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Umfrage in Sachsen: Jede dritte Frau hat sexualisierte Gewalt erlebt

Sexualisierte Gewalt wird oft tabuisiert und nur selten angezeigt. Eine sachsenweite Studie zeigt, wie viele Frauen Erfahrungen mit Belästigung, Vergewaltigung oder häuslicher Gewalt haben.

Von Andrea Schawe
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Gewalt gehört zu den zentralen Gesundheitsrisiken für Frauen und verletzt massiv ihre Menschenrechte.
Gewalt gehört zu den zentralen Gesundheitsrisiken für Frauen und verletzt massiv ihre Menschenrechte. © Maurizio Gambarini / dpa (Symbolbild)

Dresden. Sexuelle Belästigung, Nötigung, Vergewaltigung, häusliche Gewalt, Stalking: Gewalt gegen Frauen ist auch in Sachsen Alltag und kommt in allen gesellschaftlichen Schichten vor. Das ergibt eine erste sachsenweite Studie zur Betroffenheit von Frauen durch sexualisierte Gewalt, häusliche und partnerschaftliche Gewalt sowie Stalking, die das Ministerium für Justiz und Gleichstellung in Auftrag gegeben hat.

Neun von zehn Befragten gaben an, in ihrem Leben sexuelle Belästigung erlebt zu haben. Die Hälfte der Studienteilnehmerinnen berichtete von Versuchen, sie zu sexuellen Handlungen zu zwingen, 30 Prozent erlebten diese sexualisierte Gewalt. Die Täter waren fast ausschließlich Männer, der Tatort meist das eigene Wohnumfeld, heißt es in der Studie. 40 Prozent der Studienteilnehmerinnen haben Erfahrung mit Stalking. In der Hälfte der Fälle war der Stalker der aktuelle oder ehemalige Partner.

Etwa jede dritte Befragte hat körperliche und/oder sexuelle Übergriffe in ihrer Partnerschaft erfahren. 45 Prozent wurden zu Hause bedroht, 35 Prozent geschlagen. "Bei Frauen, die zu Hause bedroht werden, ist der Leidensdruck sehr hoch", sagte Studienleiter Heinz-Jürgen Voß. Hier müsste genau zugehört und die Betroffenen frühzeitig ernst genommen werden. In Ehen und Paarbeziehungen mit Kindern erfolgt eine Trennung viel später als bei unverheirateten oder kinderlosen Paaren. Und das, ob wohl sich in der Hälfte der Fälle die Gewalt auch gegen die Kinder richtet.

Das sei erschütternd, sagte Voß. Die Studie untersuchte auch die Entstehung der Gewaltspiralen: Dabei seien Frauen, die Gewalt in der Kindheit erlebt oder eine "strenge, strafende Erziehung" erfahren haben, häufig auch in der Partnerschaft davon betroffen (26 Prozent), so der Studienleiter.

Für die sogenannte „Dunkelfeldstudie zur Viktimisierung von Frauen“ der Fachhochschule Merseburg wurden 1.341 in Sachsen lebende Frauen ab 16 Jahren von Mai bis Oktober 2022 anonym online befragt.

Scham und Angst führen zu hoher Dunkelziffer

Ziel der Studie ist es, belastbare Zahlen zur Situation der betroffenen Frauen zu erheben, um bessere und wirksamere Unterstützungs- und Hilfsangebote für die Betroffenen zu entwickeln, so Gleichstellungsministerin Katja Meier (Grüne).

Bisher beruhten die Maßnahmen der Gewaltprävention für Frauen auf Studien, die vor 17 Jahren durchgeführt wurden, oder auf Ergebnissen der aktuellen polizeilichen Kriminalstatistik. Darin werden allerdings nur Straftaten erfasst, die angezeigt wurden. Im vergangenen Jahr waren das 927 Frauen, die Stalking angezeigt haben, und etwa 300 Fälle von Vergewaltigung, sexueller Nötigung und anderen schwerwiegende sexuellen Übergriffen. Mehr als 9.000 Fälle häuslicher Gewalt wurden 2022 bei der Polizei angezeigt.

Insbesondere bei sexuellen Übergriffen, aber auch bei Stalking und häuslicher Gewalt sei von einem sehr großen Dunkelfeld auszugehen, so Meier. "Dass längst nicht alle Fälle zur Anzeige kommen, hat auch mit dem Stigma zu tun, das sich mit Viktimisierung und dem Opfer-Sein verbindet."

Spezielle Aus- und Fortbildungen nötig

Nach Angaben der Studie werden nur zwischen vier und 13 Prozent der Taten angezeigt. Betroffene verzichten hauptsächlich wegen Scham, Angst sowie der Befürchtung, die Anzeige bewirke nichts, darauf, heißt es. Außerdem nimmt nur knapp ein Drittel der Betroffenen professionelle Hilfe in Anspruch - am häufigsten in einer Psychotherapie, gefolgt von Fachberatungsstellen. Nach einer Vergewaltigungen empfanden nur 40 Prozent die Polizei und 23 Prozent die Justiz als hilfreich.

"Geschlechtsspezifische Gewalt wird häufig verharmlost und den Opfern eine Mitschuld unterstellt", sagte Justizministerin Meier. Es brauche mehr Bewusstsein und Information. Außerdem müssten die Themen Selbstbestimmung, Geschlechterrollen, Macht, Scham und persönliche Grenzen in die pädagogischen Konzepte der Schulen und Kitas integriert werden, empfiehlt die Studie. Dazu kommen verpflichtende Aus- und Fortbildungsangebote zu Prävention und Umgang mit Betroffenen für Personal in Geflüchtetenunterkünften, Wohnheimen für Menschen mit Behinderung, dem Jugendamt, Fachberatungsstellen und für Lehrkräfte - auch für Polizei und Justiz.

In Sachsen wurde das Hilfsangebot und auch die Zahl der Schutzräume für Frauen seit 2019 kontinuierlich ausgebaut. In die Prävention sexualisierter Gewalt investiert der Freistaat 12,4 Millionen Euro. Derzeit entwickelt die sächsische Regierung einen Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, sagte Meier. Er soll Maßnahmen für die kommenden sechs Jahre enthalten und im vierten Quartal dieses Jahres beschlossen werden.