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Corona, Mehrwertsteuer, Inflation: Wie zwei sächsische Lokale den Dauerkrisen trotzen

Die Herausforderungen in der Gastronomie sind zusammen mit der Mehrwertsteuer gestiegen. Wie ein Bio-Café in der Dresdner Neustadt und ein Traditionsgasthof in Stolpen damit umgehen - und warum aufgeben nicht infrage kommt.

Von Dominique Bielmeier
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Gastroneulinge und alte Hasen: Die Teams des Cafés Glocke in Dresden-Neustadt (l.) und des Landhotels Zum Erbgericht in Stolpen stellen sich den Herausforderungen ihrer Branche.
Gastroneulinge und alte Hasen: Die Teams des Cafés Glocke in Dresden-Neustadt (l.) und des Landhotels Zum Erbgericht in Stolpen stellen sich den Herausforderungen ihrer Branche. © SZ/Veit Hengst

Dresden/Stolpen. Wer im Café Glocke in sein Wochenende starten möchte, sollte sich das rechtzeitig überlegen. Oft schon Tage vorher sind alle Tische zu den besten Zeiten ausgebucht. Ergattert man einen Platz in dem hellen Café direkt am Martin-Luther-Platz in Dresden, darf man sich auf ein bis zum letzten Klecks Marmelade hausgemachtes Frühstück freuen, das 100 Prozent bio ist. Besonders beliebt sind das traditionelle und das streichfertige Frühstück.

Mit 22,50 beziehungsweise 17,80 Euro haben die aber ihren Preis. „Wir sind das Café, in dem Studenten essen, wenn ihre Eltern zu Besuch sind“, sagt Marvin Heinemann und lacht. „Wir gelten durchaus als hochpreisig“, gibt Lisa-Marie Schaefer zu.

An diesem Montagnachmittag im Januar geht es deutlich entspannter in der Glocke zu, vielleicht ein Drittel der Tische ist besetzt. Die Gäste sind auch heute eher jung: Studenten, Eltern mit Baby im Tragetuch, aber auch eine ältere Stammkundin. Ein Querschnitt der Bevölkerung im Szeneviertel Neustadt.

Jung sind auch die Chefs, die im hinteren Bereich des Cafés am größten Tisch Platz genommen haben: Marvin Heinemann ist 33, Lisa-Marie Schaefer zwei Jahre älter. Zwei von vier Freunden, die das Café vor rund einem Jahr von einem Dresdner Biobäcker übernommen haben, der sie heute noch beliefert.

Für alle im Team ist es das erste selbst betriebene Lokal, auch wenn jeder auf seine Weise Gastroerfahrung mitbringt. Lisa-Marie hat sich zum Beispiel das Studium als Aushilfe finanziert. Marvin ist dagegen der Mann für die Zahlen. Und die sind, man muss es so ehrlich sagen, gerade kein Grund zum Jubeln.

Café Glocke in Dresden: "wie ein Marathon ohne Ziel in Sichtweite"

Trotz der guten Auslastung am Wochenende und des allgemein guten Rufs im Viertel: Gewinn habe das Café Glocke bisher nicht gemacht. Obwohl die vier hart arbeiten für ihren Gastrotraum, ist das Lokal bisher allenfalls Liebhaberei – und die Anpassung der Mehrwertsteuer zum 1. Januar hat die Lage noch einmal verschärft.

Damit ist die Glocke nicht allein. Laut einer Umfrage des Dehoga-Bundesverbands, der die Interessen von Hotellerie und Gastronomie in Deutschland vertritt, befürchtet jeder dritte Betrieb, in diesem Jahr in die Verlustzone zu rutschen. Der Verband fordert deshalb, dass auf Essen weiterhin und dauerhaft eine Mehrwertsteuer von sieben Prozent gelten soll.

Das Team vom Café Glocke hat sich zu diesem Thema vor Kurzem mit einem langen Statement an Presse wie Nachbarschaft gewandt. Der Text, den man auf dem Blog des Cafés nachlesen kann, fasst die Herausforderungen für die gesamte Branche zusammen: höhere Preise und allgemeine Inflation, gestiegener Mindestlohn und schließlich die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf die ursprünglichen 19 Prozent. „Die Krise fühlt sich mittlerweile nicht mehr nach einem 100-Meter-Sprint an, sondern wie ein Marathon ohne Ziel in Sichtweite“, heißt es da.

