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Warum eine Riesaer Geigerin 27.000 Follower auf Instagram hat

Tatiana Dvortsova will die Orchestermusik von ihrem angestaubten Ruf befreien. Und sorgt dafür, dass sich auch 16-Jährige für die Elbland Philharmonie interessieren.

Von Stefan Lehmann
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In den Probe-Pausen bei der Elbland Philharmonie tauscht Tatiana Dvortsova die Violine gegen Handy und Mikrofon - und produziert Videos fürs soziale Netzwerk Instagram.
In den Probe-Pausen bei der Elbland Philharmonie tauscht Tatiana Dvortsova die Violine gegen Handy und Mikrofon - und produziert Videos fürs soziale Netzwerk Instagram. © Sebastian Schultz

Riesa. Das Video beginnt mit einer simplen Frage: "Wann hast du angefangen, dein Instrument zu spielen?" Dann geht es Schlag auf Schlag, nacheinander erklären die Musiker der Elbland Philharmonie, in welchem Alter sie mit Blockflöte, Oboe oder Posaune losgelegt haben.

Fast 19.000 Mal ist das Video im sozialen Netzwerk Instagram mittlerweile aufgerufen worden. Gedreht hat den kurzen Einblick in die Orchesterwelt Tatiana Dvortsova. Die 29-Jährige ist selbst Violinistin bei der Elbland Philharmonie - und neuerdings so etwas wie die inoffizielle Instagram-Beauftragte des Orchesters. Nicht von ungefähr: Mehr als 27.000 Menschen folgen ihr in dem sozialen Netzwerk mittlerweile, deutlich mehr als die derzeit knapp 1.400 Follower der Elbland Philharmonie.

"Ich hab immer irgendwie ein bisschen Zeit in Instagram verbracht", erzählt Tatiana Dvortsova. "Aber es hat mich gestört, dass es keinen richtigen Nutzen mitbringt." Statt einfach nur Urlaubsbilder zu teilen, wollte sie mehr draus machen, sagt die in Sibirien geborene Musikerin.

Sie überlegte, wie sich das Netzwerk sinnvoll nutzen ließe. "Und ich habe mir dann gesagt: Okay, das ist vielleicht auch das, was unserem Orchester ein bisschen fehlt -Lebendigkeit!" Das sei etwas, das auch anderen Orchestern und der klassischen Musik generell abgehe. Die Branche hänge der Zeit ein bisschen hinterher. Schließlich sei auch das Publikum in aller Regel älter. Sie würde das gern ändern. "Ich will doch, dass junge Leute mitkriegen, was wir machen! Damit das, was wir machen, nicht stirbt." Im Orchester gehe es schließlich nicht bloß bierernst zu. "Da sitzen ganz normale, lustige Leute, die Spaß haben!"

Also packt Tatiana Dvortsova in den Probe-Pausen regelmäßig ihr Mikrofon aus und führt Interviews mit den Kollegen. Neben der Frage, wie lange sie schon an ihrem Instrument üben, ging es zuletzt auch um die Kleiderordnung im Orchester - oder es gab einfach nur einen Einblick in die Proben.

Ein Video mit mehr als 600.000 Klicks

Grundstein für den Erfolg auf der Internetplattform war ein etwas klamaukiges Video, das mit klassischer Musik gar nichts am Hut hatte, aber regelrecht viral ging. Auf der Straße fragt Tatiana Dvortsova einen Mann, was er denn mit einer Million Euro machen würde. Der antwortet nach kurzem Überlegen: "Nichts." Schneller Schnitt, Abspann. Keine 20 Sekunden, mehr als 630.000 Klicks. "Damit hat es angefangen, dass die Zahl der Follower gewachsen ist", sagt Dvortsova.

Zuvor hatte sie sich schon an einem kulinarischen Internet-Blog versucht. "Mir hat's nicht gefallen", erzählt sie und lacht: Wegen der Fotos sei das Essen immer kalt geworden.

Heute fehle ihr für Videodrehs in Dresden ein wenig die Zeit. Seit vergangenem Jahr ist sie fest als Violinistin beim Riesaer Orchester beschäftigt, davor hatte sie schon öfter mal ausgeholfen. In den deutschsprachigen Raum kam die 29-Jährige vor reichlich acht Jahren. Einer ihrer Mentoren in Russland habe gesagt: Geh nach Deutschland oder Holland, dort gibt es ein gutes Ausbildungsniveau und die besten Orchester. "Ich habe eigentlich deutsche Wurzeln, 70 Prozent meiner Vorfahren sind aus Deutschland", kommentiert Dvortsova.

Zunächst ging es für sie aber für zwei Jahre nach Wien. Erst danach zog die junge Musikerin nach Dresden, wo ihr Ehemann schon einen Arbeitsplatz hatte: "Er verdiente da schon besser, sodass wir uns das leisten konnten."

Orchester wird im Netz sichtbarer

Mittlerweile konzentriert sich die junge Frau stärker auf Videos mit Orchesterbezug. Nach Ideen stöbert sie im Netzwerk selbst: Trends im Auge behalten, nach Musik schauen. "Ich lasse mich einfach nur ein bisschen inspirieren. Ich hasse Zwang, das tötet alles Gute", erklärt sie ihren Prozess.

Bei den anderen Musikern stießen die Videoaufnahmen nicht ausschließlich auf Gegenliebe, verrät sie. In einigen Fällen habe sie schon ein bisschen Überzeugungsarbeit leisten müssen, sagt sie und lacht. "Ich glaube aber, das war auch für die Kolleginnen wichtig: etwas frischer Wind." Ein Signal, dass es vorangeht. "Instagram ist ein Lebensraum der Jugend", führt sie aus. "Ich freue mich sehr, wenn ich sehe, dass mir 16-Jährige folgen und unsere Orchestervideos liken oder kommentieren."

Auch ihr Arbeitgeber hat den Nutzen direkt erkannt. "Wir können immer nur von außen berichten", erklärt Julia Gläßer, bei der Elbland Philharmonie für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. "Tatiana bringt etwas Junges und Unbeschwertes rein. Sie zeigt, dass ein Orchester eigentlich eine coole Sache ist." Die Reichweite der Orchesterbeiträge jedenfalls steige damit auch insgesamt, man werde sichtbarer. "Je mehr Leute man erreicht, desto besser", sagt die Geigerin. "Das kann uns neue Möglichkeiten bringen: mehr Finanzierung, mehr oder jüngeres Publikum, mehr ausverkaufte Konzerte."

Für dieses Ziel steckt Tatiana Dvortsova auch nach den Proben noch viel Zeit in die Videos. "Schnitt und Montage nehmen manchmal einige Stunden in Anspruch." Sie erzählt von einem Video, in dem sie über die Kleiderordnung am Orchester spricht. Um die neun, zehn Stunden habe sie am Ende daran gesessen. "Da habe ich mich selbst gefragt, warum ich damit angefangen habe. Aber im Endeffekt habe ich damit viel gelernt. Wenn es keine Aufgabe wäre, dann würde ich es auch nicht machen."