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Warum sie plötzlich die Abwehrchefin des DSC ist

Der Plan für Sophie Dreblow sah bei den Dresdner Volleyballerinnen anders aus. Ein Schicksal in der Familie lehrt sie, dass sich Wege plötzlich ändern können.

Von Alexander Hiller
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Sophie Dreblow kennt sich in Dresden bestens aus. Ein Teil der Familie wohnt in Langebrück.
Sophie Dreblow kennt sich in Dresden bestens aus. Ein Teil der Familie wohnt in Langebrück. © Ronald Bonß

Dresden. Über zu wenig Arbeit kann sich Sophie Dreblow sonst nicht beklagen. Die Partie vom Samstag dürfte für die Abwehrspezialistin dennoch in diese Kategorie fallen. Deutlich mit 3:0 (25:16, 25:17, 25:16) dominierte ihr Dresdner SC in der Volleyball-Bundesliga über Dreblows Ex-Verein Straubing. Wenig zu tun also.

Dass die junge Frau überhaupt auf diesem hohen Niveau klagen kann, hatte sie nicht ahnen können. Dreblow ist derzeit Liberospielerin Nummer eins beim sechsfachen deutschen Champion. Das war gar nicht so geplant, sondern ist der personellen Improvisation geschuldet, zu der der DSC aufgrund von Verletzungssorgen gezwungen ist. Die als Stammlibero verpflichtete Linda Bock hilft als Außenangreiferin bis auf Weiteres für die verletzte Jacqueline Quade (Kreuzbandriss) aus.

Die Chance für Sophie Dreblow, zu zeigen, was sie kann. Bisher erledigt die mit 1,68 Meter Körperhöhe mit Abstand kleinste Spielern im Kader ihre Aufgabe ordentlich. Luft nach oben ist natürlich immer. Wobei die Ansprüche in Dresden speziell auf dieser Position sehr hoch sind. Mit Kerstin Tzscherlich, Myrthe Schoot und zuletzt Lenka Dürr haben durchweg Spielerinnen den Liberoposten ausgefüllt, die das Prädikat Weltklasse trugen. Davon sind Dreblow und auch Bock noch ein Stück entfernt.

„Ich glaube, ich habe die beiden talentiertesten Liberas in diesem Alter, die wir in Deutschland haben, in der Mannschaft“, sagte Cheftrainer Alexander Waibl bei der Teampräsentation vor dem Saisonstart. Die in Schwedt geborene Volleyballerin ist auf dem besten Weg, diesen Ansprüchen gerecht zu werden. „Für mich ist das aufregend, ich bin ja eigentlich hierhergekommen“, sagt der Neuzugang aus Straubing, „um viel zu schauen, zu lernen, mich im Training zu entwickeln und irgendwann zu spielen.“ Aus irgendwann ist nun sofort geworden.

Sophie Dreblow mit Mama Marlies, die aus Großenhain stammt.
Sophie Dreblow mit Mama Marlies, die aus Großenhain stammt. © privat

In der Vorweihnachtszeit will der DSC den Markt sondieren und vielleicht im Außenangriff personell nachrüsten. Dann würde Bock auf den Liberoposten zurückkehren und Dreblow auf die Bank verbannen – so unmissverständlich hatte Waibl vor der Saison die Rollen aufgeteilt. „Das wäre für mich kein Problem. Konkurrenzkampf macht einen besser. Allein das Niveau im Training macht einen jeden Tag besser, würde ich sagen“, betont die Profisportlerin, die sich vegan ernährt.

Dass sie derzeit aus dem Stammkader nicht wegzudenken ist, „macht mich mental stärker, aber auch technisch. Ich spüre Entwicklung.“ Der Druck und die Erwartungen seien in Dresden erheblich größer. Auch in Straubing hatte Dreblow drei Jahre lang als Stammlibero Bälle abgewehrt. „Alex weiß, was wir können, und möchte, dass wir das immer abrufen. Da ist im Training viel Fokus gefragt. So arbeitet man auch in Straubing“, erklärt Dreblow, stellt aber heraus: „Hier hast du durch die Qualität von jeder Einzelnen die Chance, jede Mannschaft zu schlagen. Deswegen bin ich zum DSC gewechselt. Wenn du nicht funktionierst, funktioniert die ganze Mannschaft nicht.“

So drastisch wie vermutlich keine andere im Kader wurde die Studentin für Heilpädagogik damit konfrontiert, wie endlich dieses Funktionieren sein kann. 2015 wurde ihre Mama Marlies krank, Sophie war da gerade mit der Jugend-Nationalmannschaft unterwegs. „Wir haben noch telefoniert, sie hat mir gesagt: Ich werde fit, es wird alles gut. Wenig später ist sie Zu Hause umgekippt“, erzählt das jüngste von vier Kindern der Familie. Der Blutdruck von Marlies Dreblow spielte verrückt, ihr Gesamtzustand wurde immer schlechter, sie musste auf die Intensivstation und wurde ins Koma verlegt.

Keine Behandlung hat so wirklich angeschlagen. Eine Ärztin ist gewissermaßen zufällig auf die richtige Diagnose gestoßen“, sagt Sophie Dreblow. Bei ihrer Mutter wurde das sogenannte Clarkson-Syndrom – oder auch Kapillarlecksyndrom – festgestellt. Eine bislang kaum erforschte Krankheit mit hoher Mortalität, von der weltweit erst knapp 250 Fälle dokumentiert sind. Die im Blutkreislauf zirkulierende Menge an Blut und Plasma ist demnach stark vermindert, was die Bildung von Ödemen in Armen und Beinen fördert.

Die Mama spielt in der Nationalmannschaft

Bei Mutter Dreblow waren speziell die Waden betroffen. Eine Überlebenschance von 25 Prozent räumten ihr die Ärzte ein. In mehreren Operationen wurden ihr deshalb beide Waden entfernt. „Sie musste das Laufen wieder völlig neu lernen, zuerst mit einem Wadenheber, eine entsprechende Schiene am Bein“, sagt Sophie Dreblow.

Ihre Mama, eine gebürtige Großenhainerin, ließ sich die Füße versteifen, spielt seither in der Sitzvolleyball-Nationalmannschaft. „Alle fünf Wochen muss sie zur Dialyse, das könnte helfen, damit sie keinen Rückfall erlebt“, sagt die Tochter leise. Den könnte es jederzeit geben. Damit beschäftigt sich die Mutter aber nicht.

Stattdessen entdeckte sie ihr Talent für die Malerei und das Zeichnen neu, engagiert sich für soziale Projekte, schrieb ihre Geschichte in einem Buch auf, unterrichtet in der Sonderpädagogischen Förder- und Beratungsstelle. „Es ist total beeindruckend, wie man aus so einer Situation zurückkommt. Das wird mir beim Erzählen immer wieder bewusst“, sagt Sophie hörbar stolz.

Marlies Dreblow kämpfte am Wochenende bei der deutschen Meisterschaft im Sitzvolleyball in Dresden selbst um sportlichen Erfolg, war ihrer Tochter beim Spiel gegen Straubing auf der Tribüne aber ganz nah.