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40 Euro für eine Portion Martinsgans: Warum der Braten Luxus wird

In Sachsen gibt es nun Martinsgans. Doch die Preise sind deutlich gestiegen. Züchter aus Sachsen legen ihre Kalkulation offen. Und Wirte erklären, warum eine Portion bis zu 40 Euro kostet.

Von Susanne Plecher
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Claudia Domanja inmitten ihrer schnatternden Schar. Etwa 500 Gänse zieht der Familienbetrieb Hof Domanja in Hoske, einem Ortsteil von Wittichenau, auf.
Claudia Domanja inmitten ihrer schnatternden Schar. Etwa 500 Gänse zieht der Familienbetrieb Hof Domanja in Hoske, einem Ortsteil von Wittichenau, auf. © Matthias Rietschel

Noch schnattern sie ahnungslos in der Herbstsonne, zupfen Blätter und Halme auf der Weide, flattern ein bisschen durch die letzten wärmenden Sonnenstrahlen. Aber die Tage der Gänse auf dem Hof Domanja in Wittichenau sind gezählt. Am kommenden Freitag ist Martinstag – und damit beginnt traditionell die Gänsebratenzeit in Sachsen.

Etwa 500 Gänse werden in dem Familienbetrieb in der Lausitz großgezogen und geschlachtet. Die Gössel sind in der Geflügelfarm in Jämlitz/Gablenz kurz hinter der Grenze zu Brandenburg geschlüpft. Am Anfang brauchen die Küken viel Wärme und kuscheln sich tags und nachts unter Rotlichtlampen. Die Jungtiere, der Strom für ihren warmen Stall, ihr Futter, der Lohn für die Mitarbeiter – all das kostet in diesem Jahr zum Teil erheblich mehr als sonst.

„Wir bauen den Weizen zwar selber an. Aber auch für Saatgut und Düngemittel haben sich die Preise enorm erhöht. Fahre ich mit dem Traktor übers Feld, zahle ich doppelt so viel für den Diesel wie im vergangenen Jahr“, sagt Olaf Müller vom Hof Domanja. Trotzdem müssen die Produkte für die Kunden noch bezahlbar bleiben. „Wir haben lange darüber nachgedacht, wie viel wir verlangen können“, sagt er. Am Ende der Überlegung standen drei Euro mehr als 2021. Das Kilogramm Gans kostet auf dem Hof nun 18,90 Euro.

Der Sachse ist ein treuer, traditionsbewusster Verbraucher

Eine ausgewachsene Gans wiegt in etwa 4,5 bis 5,5 Kilogramm. Das macht bei Domanjas also 85,05 bis 103,95 Euro pro Tier. Sorgen, dass er sie deswegen nicht losbekommen würde, macht sich Olaf Müller keine. Die treiben auch Lorenz Eskildsen nicht um. Der Gänsebauer aus Wermsdorf in Nordsachsen schlachtet pro Jahr 30.000 Tiere aus eigener Brüterei und Aufzucht. Er sagt: „Der Sachse ist ein treuer und traditionsbewusster Verbraucher, der seine Gans vor allem zu Weihnachten liebt.“ In keiner anderen Region Deutschlands sei man so scharf auf den Braten wie hier.

Eskildsen verlangt jetzt 18,95 Euro pro Kilo Gans. 2021 waren es noch 16,25 Euro. Er bewegt sich damit in dem branchenüblichen Bereich: 15 Prozent mehr kosten die deutschen Gänse in diesem Jahr. „Das ist das erste Mal seit Jahrzehnten, dass wir als Produzenten eine normale Preisgestaltung haben“, sagt der Vorsitzende des Bundesverbandes Bäuerliche Gänsehaltung. Um alle Kosten zu decken und einen gesunden Profit zu erwirtschaften, müsste ein Kilo Gans eigentlich 19,95 Euro kosten.

186 Euro pro Gans

In Zwickau nimmt Sarah Scherk gerade die Martinstagsmenüs aus dem Drucker. Was die Gänsekeule mit Rotkohl und Klößen im Brauhaus kostet? „Warten Sie, ich schau nach ... 24,90 Euro“, sagt sie. Im vorigen Jahr zahlten die Gäste ihres unweit des Doms gelegenen Restaurants für die gleiche Portion sechs Euro weniger. Besonders deutlich wird der Preisanstieg bei der fertig zubereiteten, kompletten Gans inklusive Beilagen. Die kostete 2021 noch 99 Euro. In diesem Jahr sind es 186 Euro. Vier Personen werden davon satt. Scherks kaufen die Gänse frisch bei einem sächsischen Erzeuger ein. Hätten sie keine Sonderkonditionen, weil sie Großabnehmer sind, würden sie etwa 98 Euro pro Tier zahlen. Dazu kommen die Kosten für die Zutaten, Miete, Energie, der Lohn für die Angestellten. „Eigentlich ist das Gericht noch zu günstig. Aber das, was wir umsetzen müssten, können wir hier nicht verlangen“, sagt Sarah Scherk. „Wir haben sehr viel gegrübelt, was da gerade noch so möglich ist.“

Axel Klein, Dehoga-Chef von Sachsen, findet das angesichts der massiv gestiegenen Preise fast noch zu billig. „Der Gänsebraten wird wieder etwas Besonderes werden, das die Leute auch wertschätzen. Schnäppchenangebote wird es nicht mehr geben“, sagt er. Einer Dehoga-Umfrage zufolge ziehen 73 Prozent der Wirte sogar in Erwägung, anstelle von Gänsebraten im Advents- und Weihnachtsgeschäft Alternativen wie Wild, Ente oder Fischgerichte anzubieten.

