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Sachsen wird die Verantwortung für seinen Atommüll los

Der Freistaat zahlt dafür viel Geld. Und nun untersuchen sächsische Spezialisten den Abfall eines Brennelemente-Herstellers aus dem Emsland.

Von Ulrich Wolf
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Im Mai 2005 rollt ein Castortransport mit Atommüll aus Dresden-Rossendorf über die A 4 bei Siebenlehn. Ziel war das Zwischenlager Ahaus im Münsterland.
Im Mai 2005 rollt ein Castortransport mit Atommüll aus Dresden-Rossendorf über die A 4 bei Siebenlehn. Ziel war das Zwischenlager Ahaus im Münsterland. © Jürgen Lösel

Sachsen zahlt für die endgültige Entsorgung der rund 1.000 Brennstäbe aus dem ehemaligen Kernforschungszentrum in Dresden-Rossendorf 30 Millionen Euro. Das geht aus dem jüngsten Jahresmagazin des Vereins VKTA Strahlenschutz, Analytik & Entsorgung Rossendorf hervor. Das für den Verein zuständige Wissenschaftsministerium, bestätigte das.

Demnach transferiert Sachsen von 2024 an in drei Tranchen je zehn Millionen Euro an den Bund. Mit den Überweisungen gibt der Freistaat die Verantwortung für den Atommüll ab, der seit mehreren Jahren im münsterländischen Ahaus in insgesamt 18 Castor-Behältern zwischengelagert ist. "Mit der Verantwortungsübernahme des Bundes ist auch eine potenzielle Pflicht zur Rückholung dieser Behälter nach Sachsen ausgeschlossen", schreibt Vereinschef Dietmar Schlösser in dem Magazin. Die entsprechenden Verträge waren demnach schon im September und Oktober 2021 unterzeichnet worden.

Der Rossendorfer Forschungsreaktor Mitte der 1970er-Jahre: Seit dem Stilllegungsbeschluss im Jahr 1993 mussten fast 1.000 Brennstäbe und anderer radioaktiver Abfall entsorgt werden.
Der Rossendorfer Forschungsreaktor Mitte der 1970er-Jahre: Seit dem Stilllegungsbeschluss im Jahr 1993 mussten fast 1.000 Brennstäbe und anderer radioaktiver Abfall entsorgt werden. © SZ/Archiv

Der VKTA ist unter anderem zuständig für den Abriss und den Rückbau der ehemaligen kerntechnischen Anlagen in Rossendorf. Das Projekt war bis 2019 nahezu komplett abgeschlossen, damals endete die atomrechtliche Aufsicht über das Areal. Zuletzt war nur noch ein kontaminiertes, rund 50 Meter langes Stück Kanalisation übrig, das in vier Meter Tiefe liegt. Dessen Rückbau hat nach Angaben des Wissenschaftsministeriums erst im vorigen Monat begonnen.

Der 1992 gegründete Verein hat rund 100 Mitarbeiter und wird zum überwiegenden Teil über Steuern finanziert. Die Zuwendungen aus dem Haushalt des Freistaats lagen im Schnitt der vergangenen fünf Jahre bei gut elf Millionen Euro. Mitte vorigen Jahres wurden die Kosten Sachsens für den Rückbau des einstigen Reaktors, die Sanierung des Geländes und die Entsorgung radioaktiver Abfälle auf mehr als 150 Millionen Euro beziffert.

Allerdings generiert der VKTA auch eigene Umsätze, etwa durch Aufträge von privaten Firmen. Ein Arbeitsschwerpunkt dabei sind sogenannte Freimessungen, zum Beispiel von Material, dass beim Abriss von Kernkraftwerken anfällt. Die Rossendorfer Spezialisten messen dessen Kontamination. Werden die Stoffe freigegeben, fallen sie nicht mehr unter das strenge Strahlenschutzrecht. Sie können dann beliebig verwendet oder beseitigt werden. Bei einer "spezifischen Freigabe" hingegen sind beim Recycling oder bei der Lagerung auf einer dafür geeigneten Deponie besondere Vorschriften zu erfüllen. Dem Jahresbericht 2020 des VKTA zufolge hat man zum Beispiel Freigaben erteilt für "Gebinde der Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH Schachtanlage Asse II".

Bauschutt aus Lingen soll in Sachsen entsorgt werden

Nun hat der VKTA allerdings einen weiteren Fremdauftrag ergattert. Für die Advanced Nuclear Fuels GmbH (ANF) sollen die Rossendorfer 25 Tonnen Sinterofensteine, Bauschutt und Glas freimessen. ANF im niedersächsischen Lingen an der Ems fertigt Brennelemente für Druckwasser- und Siedewasserreaktoren. Das Unternehmen gehört zur Framatome GmbH, die wiederum eine Tochterfirma des größten französischen Stromkonzerns EDF ist.

Das Wissenschaftsministerium betont, bei dem Material aus Lingen handle es sich nicht um Atommüll oder radioaktiven Abfall. "Die Unbedenklichkeit für Mensch und Umwelt ist attestiert." Der freigemessene Bauschutt der ANF werde in Sachsen auf einer konventionellen Deponie entsorgt, "um im Sinne der Nachhaltigkeit Transportwege zu vermeiden". Grenzwerte überschreitendes Material werde nach Lingen zurückgeschickt. Wann das Material der ANF nach Rossendorf gebracht wird, sei noch unklar. In einem Schreiben des Umweltministeriums von Ende Januar an den Verein heißt es zudem: "Weiterhin bitten wir um Mitteilung über den Verbleib der Metallfässer, in denen das freizugebende Material zum VKTA transportiert wird."

Der damalige VKTA-Direktor Udo Helwig steht Anfang 2010 im Rossendorfer Zwischenlager für radioaktive Abfälle. Damals war noch nicht klar, wo der Müll aus dem Reaktorabriss seine "letzte Ruhestätte" finden sollte.
Der damalige VKTA-Direktor Udo Helwig steht Anfang 2010 im Rossendorfer Zwischenlager für radioaktive Abfälle. Damals war noch nicht klar, wo der Müll aus dem Reaktorabriss seine "letzte Ruhestätte" finden sollte. © Steffen Füssel

ANF in Lingen unterscheidet sich grundlegend von Kernkraftwerken. In der Anlage wird schwach angereichertes Uran verarbeitet. Die dortige Brennelemente-Fertigung findet sich nicht in den Beschlüssen zum beschleunigten Kernenergieausstieg. Ansonsten hatten sich 2014 die deutschen Umweltminister im Streit um die Entsorgung von Material aus dem Rückbau von Atomkraftwerken auf einen Konsens geeinigt. Demnach muss solcher Bauschutt grundsätzlich auf Deponien in den Ländern der Kraftwerksstandorte entsorgt werden.

Der VKTA misst nicht nur kontaminiertes Material, er betreibt auch die Landessammelstelle für schwach radioaktive Abfallstoffe etwa aus Arztpraxen und Kliniken der Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Bereits vor gut zehn Jahren kamen Überlegungen auf, aus dem Verein eine GmbH zu machen. Diese aber "werden derzeit nicht verfolgt", teilt das Wissenschaftsministerium mit. Im Haushalt 2019/20 überwies das Ministerium rund 22 Millionen Euro an den Verein. Weitere 23 Millionen Euro gingen an das ebenfalls in Rossendorf ansässige Helmholtz-Zentrum, dessen Mitarbeiter in den Bereichen Energie, Gesundheit und Materie forschen.