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AfD-Wahlsieg in Pirna: Das sind die Reaktionen

Nach dem Sieg des AfD-Kandidaten Tim Lochner bei der OB-Wahl in Pirna äußert sich die katholische Kirche ungewöhnlich deutlich. An anderer Stelle gibt es Schuldzuweisungen.

Von Mirko Jakubowsky & Gunnar Saft & Tobias Winzer
 9 Min.
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Tim Lochner feiert am Sonntagabend in der AfD- Geschäftsstelle: Die Reaktionen auf den Wahlsieg  fallen durchaus gemischt aus.
Tim Lochner feiert am Sonntagabend in der AfD- Geschäftsstelle: Die Reaktionen auf den Wahlsieg fallen durchaus gemischt aus. © Daniel Förster

Mit Tim Lochner hat erstmals ein Kandidat der AfD eine Oberbürgermeisterwahl in Deutschland gewonnen. Der 53-Jährige setzte sich am Sonntag im sächsischen Pirna im zweiten Wahlgang gegen zwei Kontrahenten von der CDU und den Freien Wählern durch.

Lochner ist parteilos, trat aber für die AfD an. Er erhielt nach dem vorläufigen Endergebnis rund 38,5 Prozent der Stimmen. Dahinter rangieren Kathrin Dollinger-Knuth (CDU) mit rund 31,4 Prozent und der parteilose Ralf Thiele mit rund 30,1 Prozent, der für die Freien Wähler ins Rennen ging. Auch Lochner und Thiele waren früher CDU-Mitglieder. Die Stadtverwaltung gab die Wahlbeteiligung mit 53,8 Prozent an. Schon im ersten Wahlgang war sie mit 50,4 Prozent vergleichsweise schwach.

Das sind die Reaktionen zum Wahlergebnis in Pirna:

Ungewöhnlich deutlich äußert sich der Bischof des katholischen Bistums Dresden-Meißen, Heinrich Timmerevers, zu dem Wahlergebnis. "Das Wahlergebnis in Pirna besorgt mich. Als Christ kann ich die Ziele und Haltungen der AfD nicht mit unserem Menschenbild und christlichen Grundwerten vereinbaren", schreibt er auf X. Und der 71-Jährige begründet seine Haltung: "Wir stehen als Gesellschaft vor schwierigen Themen. Menschenwürdige Gestaltung von Migration, Verbesserung sozialer Gerechtigkeit und der Umgang mit Klimaveränderungen werden für uns zur Zerreißprobe." Hier brauche es ein Ringen und eine Auseinandersetzung um gute Lösungen. "Nationalistische und fremdenfeindliche Haltungen bringen uns dabei nicht weiter."

Zugleich schränkt er ein. "Nicht jeder ist automatisch ein Rechtsradikaler, der ein Kreuz bei vermeintlichen AfD-Kandidaten setzt." Es dürfe uns jedoch nicht egal sein, wenn rechtsextreme & faschistische Aussagen geduldet oder salonfähig werden.

Sachsens Bischöfe hatten sich zuletzt mit der Landesregierung um Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) getroffen. Anschließend hatte Kretschmer gesagt: "Die Freiheit, die wir 1989/90 aus den Kirchen dieses Landes heraus angeschoben haben, die gilt es jetzt bei den nächsten Wahlen zu verteidigen". Bei dem Austausch ging es der Staatskanzlei zufolge unter anderem um Strategien für ein Zurückdrängen des Populismus und den Erhalt eines gemeinsamen Wertesystems.

OB-Wahl in Pirna: Gegenseitige Schuldzuweisungen

Die sächsischen Freien Wähler kritisieren derweil die CDU scharf. Die CDU habe es nicht fertiggebracht, sich hinter den nach dem 1. Wahlgang zweitplatzierten Kandidaten der Freien Wähler zu stellen, sagt Thomas Weidinger, Landeschef der Freien Wähler in Sachsen. "Stattdessen hat man mit dem nochmaligen Antritt der CDU-Kandidatin bewusst in Kauf genommen, für die AfD den Steigbügelhalter zu spielen." Die CDU habe die Maske fallen lassen, man sei sich nicht zu schade, sich von SPD, Grünen und Linken unterstützen zu lassen, um zum Ziel zu kommen, betonte Weidinger. "Die Menschen sehen jetzt, dass man den Äußerungen von Ministerpräsident Kretschmer keinen Glauben schenken kann. Sein Bashing gegen die Grünen ist unglaubwürdig."