Was noch dazu komme: Die in der Öffentlichkeit kaum beachtete Coronawelle in diesem Winter habe für extrem viele Ausfälle und Absagen gesorgt. Weihnachtsfeiern seien kurzfristig storniert worden, erkranktes Personal habe ersetzt werden müssen. „Bei Reservierungen ab vier Plätzen konnten wir eigentlich einen Stuhl weniger hinstellen“, sagt Marvin. In einer Zeit, in der ein Café sich ein kleines Polster erarbeiten sollte, fehlten dadurch zusätzlich Einnahmen. Hätte es die Corona-Krise nicht gegeben, wäre die Mehrwertsteuer als Antwort auf die Krise vielleicht jetzt erst gesenkt worden, glaubt Marvin.

Mehrwertsteuersystem in Gastronomie veraltet

Eine dauerhafte Absenkung auf sieben Prozent will das Glocke-Team trotzdem nicht. „Das würde den Prozess des Absterbens der Gastronomie nur in die Länge ziehen und die Probleme nicht wirklich verändern“, ist Marvin überzeugt. Die Betreiber hätten sich stattdessen eine Verlängerung um ein Jahr gewünscht – mit der frommen Hoffnung, dass das veraltete Steuersystem in dieser Zeit vielleicht einmal gründlich überarbeitet worden wäre.

Marvin gibt ein Beispiel: Wäre in diesem Cappuccino Kuh- statt Hafermilch, würde der reduzierte Steuersatz von sieben Prozent gelten. „Denn mit 75 Prozent Kuhanteil ist es ein Milchgetränk, das als Grundnahrungsmittel gilt, Hafer ist aber kein Grundnahrungsmittel, daher 19 Prozent.“ Bestellt jemand einen Kaffee zum Mitnehmen – ermäßigter Steuersatz – wäre es aus unternehmerischer Sicht eigentlich dumm, bei der Milch nachzufragen. Anders als in vielen Cafés verlangt die Glocke keinen Aufpreis für die Alternative zur Kuhmilch. „Sonst ist es keine echte Alternative.“

Drei von vier aus dem Führungsteam des Cafés Glocke in Dresden (v. l.): Tino Götz, Lisa-Marie Schaefer und Marvin Heinemann. Die Vierte im Bunde, wenn auch nicht Bilde: Natalie Brindle. Erst vor rund einem Jahr haben sie das Café übernommen.
Drei von vier aus dem Führungsteam des Cafés Glocke in Dresden (v. l.): Tino Götz, Lisa-Marie Schaefer und Marvin Heinemann. Die Vierte im Bunde, wenn auch nicht Bilde: Natalie Brindle. Erst vor rund einem Jahr haben sie das Café übernommen. © SZ/Veit Hengst

Man mag das naiv finden oder idealistisch – oder es als Versuch verstehen, eine Gastronomie umzusetzen, wie sie sich viele Menschen wünschen: mit hochwertigen Bio-Lebensmitteln, fairen Produkten vom Wildkaffee aus Äthiopien bis zum ökologischen Reinigungsmittel und einem Team, das angemessen bezahlt wird. Nachhaltig und sozial gerecht: Wo sollte eine solche Utopie möglich sein, wenn nicht in Dresden-Neustadt?

Doch selbst hier, wo Kaffee mit Hafermilch schon ein Standard ist, wüssten viele noch nicht über die Sache mit der Mehrwertsteuer Bescheid. Und auch wenn das Café den Aufpreis durch die angehobene Mehrwertsteuer gar nicht ganz an die Kunden weitergibt: „Wir merken, es ist langsam erklärungsbedürftig, was wir hier tun“, sagt Lisa-Marie. Sieht es im ländlichen Raum anders aus?

Zum Erbgericht in Stolpen: Unternehmer sind verunsichert

Ziemlich genau 30 Kilometer entfernt vom Café Glocke, im Stolpener Ortsteil Heeselicht, liegt das Vier-Sterne-Landhotel Zum Erbgericht mit Restaurant. Im vergangenen Jahr hat es zum dritten Mal in Folge den Wettbewerb Gästeliebling und damit die Auszeichnung als beliebtestes Hotel Sachsens gewonnen. „Und zum fünften Mal hintereinander in der Sächsischen Schweiz“, ergänzt Chef Karsten Haufe stolz.

