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Porträt: Wer ist Tim Lochner - der erste Oberbürgermeister für die AfD?

In Pirna stellen die Rechtsextremen mit Tim Lochner nun erstmals einen Oberbürgermeister. Der Tischlermeister will aber weiterhin kein Mitglied der Partei werden.

Von Thomas Möckel
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OB-Kandidat Tim Lochner: "Pirna braucht neuen Schwung."
OB-Kandidat Tim Lochner: "Pirna braucht neuen Schwung." © Norbert Millauer

Gleich nachdem sein Sieg am Sonntagabend feststand, bedankte sich Tim Lochner bei Sachsens AfD-Landeschef Jörg Urban und Generalsekretär Jan Zwerg dafür, dass sie ihn im Wahlkampf unterstützt haben. Lochner hatte soeben die Oberbürgermeisterwahl in Pirna im zweiten Wahlgang mit 38,5 Prozent der Stimmen gewonnen. Und Urban frohlockte, mit ihm stelle die AfD nun den ersten Oberbürgermeister in Deutschland. Dabei ist der 53-jährige künftige Rathauschef der 40.000-Einwohner-Stadt gar nicht Mitglied der AfD – und wird es aller Voraussicht auch nicht werden.

Lochner, das graue Haar gescheitelt und leicht nach hinten gekämmt, meist in Jeans und Oberhemd gekleidet, darüber gelegentlich ein Sakko und in letzter Zeit häufiger ein Trachten-Janker, hat sich nicht zum ersten Mal um das Amt beworben. Bei der Wahl 2017 bekam er 32,9 Prozent der Stimmen, exakt genauso so viel wie im ersten Wahlgang 2023.

Im Herbst 2016 war er aus der CDU ausgetreten, kurz darauf trat er als parteiloser Einzelkandidat erstmals zur Oberbürgermeisterwahl in Pirna an. Als er damals im Vorfeld wegen seiner Nähe zu Pegida und zur AfD befragt wurde, ob es während einer möglichen Amtszeit mit ihm den ersten AfD-Oberbürgermeister geben werde, verneinte er rigoros. Er schloss damals generell aus, in den kommenden Jahren in irgendeine Partei einzutreten, auch die AfD komme für ihn nicht infrage.

Dass AfD als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wurde, stört Lochner nicht

Daran hat er sich bis heute gehalten, am Wahlabend schloss er erneut eine Parteimitgliedschaft aus. Gleichwohl ist er dieses Mal als Kandidat für die AfD angetreten. Der Pirnaer AfD-Stadtverband hatte ihn im März einstimmig nominiert. Lochner sagt, so sei es im Vorfeld vereinbart worden: er kandidiere, werde aber kein Parteimitglied und bleibe so parteipolitisch unabhängig. Natürlich berge auch das eine Etikettierung in sich, aber es bringe eben durchaus Vorteile, eine Partei im Hintergrund zu haben. So habe er im Wahlkampf auf viele Helfer und eine vorhandene Infrastruktur zurückgreifen können. Zudem sei ihm der aufwendige Weg erspart geblieben, Unterschriften für die Zulassung als OB-Kandidat zu sammeln. Inhaltlich lägen er und die AfD ohnehin nah beieinander.

Nicht in AfD, aber in ihrem Namen: Der parteilose künftige Pirnaer Oberbürgermeister Tim Lochner (Mitte), umgeben von AfD-Landeschef Jörg Urban (r.) und Generalsekretär Jan Zwerg. Foto: dpa/Sebastian Kahnert
Nicht in AfD, aber in ihrem Namen: Der parteilose künftige Pirnaer Oberbürgermeister Tim Lochner (Mitte), umgeben von AfD-Landeschef Jörg Urban (r.) und Generalsekretär Jan Zwerg. Foto: dpa/Sebastian Kahnert © dpa

Dass er nun für die Partei ins Rathaus einzieht, deren sächsischen Landesverband mittlerweile vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wird, störe ihn nicht. Diese Einstufung sei ohnehin politisch gesteuert und Ausdruck dessen, dass es viel zu schnell zu viele Vorverurteilungen gebe. „Es ist aberwitzig, eine Partei als rechtsextrem einzustufen, die versucht, auf parlamentarischen Wegen Mehrheiten zu generieren“, sagt Lochner, Und die extremistischen Positionen in der AfD? Es gebe in jeder Partei unglückliche Aussagen, die nach einer Seite ausreißen, meint Lochner.

Ihm gehe es jetzt vor allem darum, Pirna neuen Schwung zu geben, die Stadt müsse sich wieder Visionen leisten können. Er werde, so verkündete er am Wahlabend, bei Entscheidungen im Rathaus den Logik-Faktor erhöhen. Seit fast zehn Jahren sitzt Lochner im Pirnaer Stadtrat. Er sagt, in dieser Zeit sei man in erster Linie dazu verdammt gewesen, sich selbst zu verwalten und den Eigenanteilen hinterherzuhecheln, um Fördermittel zu bekommen. Es sei nichts Visionäres entstanden, Pirna sei mehr schläfrig verwaltet als kraftvoll gestaltet worden. Er wolle nun die die Stadt, in der er zeitlebens lebt, voranbringen.

