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Wie Pirna zur AfD-Hochburg wurde

Der Sieg des AfD-Kandidaten Tim Lochner reiht sich ein in eine Serie von Wahlerfolgen der Partei. Was folgt daraus?

Von Thilo Alexe & Gunnar Saft
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Der parteilose künftige Pirnaer Oberbürgermeister Tim Lochner (Mitte), umgeben von AfD-Landeschef Jörg Urban (r.) und Generalsekretär Jan Zwerg.
Der parteilose künftige Pirnaer Oberbürgermeister Tim Lochner (Mitte), umgeben von AfD-Landeschef Jörg Urban (r.) und Generalsekretär Jan Zwerg. © dpa

Pirna sorgt deutschlandweit für Aufmerksamkeit. Die sächsische Stadt mit rund 40.000 Einwohnern ist die erste, in der ein AfD-Kandidat zum Oberbürgermeister gewählt wurde.

Der Tischlermeister Tim Lochner ist zwar parteilos, trat aber für die AfD an.

Sächsische.de analysiert den Wahlausgang und blickt auf die Folgen.

Welche Ursachen hat das Wahlergebnis?

Der Sieg Lochners ist kein Zufall. Er reiht sich ein in eine Serie von AfD-Wahlerfolgen in der Region. Die damalige Bundeschefin Frauke Petry gewann den Wahlkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge in der früheren CDU-Hochburg bei der Bundestagswahl 2017 mit mehr als 37 Prozent der Stimmen. Vier Jahre später war dort AfD-Mann Steffen Janich erfolgreich, der ein Drittel der Erststimmen auf sich vereinigte Tim Lochner holte nun bereits im ersten Durchgang eine relative Mehrheit, die er im zweiten Durchgang ausbaute.

In Pirna hat sich eine stabile AfD-Wählerbasis geformt. Polarisierende kommunalpolitische Themen standen bei der OB-Wahl weniger im Fokus. Es ging wohl eher um Unzufriedenheit mit anderen Parteien, mit Politik generell. Womöglich wurde es für den gut vernetzten Lochner einfacher dadurch, dass sich seine Konkurrenz nach der ersten Runde nicht auf einen Gegenkandidaten einigte, sondern die Bewerberin der CDU, Kathrin Dollinger-Knuth, und der Kandidat der Freien Wähler, Ralf Thiele, antraten.

Offen ist aber, ob das Ergebnis bei nur zwei Namen auf dem Wahlzettel letztlich anders ausgesehen hätte – auch wenn die Freien Wähler das nun behaupten. In Sachsen gibt es keine Stichwahl zwischen zwei Bewerbern. Das heißt: Um Rathauschef zu werden, braucht es nicht zwingend eine absolute Mehrheit.

Hat die Einstufung der Sachsen-AfD als rechtsextremistisch Folgen?

Diese Einstufung des sächsischen AfD-Landesverbandes durch den Verfassungsschutz hat keinerlei Konsequenzen für den neuen Pirnaer Oberbürgermeister. Dessen Wahl wird zwar formal noch durch das zuständige Landratsamt geprüft, sollte sich allerdings bestätigen, dass alles korrekt verlaufen ist, kann Tim Lochner sein Amt antreten – vermutlich im Februar 2024.

Die Einstufung als „gesichert rechtsextremistisch“ hat kommunalrechtlich auch keine Auswirkung auf AfD-Parteimitglieder, die Mitglied eines Gemeinderates oder Stadtrates sind. Räte sowie amtierende Bürgermeister und Oberbürgermeister können ihre Mandate beziehungsweise Ämter nur verlieren, wenn es zu einem Verbot ihrer Partei kommen sollte und sie zum Zeitpunkt der Beantragung eines solchen Verbots noch Mitglieder dieser Partei waren.

Ein Parteiverbot ist im Fall der AfD gegenwärtig allerdings kein Thema. Für Lochner wäre das zudem kein Problem, da er gar kein AfD-Mitglied ist. Für Verwirrung sorgte seine Ankündigung, Mitarbeiter der Stadtverwaltung künftig einer „Loyalitätsprüfung“ zu unterziehen. Eine solche Möglichkeit gibt es überhaupt nicht. Mitarbeiter, die bei der Stadt Pirna und nicht beim OB angestellt sind, können allenfalls arbeitsrechtlich belangt werden, falls ihnen entsprechende Verstöße nachgewiesen werden. Eine Prüfung ihrer politischen Einstellung – samt möglicher Konsequenzen – sieht das Gesetz in keiner Weise vor.