„Die Importgänse kosten jetzt doppelt so viel"

Die Frage, in welchem Umfang die Preiserhöhung an die Gäste weitergegeben werden kann, treibt alle Wirte um. „Wir haben lange darüber diskutiert“, sagt auch Marcel Krause von der Schützenhaus Eventgroup Großenhain. Sie betreibt unter anderem das Restaurant Mücke im Stadtpark. Das Martinsgansessen findet dort nur an einem Tag statt und wird zu etwas Besonderem gemacht – mit schön eingedeckten Tischen, einem Glas Sekt, Gänsefett auf Brot, einer Gänsebrühe. Soße, Klöße und Kohl stehen in Schüsseln auf den Tischen. Fleisch wird nachgereicht. Die Großenhainer mögen das und kommen immer wieder. Es sind hauptsächlich Stammgäste. Obwohl Krause dafür pro Person nun 39,90 Euro verlangt, gibt es nur noch 25 freie Plätze. 2021 zahlten die Gäste dafür genau zehn Euro weniger. Aber es gab auch keinen Sekt. „Wir müssen die gestiegenen Preise umsetzen. Sonst können wir hier dicht machen“, sagt er. „Das funktioniert nur, weil das Martinsgansessen bei uns den Eventcharakter hat“, schiebt er nach.

Probleme mit Seuchen in Ungarn und Polen

In der Gastro, so Lorenz Eskildsen, findet sich nur in den seltensten Fällen deutsche Ware. Er selbst verkauft nur an drei eher hochpreisige Restaurants in Sachsen: Vincenz Richter in Meißen, Schumanns in Kirschau und den Fürstenhof in Leipzig. Eskildsen sagt: „Die Importgänse kosten jetzt doppelt so viel wie im vorigen Jahr.“

Der Großhändler Selgros verkauft die polnische Hafermastgans derzeit für 13,90 Euro pro Kilo. Aldi Nord gibt die Gänsebrust für 17,99 Euro pro Kilo ab, der gleiche Preis findet sich bei Globus für Tiere, die ebenfalls aus polnischer Mast stammen. „Aber Gans ist nicht gleich Gans, qualitativ liegen da Welten dazwischen“, sagt Axel Klein.

Ein Großteil der Gänse, die in Deutschland gegessen werden, stammen aus Ungarn und Polen.
Ein Großteil der Gänse, die in Deutschland gegessen werden, stammen aus Ungarn und Polen. © Matthias Rietschel

Zu den überall gestiegenen Futter- und Energiekosten kommt eine Verknappung des Angebotes: Nach Vogelgrippe-Ausbrüchen in diesem Jahr mussten in Schleswig-Holstein ganze Bestände gekeult werden. Auch in Ungarn und Polen hat es große Ausfälle wegen der Seuche gegeben. Ein Großteil der Gänse, die in Deutschland gegessen werden, stammen von dort. Die deutschen Erzeuger decken nur 20 Prozent des Bedarfs ab. Im Jahr 2020 sind 18.700 Tonnen importiert worden, hat das Statistische Bundesamt ermittelt.

Die Gans soll fressen, nicht schlafen.

Dass das Mästen und Schlachten in Polen und Ungarn wesentlich günstiger machbar ist, liegt nicht nur am deutschen Mindestlohn oder den hiesigen Diesel- und Energiepreisen. Es liegt zum Großteil an den Haltungsbedingungen. „Hafermast klingt ja erst mal gut“, sagt Eskildsen. Aber Gänse, die so gelabelt werden, werden lebend gerauft und mittels Stopfrohr aus Metall zwangsernährt. Oft werden sie in Intensivmastbetrieben gehalten, um die Aufzuchtzeit zu verkürzen. Sogar das Licht ist dort länger an. Die Gans soll fressen, nicht schlafen.

In Deutschland sind solche Praktiken verboten, europaweit aber nicht. Es gibt EU-weit noch nicht einmal eine Deklarationsvorschrift, die Hersteller zwingt, über die Mastbedingungen Auskunft zu geben. „Wer die Gans aus der Tiefkühltruhe kauft, kann nicht erkennen, ob sie artgerecht gehalten wurde“, sagt Eskildsen. Sicherheit geben nur die in Deutschland gesetzlich geschützten Kennzeichnungen „Freilandhaltung“, „Bäuerliche Freilandhaltung“ und „Bäuerliche Freilandhaltung unbegrenzter Auslauf“. Eskildsen gewährt seinen Tieren auf den Wermsdorfer Weiden einen Auslauf von 15 Quadratmetern pro Gans.

Das Ehepaar Lukasch, das in Bautzen unweit des Doms das sorbische Restaurant Wjelbik betreibt, setzt als Slow-Food-Restaurant seit jeher auf regionale Produkte. Die Gänse, die sie zu ihrem fünfgängigen Martinstagsmenü verarbeiten, schnattern jetzt noch auf dem Hof Domanja in Wittichenau. Steinpilzcappuccino, pochiertes Forellenfilet, Gänsekeule mit Rotkraut, Gänsebrust mit Morchel-Jus und Kartoffeltarte und als Nachtisch eine Pfefferkuchenmousse mit Mirabellensorbet gibt es nur an den Wochenenden vor und nach dem Martinstag. Und nur auf Vorbestellung. Im Krisenjahr 2022 kostet das Menü 65 Euro. 2021 waren es noch 49,20 Euro. „Abgesehen davon haben wir bislang die Preise unserer Gerichte kaum erhöht und warten damit, bis wir es wirklich müssen“, sagt Restaurantchefin Monika Lukasch. Bei der Gans musste sie.