Die CDU wiederum sieht die Schuld bei den Freien Wählern. "Leider haben sich die Freien Wähler entschlossen allein weiterzumachen und damit den Weg für einen AfD-Erfolg geebnet", teilt die Kandidatin Kathrin Dollinger-Knuth mit. Als christdemokratische Fraktion werde man die Arbeit des gewählten Oberbürgermeisters im Stadtrat "kritisch-konstruktiv begleiten und dabei immer das Wohl Pirnas im Blick haben", so Dollinger-Knuth weiter.

Erwartungsgemäß zeigt sich AfD-Chef Tino Chrupalla hoch erfreut: "Der Tischlermeister wird die Interessen der Bürger von Pirna gut vertreten. Wir verstehen unser Handwerk und nehmen die Sorgen der Bürger ernst."

Auch Sachsens AfD-Chef Jörg Urban gratuliert: "AfD Sachsen stellt in Pirna den ersten Oberbürgermeister Deutschlands: Herzlichen Glückwunsch, Tim Lochner", schreibt er auf Facebook. Ähnliche Worte kommen von AfD-Bundeschefin Alice Weidel. Sie gratulierte Lochner auf der Plattform X und schrieb von einem "historischen Ergebnis".

Sachsens Innenminister Armin Schuster meldete sich am Sonntagabend ebenfalls auf X. Es gelte, den Wählerwillen aus Pirna zu respektieren, so der CDU-Politiker. Schuster schreibt weiter, dass ein Ergebnis von unter 40 Prozent in einer der Hochburgen Sachsens kein grandioser AfD-Erfolg sei.

Der CDU-Landtagsabgeordnete Sebastian Fischer schreibt auf X von einem Ergebnis, das akzeptiert werden müsse. Für die Landtagswahl 2024 "steht die Aufgabe klar: Der Freistaat braucht Stabilität und Verlässlichkeit - wir als CDU Sachsen werden kämpfen.

Linksfraktionschef Rico Gebhardt konstatiert: "Es ist den Wählenden egal, ob eine Partei als gesichert rechtsextrem eingestuft ist, sie wählen sie bewusst trotzdem."

Der Linke-Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann schreibt ebenfalls auf X: "Die CDU Sachsen und die Freien Wähler in Sachsen sorgen dafür, dass in Pirna die Nazis wieder an die Macht kommen. Einfach zum kotzen!" Die Linke-Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz äußert sich auf X so: "Das Erwartbare ist geschehen. In Pirna. Das Problem ist, dass es in fast jedem anderen Landkreis in Sachsen hätte ebenso geschehen können. Höchste Zeit für die Zivilgesellschaft und die demokratischen Parteien, die Kräfte zu bündeln und antifaschistische Strategien zu entwickeln."

Die Kreisvorsitzende der Linken, Lisa Thea Steiner, sagte am späten Abend, Pirna werde sich nun "auf Jahre der sozialen Kälte einstellen" müssen. Weiter hieß es: "Wir werden den neuen Oberbürgermeister inhaltlich stellen. Wir werden laut sein, dort, wo er versucht, unsoziale Politik durchzudrücken."

Die sächsische Europaabgeordnete der Grünen, Anna Cavazzini, weist darauf hin, dass die AfD in Sachsen vom Landesverfassungsschutz erst vor rund einer Woche als gesichert rechtsextrem eingestuft worden sei. Die Grüne-Bundestagsabgeordnete Paula Piechotta schreibt auf X: "Die Mehrheit der Menschen hat nicht AfD gewählt. Das sächsische Kommunalwahlrecht hat dieses Ergebnis mit produziert."

Und Sachsens Grüne: "Die Wahl eines Bürgermeisters einer Partei, die der Verfassungsschutz vergangene Woche als rechtsextrem eingestuft hat, bestürzt uns. Wir stehen fest an der Seite der demokratischen Kräfte in Pirna und der Region."

Landesparteichefin Marie Müser schlägt auch selbstkritische Töne an: "Der Wahlsieg in Verbindung mit der niedrigen Wahlbeteiligung von 53 Prozent zeigt deutlich, dass demokratische Parteien, natürlich auch wir Grüne, zu viele Menschen aktuell nicht erreichen." Alle demokratischen Parteien müssten an einen Tisch kommen und selbstkritisch analysieren, wieso dies der Fall sei und was geändert werden müsse. "Klar ist: Es muss uns besser gelingen, gemeinsam mit den Menschen Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit zu entwickeln und Lösungen umzusetzen."