Lochner wurde 1970 in Pirna geboren, nach der Schule absolvierte er eine Lehre zum Holzmodellbauer, 1993 erwarb er den Meistertitel im Tischlerhandwerk. In einem zweijährigen Studium am Europäischen Institut für Denkmalpflege ließ er sich zum staatlich geprüften Restaurator ausbilden, seit 30 Jahren ist er mit einer eigenen Werkstatt selbstständig. Zehn Jahre saß er im Aufsichtsrat der Volksbank Pirna, aktuell ist er Aufsichtsrat der Städtischen Wohnungsgesellschaft Pirna, der Stadtwerke sowie der Pirnaer Holding. Darüber hinaus war er an der Gründung des 1. FC Pirna beteiligt, leitete ihn geraume Zeit. Lochner ist Vater zweier erwachsener Kinder.

Pirna braucht frischen Wind im Rathaus

Seit 2014 ist er Mitglied des Stadtrats, anfänglich für die CDU-Mittelstandsvereinigung MIT, dann kam der Austritt aus der Partei. Nach der OB-Wahl 2017 gründete er mit Mitstreitern die Wählervereinigung „Pirna kann mehr“ (PKM), suchte später die die Nähe zur einstigen AfD-Chefin Frauke Petry und ihrer inzwischen aufgelösten Sammlungsbewegung „Blaue Wende“. Im Herbst 2018 gründete Lochner mit zwei anderen Stadträten die Fraktion „Pirna kann mehr – Blaue Wende“. Doch im Frühjahr 2019 ging Lochner auf Distanz zu Petry, weil er sich zu sehr für sie und ihre Ziele sowie für Ziele der Landes- und Bundespolitik vereinnahmt gefühlt habe.

Nun findet er sich in ähnlicher Rolle mit der AfD. Er sehe aber keine Gefahr, sich vereinnahmen zu lassen, für ihn gebe es keine Parteiorder, betont der Parteilose. Seit Anfang 2020 ist er Mitglied der AfD-Stadtratsfraktion. „Das hat Nähe gebracht“, sagt er, „aber keine Abhängigkeit.“

Wenn Lochner im Stadtrat auftritt, dann stets ruhig und sachlich, er formuliert Anliegen meist kurz und gibt nach außen hin gern den Gemäßigten. In sozialen Netzwerken schlägt er aber auch anderer Töne an. Mal bezeichnet er beispielsweise Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) als Lügner. Mal schreibt er, mit diesem Staat, dieser Regierung und den Medien habe er abgeschlossen. Und in einem öffentlichen Wahlforum drohte er vom Podium aus einem Fragesteller.

Seine Wahlziele hatte Lochner in einer eigenen Wahlkampfzeitung umrissen, mit teils widersprüchlichen Aussagen. So haderte er beispielsweise heftig mit der Corona-Politik von Land und Bund, organisierte bereits 2020 Corona-Demonstrationen. Er wendet sich auch gegen unkontrollierte Migration, bedient sich dabei auch Verschwörungsmythen etwa vom sogenannten „großen Austausch“ der Bevölkerung. In seiner Wahlkampfzeitung schreibt er, in Pirna würden nun mit den Begleiterscheinungen der sogenannten „großen Transformation“ die Bremsspuren unangenehm und schmerzhaft sichtbar. Das wiederholte er auch Wahlabend. „Wenn wir einen Ausländeranteil in gewissen Stadtteilen haben von nachweislich 38 Prozent in den Grundschulen und Kitas, dann ist das für mich schon ein Austausch der einheimischen Bevölkerung“, sagte er in einem Interview.

Gegen die Corona-Politik, Migration und Vielfalt

Auch mit Vielfalt und Diversität tut sich Lochner schwer. Als das Landratsamt 2016 anlässlich des Christopher Street Day die Regenbogenflagge hisste, warf er mit anderen der Behörde vor, dass sie dem „Zeitgeist hinterher stolpert“. Erst kürzlich ließ er wissen, dass es mit ihm als OB keine Regenbogenfahne vor dem Rathaus geben werde.

Viele seiner Themen sind auf kommunaler Ebene nicht lösbar. Gleichwohl erwarte er, dass sich ein Rathauschef in solchen Fällen bei zuständigen Stellen engagiert, damit sich etwas ändert. „Ich für meinen Teil“, sagt Lochner, „stehe für neuen Schwung und tatsächliche Veränderung.“

Wie das aussehen soll, dafür lieferte er am Wahlabend schon einen Vorgeschmack. Er werde versuchen, verkündete Lochner, die Mitarbeiter im Rathaus möglichst einzeln persönlich kennenzulernen – und auf ihre Loyalität prüfen.