellschaftlichen und vor allem wirtschaftlichen Umbrüchen. Die Arbeitslosigkeit war hoch. Weil damals wenig Kinder geboren wurden, fehlen jetzt Mütter, die neue in die Welt setzen können. So gibt es in der Altersgruppe der 18- bis 40-Jährigen aktuell 3.035 Radebeulerinnen. Im Jahr 2009 waren es rund 900 potenzielle Mütter mehr.

Ist die Talsohle bei den Geburten erreicht?

Nein! In den kommenden fünf Jahren ist weiterhin mit schwachen Jahrgängen zu rechnen. Laut OB Wendsche kann die Anzahl der Geburten sogar noch auf 150 zurückgehen. Danach wird die Zahl der Neugeborenen wieder anwachsen. Jedoch werde die Lößnitzstadt nicht wieder die 300er-Marke erreichen, wie sie im Schnitt in den Jahren vor 2016 üblich war. "Wenn es 250 Geburten pro Jahr gäbe, wäre das viel", prognostiziert das Stadtoberhaupt.

Wie entwickelt sich die Einwohnerzahl?

Zum Stichtag 31. Dezember 2023 waren 34.126 Einwohner mit Radebeul als Hauptwohnsitz bei der Stadt gemeldet. Gegenüber dem Vorjahr ist das ein Rückgang um 245 Bürger. Allerdings war im Jahr 2022 vor allem durch die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine die Einwohnerzahl um 358 auf 34.371 gewachsen. Tendenziell kommt laut OB Wendsche der Bevölkerungszuwachs zum Erliegen. Die Stadt erlebt weiterhin Zuzug. Das bremst den Einwohnerrückgang.

Wer zieht nach Radebeul?

"Es ist unsere Wohlstands- und Zukunftsversicherung", sagt OB Wendsche. Er meint damit den Zuzug von Eltern mit Kindern. "Radebeul ist attraktiv für junge Familien", fährt er fort. Vor allem aus Dresden zieht die Lößnitzstadt mehr Leute zum Wohnen an, als sie dorthin verliert. Der Saldo aus Zuzug- und Wegzug liegt im vergangenen Jahr mit 58 Frauen, 85 Männern und 56 Kindern im Plus - allein auf die Landeshauptstadt bezogen.

Auch aus Riesa und Großenhain, dem Erzgebirgskreis, Chemnitz und Görlitz lockt Radebeul Neueinwohner an. Vor allem in den Altersgruppen bis sechs Jahren sowie von sieben bis 18 Jahren erlebt die Stadt Zuwächse im Plusbereich. Laut OB Wendsche muss das auch so stabil bleiben, wenn die sogenannte Wohlstands- und Zukunftsversicherung greifen soll.

Wohin verliert Radebeul Einwohner?

Deutlich im Minus liegt der Saldo von Weg- und Zuzug nach Coswig, Meißen, Moritzburg und Weinböhla. Dorthin verliert Radebeul Einwohner.

Was bedeutet der Geburtenschwund für die Kitas?

Als in den Jahren 2019 und 2020 die Geburtenzahlen auf 261 beziehungsweise 263 zurückgegangen war, begann die Stadtverwaltung mit dem Abbau von Kita-Plätzen. Zwei Einrichtungen sind bereits geschlossen. Die dritte folgt im Sommer dieses Jahres. Mit den Freien Trägern hat die Verwaltung eine Arbeitsgemeinschaft gebildet und den Abbau von 371 Plätzen vereinbart. Knapp 300 seien geschafft, informiert Elmar Günther, Amtsleiter für Bildung, Jugend und Soziales, jüngst im Bildungs-, Kultur- und Sozialausschuss. Und er kündigte ein weiteres AG-Treffen an.

Denn laut dem Demografie-Bericht waren Ende vorigen Jahres von den 1.718 Plätzen in Kitas und Kindertagespflege nur 1.473 belegt. Von einem schmerzhaften Weg, spricht Jugend- und Sozialamtsleiter Günter: "Denn es ist angenehmer Kita-Plätze aufzubauen. Aber Abbauen gehört auch zum Job."

Welche Folgen hat der Rückgang der Kinder für Schulen?

Die Schließung von Schulen schließt die Stadtverwaltung aus. Der Landkreis Meißen ist dabei, die Schulnetzplanung zu überarbeiten. Die Standorte in Radebeul sollen erhalten bleiben. "Es wird aber künftig weniger Klassen geben", sagte Günther.

Und wie sind die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt?

Für die Wirtschaft sind nicht nur Geburtenzahlen interessant, sondern auch wie viele der derzeitigen Arbeitskräfte das Rentenalter erreichen. Und bei dieser Entwicklung kommen die sogenannten Babyboomer nun in jenes Alter. Das sind die besonders geburtenstarken Jahrgänge der 1950er- und 1960er-Jahre mit jeweils rund 600 Einwohnern.

Aber die nachfolgenden Jahrgänge sind kleiner. In Summe fehlen im Status quo in den nächsten 31 Jahren 4.079 potenzielle Arbeitskräfte. Erst danach tritt wieder Stabilität ein. Und dies bei nahezu Vollbeschäftigung. "Bei 13.657 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten am Arbeitsort sind damit nahezu 29,9 Prozent der derzeit besetzten Arbeitsplätze vakant", hat das Stadtoberhaupt ausgerechnet.