Welche Auswirkungen hat der AfD-Erfolg auf die Landespolitik?

Bislang hat CDU-Landeschef und Ministerpräsident Michael Kretschmer regelmäßig die AfD einerseits heftig kritisiert, vor Radikalen gewarnt, aber auch für Pragmatismus im Umgang mit ihren Anträgen in der Kommunalpolitik plädiert. Womöglich wird die CDU nun stärker differenzieren zwischen Wählern und Funktionären der Partei. CDU-Innenminister Armin Schuster warb bereits dafür, den Wählerwillen in Pirna zu akzeptieren. Auf Landesebene ist die CDU die einzige Kraft, die in Umfragen etwa gleichauf mit der AfD liegt.

Alle anderen Parteien stoßen in Sachsen auf deutlich geringere Resonanz. Anders gesagt: Ihnen fällt die Abgrenzung zur AfD leichter, da sie ohnehin keine Stimmen von deren Anhängern erwarten können und nur einen vergleichsweise kleinen Wählerstamm haben. Grünenchefin Marie Müser merkte selbstkritisch an, dass „demokratische Parteien, natürlich auch wir Grüne, zu viele Menschen aktuell nicht erreichen“. Bündnisse gegen die AfD werden nach Pirna noch komplizierter. Womöglich ist die CDU nach der Wahl im Herbst auf die Linke angewiesen, wenn im Landtag eine Mehrheit ohne AfD zusammenkommen soll.

Ist der AfD-Wahlsieg der Auftakt für weitere Erfolge der Partei?

Beobachter gehen davon aus, dass die AfD bei der Europawahl im Juni sachsen- wie bundesweit zulegt. Unzufriedenheit mit der Migrations- und Asylpolitik in Bund und auch der EU könnten dafür ausschlaggebend sein. Offen ist, wie stark sich der Trend bei der zeitgleichen Kommunalwahl im Freistaat zeigt – bei der die Bekanntheit der Kandidaten oft stärker wiegt als die Parteizugehörigkeit. Das Ergebnis in Pirna verdeutlicht, dass die Einstufung der AfD als rechtsextremistisch Wähler nicht abschreckt. In Thüringen liegt die Partei seit über einem Jahr in Umfragen auf Platz eins – der dortige AfD-Verband um Björn Höcke gilt seit 2021 als rechtsextremistisch.

Spannend ist, wie die OB-Wahl die Kommunalwahl in Pirna beeinflusst. Derzeit stellt die AfD fünf der 25 Stadträte, die wie der OB im Plenum abstimmen dürfen. Auch Lochner ist auf Stimmen aus anderen Fraktionen angewiesen, will er etwas durchsetzen. Stärken ihn die Wähler nun, indem sie die AfD stärken – oder schlägt das Pendel in die andere Richtung aus?

Welche Strategie verfolgen die Parteien bis zur Landtagswahl?

Lochner ist in Pirna bislang nicht durch harte Sprüche aufgefallen. Gut möglich, dass er weiterhin moderat bleibt – falls die AfD-Granden ihn nicht unter Druck setzen. Die AfD selbst hat gerade, salopp gesagt, einen Lauf. Zusätzlich zu Debatten um Migration und Wärmepupen dürfte die Teuerung beim Tanken und Heizen nach dem Karlsruher Haushaltsurteil die Zustimmung für die Partei steigern. Sie stellt Bewährtes infrage und liebäugelt mit einem fundamentalen Wandel.

Die Landeskoalition aus CDU, Grünen und SPD ist letztlich aufeinander angewiesen, auch wenn sie angesichts überwölbender Differenzen bei Bundesthemen wie Energiewende, Russlandsanktionen und Bürgergeld ausgezehrt wirkt. Die CDU dürfte weiter auf Kretschmers Instinkte setzen. SPD und Grüne hoffen auf ihre Klientel im öffentlichen Dienst und in urbanen Milieus. Und die Linke? Die Abgrenzung zur AfD fällt ihr, spätestens nach Wagenknechts Abgang, leicht. Doch ob ihr das in der Wählergunst hilft?