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Mehr als 1.000 Nawalny-Anhänger verhaftet

Der Kremlkritiker Alexej Nawalny ist in Haft schwer erkrankt. Für seine Freilassung gingen am Mittwoch in Russland Tausende auf die Straße.

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Die Polizei verhaftet einen Mann bei einer Demonstration in St. Petersburg.
Die Polizei verhaftet einen Mann bei einer Demonstration in St. Petersburg. © Dmitri Lovetsky/AP/dpa

Mehr als 1.000 Menschen sind in Russland bei Demonstrationen zur Unterstützung des im Straflager inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny festgenommen worden. Das Menschenrechtsportal ovdinfo.org listete am frühen Abend für mehr als 80 Städte über 1.000 Festnahmen auf, darunter allein mehr als 300 in St. Petersburg. Die Menschen riefen trotz Drohungen der Behörden zu Zehntausenden "Freiheit für Nawalny!" und forderten, dem in Haft schwer erkrankten 44-Jährigen ärztliche Hilfe zu leisten. Vereinzelt gab es Berichte über Polizeigewalt gegen die friedlichen Demonstranten.

Nawalny ist seit drei Wochen im Hungerstreik, um so eine Behandlung von einem unabhängigen Arzt zu erwirken. Er klagt über Rückenschmerzen und Lähmungserscheinungen in den Gliedmaßen. Nach Angaben des russischen Strafvollzugs wird er auf einer Krankenstation im Straflager behandelt. Die Behörden sehen keine Gefahr für sein Leben.

Auch Nawalnys Frau Julia, sein Bruder Oleg und seine Mutter nahmen an den nicht erlaubten Aktionen in Moskau teil. Nawalnys enge Mitarbeiterinnen Ljubow Sobol und seine Sprecherin Kira Jarmysch wurden bereits Stunden vor den Protesten festgenommen. Jarmysch kam für zehn Tage in eine Arrestzelle, wie sie mitteilte. Der Grund der Festnahmen war zunächst nicht klar.

Auch in Sibirien gingen Tausende auf die Straße

Die Behörden hatten davor gewarnt, an den Protesten teilzunehmen. In der russischen Hauptstadt waren im Zentrum Zehntausende Menschen auf den Beinen, um Nawalny zu unterstützen, wie unabhängige Beobachter sagten. Autos fuhren mit Hupkonzerten zur Unterstützung an den Demonstranten vorbei. Viele Demonstranten sagten, dass sie ihre Angst überwunden hätten und für Nawalny eintreten wollten. Die Polizei sprach von 6.000 Teilnehmern.

In Sprechchören forderten die Menschen - wie in vielen Städten des Landes - auch den Rücktritt des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Sie riefen "Putin - wor!" und "Putin, uchodi!" (Deutsch: "Putin ist ein Dieb", "Putin, hau ab!"). Sie werfen dem Kremlchef eine Unterdrückung Andersdenkender sowie Korruption vor und riefen "Freiheit! Freiheit!".

Die Proteste hatten im flächenmäßig größten Land der Erde zunächst im äußersten Osten an der Pazifikküste begonnen. Auch in Sibirien gingen Tausende auf die Straße. In St. Petersburg, der Heimatstadt des Kremlchefs, riefen viele Menschen "Putin ist ein Mörder!", "Freiheit für politische Gefangene!" und "Ein Arzt für Nawalny!", wie der Internetfernsehsender Doschd zeigte. Nach Berichten des Kanals setzten dort Uniformierte auch Elektroschocker gegen friedliche Demonstranten ein.

Nawalny macht Putin verantwortlich für den Mordanschlag auf ihn im vergangenen August, als er in Sibirien mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok vergiftet wurde. Der Präsident weist die Vorwürfe zurück. Die russische Führung lehnt auch Ermittlungen in dem international verurteilten Verbrechen ab. Nawalny warf Putin wiederholt vor, er wolle ihn nun im Straflager töten - aus Rache, weil das Attentat gescheitert sei.

Der Kreml hatte internationale Kritik am Umgang mit Nawalny als unzulässige Einmischung in Russlands innere Angelegenheiten abgelehnt. Auch für die medizinische Behandlung des Oppositionellen bezeichnete sich die Präsidialverwaltung als nicht zuständig und verwies an den Strafvollzug, der Nawalnys Zustand als "zufriedenstellend" einstufte.

In Genf verlangten Experten des UN-Menschenrechtsrats hingegen, Nawalny angesichts der "ernsten Gefahr" für seine Gesundheit zur Behandlung ins Ausland auszufliegen. Sie erinnerten daran, dass der Politiker nach dem Mordanschlag in Deutschland behandelt wurde.

Die Sicherheitskräfte verhielten sich zumindest in Moskau anders als bei den Protesten im Winter zunächst etwas zurückhaltender, wie ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur an Ort und Stelle berichtete. Viele Straßen waren mit Absperrgittern im Zentrum verbarrikadiert. Zuletzt hatte es Tausende Festnahmen und massive Polizeigewalt gegen die Nawalny-Unterstützer gegeben. Auch in vielen Städten im Ausland gab es Solidaritätsproteste, darunter in Deutschland unter anderem in Düsseldorf und in Berlin.

Sachsens MP auf heikler Mission in Russland

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) ist unterdessen am Mittwoch zu einem mehrtägigen Besuch nach Moskau gereist. Dabei soll es vor allem um die kulturellen Beziehungen zu Russland gehen. Aber auch politische Gespräche sind geplant, unter anderen mit Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow. Die Reise war angesichts der aktuellen Konflikte im Land sowie in der Ukraine im Vorfeld kritisiert worden.

Kretschmer hatte seinen Trip mitten in der Corona-Pandemie zuvor verteidigt. Die Wiederbelebung eines Gesprächs sei aus seiner Sicht auf allen Ebenen "bitter nötig", sagte er vor der Reise. In der Vergangenheit hatte er sich wiederholt für eine Aufhebung der Russland- Sanktionen ausgesprochen.

Und Kretschmer betonte, er werde in Moskau das Gespräch auch mit Menschen suchen, die der Regierung kritisch gegenüberstehen. Höhepunkt des Besuches ist am Donnerstag die Eröffnung einer gemeinsamen Ausstellung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und der Tretjakow-Galerie Moskau zu Malerei der Romantik. (dpa)

CoronaCast: Kretschmers heikle Mission

Die Russlandreise von Michael Kretschmer mitten in der Pandemie ist auch Thema im CoronaCast, dem Podcast von Sächsische.de. Wieso die Reise mit einer Delegation aus Politik, Wirtschaft und Kultur heikel ist, erklärt SZ-Politikchefin Annette Binninger. Den

Podcast hören Sie direkt über den eingebetteten Player. Mehr zum Thema finden Sie in diesem Artikel: Deshalb ist diese Russlandreise so heikel