Der 62-Jährige führt das Familienunternehmen zusammen mit seiner Frau Silke sowie Sohn und Küchenchef Philipp in dritter beziehungsweise vierter Generation. Für das Gespräch hat er in einem Saal mit freiliegenden Steinwänden und langen, weiß gedeckten Tafeln Platz genommen, um den einzigen Gast nebenan nicht zu stören. Es ist ein Mittwochnachmittag Anfang Februar. Saure-Gurken-Zeit, wie Haufe sagt. Das seien Januar und Februar in der Gastronomie zwar immer. „Aber dieser Januar war doch noch herausfordernder.“

Auch im Erbgericht mussten die Preise wegen der wieder gestiegenen Mehrwertsteuer angehoben werden, auch hier seien nicht die ganzen zwölf Prozent aufgeschlagen worden. Der nun teuerste Hauptgang auf der Karte: „Sous vide gebratenes Roast Beef vom Stolpener Landhof“ für 32,90 Euro. Der günstigste: hausgemachte Tomate-Mozzarella-Ravioli für 21,90 Euro. Haufe glaubt jedoch nicht, dass es an den Preisanpassungen liegt, dass die Gastronomie im Moment leidet.

Als Grund sieht er die Unzuverlässigkeit der Politik sowie die daraus entstehende Verunsicherung der Gäste wie der Unternehmer selbst. „Uns wurde von der Regierung, vom Bundeskanzler zugesagt, dass sieben Prozent bleiben würden“, sagt Haufe. „Aber das Wort gilt nicht.“

Bürokratie: "Das haben wir schon Angela Merkel erzählt"

Seit Jahresanfang spüre er eine gewisse Kaufzurückhaltung bei den Gästen. Durch Medienberichte entstehe bei manchen das Bild, dass man sich einen Gaststättenbesuch gar nicht mehr leisten könne.

Haufe erzählt von einer älteren Dame, die Weihnachten mit ihrer Familie, zehn Leute, zu Gast im Erbgericht gewesen sei. „Sie ist im Januar zu uns gekommen und hat gesagt, es tut mir leid, ich wollte gerne wiederkommen, aber das werde ich mir wahrscheinlich nicht mehr leisten können.“ Daraufhin habe Haufe ihr die Karte gezeigt und erklärt: „Sie wären für die zehn Leute vielleicht zehn Euro teurer gekommen als Weihnachten.“

Diese Verunsicherung, was noch gilt und was nicht, sei das eine. Die ausufernde Bürokratie das andere. „Das haben wir damals schon Angela Merkel erzählt“, sagt Haufe. „Aber es wurde immer schlimmer.“ Manche Gasthöfe kämen heute nicht mehr ohne eine Bürokraft aus. Im Erbgericht kümmert sich Haufe selbst um den Papierkram und hat sich dafür aus dem operativen Geschäft herausgenommen. „Wenn man diese Zeit für den Schreibtisch nicht opfert, geht was schief.“

Karsten Haufe stammt aus Heeselicht. „Wenn ich nach Hause gehe, laufe ich genau 80 Schritte“, sagt er lächelnd. 1936 haben seine Großeltern den Gasthof gekauft, 1961 hat sein Vater ihn übernommen, er selbst dann mit der Wende. Seit rund 34 Jahren ist er also Gastronom.

Erbgericht-Chef Karsten Haufe mit Sohn Philipp. Seit fast 90 Jahren ist das Hotel mit Restaurant in Familienhand.
Erbgericht-Chef Karsten Haufe mit Sohn Philipp. Seit fast 90 Jahren ist das Hotel mit Restaurant in Familienhand. © SZ/Veit Hengst

Erst 2019/2020 hat die Familie groß investiert, das Haus wurde entkernt, Zimmer neu gemacht, alles klimatisiert. Das erwarteten die Gäste heute, die teilweise aus Frankreich, England, Belgien und sogar Asien nach Stolpen kämen. Im Restaurant wird mit saisonalen und regionalen Lebensmitteln frisch gekocht, die Lieferanten kommen aus einem Umkreis von nicht einmal 20 Kilometern. Außerdem werde auf alle Wünsche der Gäste eingegangen, egal ob es um vegane Ernährung oder Nahrungsmittelunverträglichkeiten geht.

