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So schrumpft Riesa

Weniger als 30.000 Einwohner - das gab es seit Kriegsende noch nie. Aber was bedeutet das für die Stadt?

Von Christoph Scharf
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Fast überall in Riesa gingen die Einwohnerzahlen binnen der vergangenen zwölf Monate zurück. Es gibt wenige Ausnahmen – doch die können den Schrumpfungstrend nicht aufhalten. Stichtage sind der 31.1.2020 und der 31.1.2021.
Fast überall in Riesa gingen die Einwohnerzahlen binnen der vergangenen zwölf Monate zurück. Es gibt wenige Ausnahmen – doch die können den Schrumpfungstrend nicht aufhalten. Stichtage sind der 31.1.2020 und der 31.1.2021. © Karte: GeoSN, Grafik: SZ

Riesa. Was waren das für Zeiten! Mehr als 50.000 Menschen lebten Anfang der 80er Jahre in Riesa, viele Einwohner werden sich noch daran erinnern können. Und viele von ihnen haben vor wenigen Tagen einen Schreck bekommen: Denn da wurde bekannt, dass nach der städtischen Statistik offiziell die Einwohnerzahl von 30.000 unterschritten worden ist. Das war zum letzten Mal vor dem Krieg so – und da war Riesa flächenmäßig noch deutlich kleiner.

Die Ortsteile, die im vergangenen Jahr als einzige ein Einwohnerplus verbuchen konnten, gehörten damals noch gar nicht zur Stadt: Canitz, Mautitz, Jahnishausen. Und auch die Ortsteile, die nach den aktuellen Zahlen der Stadt stabil geblieben sind – Pochra und Böhlen – zählten seinerzeit noch nicht zu Riesa.

Sämtliche städtisch geprägten Ortsteile aber haben im Jahr 2020 Einwohner verloren: Allein in Gröba waren es mehr als 100, in der Innenstadt und in Weida gar jeweils mehr als 200.

Zu den Ursachen überschlagen sich die Kommentare in den sozialen Netzwerken: Zu wenig gut bezahlte Jobs, heißt es etwa. Zu wenig Angebote für Jugendliche, klagen andere. Es fehle ein Konzept für die Stadtentwicklung, monieren dritte.

Betrachtet man das Umland, steht Riesa allerdings nicht allein: Laut Statistischem Landesamt ging im Jahr 2019 auch die Zahl der Landkreis-Einwohner insgesamt zurück – wenn auch in deutlich geringerem Maße als in Riesa. Da gibt es einzelne Gemeinden, die einwohnermäßig zulegen – Glaubitz, Strehla, Meißen zum Beispiel – und viele Orte, die ebenfalls schrumpfen, selbst Radebeul ist darunter. Großenhain blieb 2019 fast stabil; Gröditz verlor anteilmäßig dagegen gar noch Einwohner mehr als Riesa.

Eine Geburt, vier Todesfälle

Ein Hauptgrund für den Riesaer Schwund unter die 30.000er-Einwohner-Marke dürfte das hohe Durchschnittsalter der Riesaer sein: Das liegt mittlerweile bei über 52 Jahren. Und so ist es wenig verwunderlich, dass vergangenes Jahr auf jede Riesaer Geburt statistisch vier Todesfälle kamen: 151 Geburten verzeichnet die Statistik, aber 612 Todesfälle. "Das ist ein sehr hoher Wert", sagt Rathaus-Sprecher Uwe Päsler. Er macht auf einen wichtigen Aspekt aufmerksam: "Zwischen Anfang Dezember 2019 und Mitte Januar 2020 waren 112 Sterbefälle zu verzeichnen, im gleichen Zeitraum 2020/21 aber 205 – eine Steigerung um 83 Prozent. Das dürfte ursächlich mit Covid-19 zu tun haben."

Vor dem Hintergrund von Altersstruktur und Einwohnerzahl habe es sich als richtig erwiesen, die Zahl der Grundschulen zu verringern: Der 2016 beschlossene Schulnetzplan sieht die Verringerung der öffentlichen Grundschulen von vier auf drei vor und wird so auch umgesetzt. Kitas gibt es derzeit zwölf, da sei derzeit keine Schließung vorgesehen, sagt Uwe Päsler. Entscheidend sei dafür immer die Kinderzahl – nicht ein Unterschreiten der 30.000er-Marke.