Auffälligerweise äußerten sich am Montag die Spitzen der sächsischen Regierungskoalition nicht oder nur sehr allgemein zur Wahl in Pirna. So lobte Sachsens CDU-Generalsekretär Alexander Dierks lediglich den engagierten Wahlkampf der eigenen Kandidatin sowie deren "deutliche Zugewinne an Stimmen". Auf den dennoch klaren AfD-Erfolg ging er nicht ein. Sachsens SPD-Co-Vorsitzender Henning Homann sagte, seine Partei wolle nun bei der Kommunalwahl im Juni "dieser AfD-Stadtspitze ein starkes, demokratisches Korrektiv entgegenstellen"

Eine verstörende wie geschmacklose Nachricht kommt vom Leipziger Grünen-Politiker Jürgen Kasek. Er schrieb in einer Reihe von Beiträgen zur Pirna-Wahl auf X auch: "Was macht eigentlich die Royal Air Force gerade?" - und spielte damit offensichtlich auf alliierte Bombenangriffe auf Hitlerdeutschland im Jahr 1945 an. Kasek hat seinen X-Beitrag mittlerweile gelöscht.

Diesen Post hat Jürgen Kasek am Montag wieder gelöscht.
Diesen Post hat Jürgen Kasek am Montag wieder gelöscht. © X/Screenshot: Sächsische.de

Der Landesverband der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) in Sachsen wird deutlich. Sprecher Silvio Lang sagt: "Dass mit Pirna nun ausgerechnet die sächsische Stadt, in der eine Gedenkstätte für die Opfer der NS-Euthanasiemorde liegt, als erste deutsche Stadt einen AfD-Oberbürgermeister bekommt, lässt uns schockiert, traurig und wütend zurück." Wie könne ein Oberbürgermeister einer faschistischen Partei am 27. Januar oder 9. November glaubhaft Einladender oder Schirmherr für Gedenkaktionen sein? "Aus unserer Sicht ist dies nicht möglich."

Der sächsische Grünen-Bundestagsabgeordnete Kassem Taher Saleh zeigte sich auf X "entsetzt" über den Wahllausgang in Pirna. Leiden werde "die Zivilgesellschaft, die Wirtschaft, Geflüchtete, der Wohlstand und das Image der Stadt". Mit Blick auf die Debatte nach der Verantwortung für das Wahlergebnis betonte er: "Schuldzuweisungen sind jetzt nicht angebracht."

Der Deutsche Städtetag reagierte besorgt. "Die Bürgerinnen und Bürger von Pirna haben entschieden. Das ist Demokratie, das Ergebnis beunruhigt uns im Deutschen Städtetag aber sehr. Denn es zeigt, dass vielerorts ein Riss durch unsere Gesellschaft geht in einer Zeit, in der wir mehr Zusammenhalt und gemeinsames Engagement brauchen, um die Veränderungen und Herausforderungen zu meistern, vor denen wir stehen", erklärte Präsident Markus Lewe am Montag in Berlin.

Markus Lewe (CDU), Oberbürgermeister der Stadt Münster und Präsident des Deutschen Städtetages.
Markus Lewe (CDU), Oberbürgermeister der Stadt Münster und Präsident des Deutschen Städtetages. © dpa

"Wir nehmen die Menschen in unseren Städten wahr, die krisenmüde sind und manchen politischen Diskussionen nicht mehr folgen wollen oder können. Ihnen muss unser Augenmerk gelten. Sie sind es, die wir bei den vielen Veränderungen, vor denen wir stehen, mitnehmen müssen", betonte Lewe. Das werde nicht gelingen mit Parteien, die extremistische Positionen vertreten. Extremistische Parteien setzten darauf, die Gesellschaft zu spalten und schürten Angst und Verunsicherung. Man brauche dagegen mehr denn je den Austausch und Ausgleich unterschiedlicher Interessen. Bund und Länder müssen die Kommunen deshalb viel stärker als bisher in politische Entscheidungsprozesse einbinden.

Mischa Woitscheck, Geschäftsführer des Sächsischen Städte- und Gemeindetages (SSG), auf die Anfrage von Sächsische.de, ob die Wahl des neuen Pirnaer Oberbürgermeisters Auswirkungen auf die Arbeit des kommunalen Spitzenverbandes hat: "Nicht der Oberbürgermeister, sondern die Stadt Pirna ist Mitglied des SSG. Daran ändert auch die Wahl eines neuen Oberbürgermeisters nichts. Bei Bürgermeister- und Oberbürgermeisterwahlen handelt sich um demokratische Personenwahlen, deren Ergebnisse wir respektieren. An die Oberbürgermeisterwahl schließt sich die Wahlprüfung durch das Landratsamt an. Sobald diese Prüfung ohne Beanstandungen verlaufen ist und der Gewählte das Amt angetreten hat, wird er auch im SSG-Kreisverband Sächsische Schweiz-Osterzgebirge als gesetzlicher Vertreter der Stadt mitwirken können. Es bleibt abzuwarten, wie sich der neue Oberbürgermeister in diese Gemeinschaft einbringen wird."