Vom grassierenden Fachkräftemangel in der Gastronomie ist das Erbgericht momentan glücklicherweise verschont. Unter den 13 Mitarbeitern sind zwei Lehrlinge, die Köche werden. Haufe hebt schnell die weiße Tischdecke hoch, um zweimal auf das Holz zu klopfen. Dann klopft er noch einmal auf das Holz der Stuhllehne neben sich. Sicher ist sicher.

Wie der Hotel- und Gaststättenverband, in dessen Landesvorstand Haufe sitzt, würde er sich weiterhin einen einheitlichen Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent wünschen – auch, weil Deutschland durch den höheren Satz in Europa im Nachteil sei. Der Bundesverband hat dazu eine Grafik erstellt, die zeigt, dass in 23 von 27 EU-Staaten ein reduzierter Mehrwertsteuersatz auf Essen in der Gastronomie gilt. In Tschechien, Österreich, Italien und Frankreich sind es zehn Prozent, in Belgien zwölf und in den Niederlanden neun. Am niedrigsten liegt der Satz mit drei Prozent in Luxemburg.

Trotz aller Schwierigkeiten sieht der Erbgericht-Chef gute Gründe, optimistisch zu bleiben – das Team halte zusammen und habe Spaß bei der Arbeit, alle in der Familie seien gesund. „Wenn ich nicht optimistisch wäre, würde ich jetzt den Schlüssel nehmen und damit zur Bank gehen.“

"Bevor wir das aufgeben, würden wir den Laden zumachen"

Auch im Café Glocke in Dresden will das Viererteam sich nicht geschlagen geben. In ihrem Statement schreiben sie: „Es fühlt sich an, als wären wir noch ganz am Anfang der Reise, es sprudeln noch so viele Ideen im Kopf.“ Der Eröffnungstermin Ende März hat sich nicht einmal gejährt.

Nun gehe es erst einmal darum, eine Tendenz nach oben zu sehen. Dafür haben sich die Betreiber sogar entschieden, die beiden Ruhetage zu streichen und jeden Tag zu öffnen. Auf das Mittagsangebot unter der Woche gibt es 20 Prozent Rabatt. So wollen sie im Viertel noch bekannter werden – auch wenn es der schwierigere Weg ist. „Wenn wir nur auf Gewinn aus wären, würden wir eine Abendgastronomie machen, vor allem am Wochenende, die Leute am Tresen bestellen lassen und auf Bio verzichten“, sagt Marvin.

Doch es gibt Ideale, von denen die Dresdner sich nicht verabschieden wollen. Das ist vor allem die Qualität der Ware. „Bevor wir das aufgeben, würden wir lieber den Laden zumachen“, sagt Lisa-Marie. Das Café soll bio und nachhaltig bleiben. Und davon sollen noch viel mehr Menschen erfahren. Denn bisher sind diese hohen Ansprüche noch nicht jedem Gast klar. „Sobald man den Leuten erklärt, was wir hier genau machen, sagen sie, dafür gehen die Preise ja total“, sagt Lisa-Marie.

"Konsum ist auch politisch"

Einen Tod sind die vier allerdings schon gestorben: Zum Februar wurde die Bargeldkasse abgeschafft, Bezahlung ist nun nur noch mit Karte möglich. „Da haben wir ein wenig mit unseren Idealen gebrochen“, gibt Lisa-Marie zu. Doch es spart Personalkosten für rund eine halbe Stunde am Tag, etwa 5.000 Euro im Jahr, hat Marvin ausgerechnet. Die Beweggründe für diese schwere Entscheidung werden ebenfalls im Blog erläutert.

Der Aufruf an die Nachbarschaft sollte mehr bewirken, als einem einzelnen Café in der Krise zu helfen. „Wir wollen den Leuten zeigen: Konsum ist auch politisch und du musst schauen, wen du unterstützt“, sagt Marvin. Lässt man sein Geld bei McDonald’s, Lieferando oder beim Laden um die Ecke, auch wenn man dort etwas mehr zahlen muss? „Es liegt an deinem Konsum, dass dieser Laden aufrechterhalten wird.“ Was einmal weg ist, bleibt weg.