Das könnte allerdings bei einem anderen Thema eine Rolle spielen: Bei der Zuständigkeit der Stadt für die Staats- und Kreisstraßen im Stadtgebiet. Die sogenannte Straßenbaulast würde dann an den Landkreis beziehungsweise den Freistaat zurückfallen. Weil allerdings ein Stichtag gilt, würde das erst Anfang 2029 in Kraft treten. Riesa könnte immerhin beantragen, weiter die Zuständigkeit zu behalten – und damit weiter selbst darüber entscheiden, was und wie baulich auf den Straßen geschieht. So oder so: Die Pflicht zu Straßenreinigung und Winterdienst würde die Stadt so oder so für diese Straßen behalten.

Weniger Geld für einen neuen OB

Eine weitere Rolle der 30.000-Einwohner-Grenze ist das Gehalt des Oberbürgermeisters: Laut Kommunalbesoldungsverordnung wird ein (Ober-)Bürgermeister in Kommunen mit bis zu 40.000 Einwohnern in die Besoldungsgruppe B4 eingestuft, unter 30.000 Einwohner in die B3. Das macht einige Hundert Euro pro Monat Unterschied – würde aber Riesas OB Marco Müller (CDU) nicht treffen, wenn er im Juli wiedergewählt würde.

"Die im Amt befindlichen kommunalen Wahlbeamten behalten ihre Bezüge der bisherigen Besoldungsgruppe, auch für eine unmittelbar folgende Amtszeit nach einer Wiederwahl", erklärt Uwe Päsler. Sprich: Sollte ein Herausforderer gewinnen, bekäme er anschließend weniger Gehalt als der Amtsinhaber.

Weniger Einwohner, weniger Geld heißt es auch beim Thema Schlüsselzuweisungen: Wie viel Steuergeld der Freistaat an die einzelnen Kommunen umverteilt, richtet sich nach deren Einwohnerzahl. Die Zahl 30.000 spielt dabei aber keine besondere Rolle; die Gewichtungsfaktoren ändern sich bei 35.000 und dann erst wieder bei 15.000 Einwohnern.

Die Stadtverwaltung wird allerdings nicht schrumpfen, heißt es auf Nachfrage. "In der Verwaltung sind Menschen mit Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes angestellt. Sollen jetzt wegen des Unterschreitens einer bestimmten Einwohnerzahl Mitarbeiter des Rathauses entlassen werden", fragt Rathaus-Sprecher Uwe Päsler rhetorisch. "Die Aufgaben ändern sich ja nicht, denn Straßen, Abwasserkanäle, Schulen sind immer noch da, die Feuerwehr muss arbeitsfähig sein und Personalausweise sind auch weiterhin auszustellen." Zudem liege Riesa bei der Zahl der Verwaltungsmitarbeiter pro Einwohner schon seit vielen Jahren unter den Richtwerten des Freistaats. Auf 1.000 Riesaer kommen statistisch betrachtet 5,67 Vollzeit-Mitarbeiter. Der sächsische Richtwert liegt bei 6,4.

Die Stadtteile im Überblick (Stand 31.1.2020 – 31.1.2021)

  • Riesa gesamt 30.417 - 29.835: -582, -1,9 Prozent
  • Böhlen 60 - 60: 0, 0 Prozent
  • Canitz 540 - 542: +2, +0,4 Prozent
  • Gostewitz 32 – 30: -2, -6,3 Prozent
  • Gröba 6.302 – 6.199: -103, -1,6 Prozent
  • Jahnishausen 225 – 232: +7, +3,1 Prozent
  • Leutewitz 180 – 177: -3, -1,7 Prozent
  • Mautitz 225 – 227: +2, +0,9 Prozent
  • Mergendorf 156 – 153: -3, -1,9 Prozent
  • Merzdorf 2.058 – 2.044: -14, -0,7 Prozent
  • Nickritz 400 – 389: -11, -0,8 Prozent
  • Oelsitz 136 – 136: 0, 0 Prozent
  • Pausitz 390 – 387: -3, -0,8 Prozent
  • Pochra 196 – 196: 0, 0 Prozent
  • Poppitz 536 – 519: -17, -3,2 Prozent
  • Innenstadt 13.151 – 12.938: -213; -1,6 Prozent
  • Weida 5.822 – 5.592: -230, -4,0 Prozent

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