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Als der Kaiser nach Dresden kam - Erinnerungen an Franz Beckenbauer

Legendär ist das Duell von Franz Beckenbauers Bayern gegen Dynamo im Herbst 1973, seine Verbindung zu Dresden aber geht weit darüber hinaus. Auch Alexander Zickler hat besondere Erinnerungen, wie der Ex-Dynamo und Ex-Bayern-Spielern im Interview erzählt.

Von Daniel Klein & Tino Meyer & Timotheus Eimert
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Als Kapitän führt Franz Beckenbauer den FC Bayern in die Europapokal-Spiele gegen Dynamo, hier am 7. November 1973 in Dresden. Die Partie endet 3:3, das reicht den Münchnern zum Weiterkommen.
Als Kapitän führt Franz Beckenbauer den FC Bayern in die Europapokal-Spiele gegen Dynamo, hier am 7. November 1973 in Dresden. Die Partie endet 3:3, das reicht den Münchnern zum Weiterkommen. © Picture Alliance/Werek

Dresden. Franz Beckenbauer und Dresden, auch das gehört zusammen und geht weit über die Spiele seines FC Bayern München gegen Dynamo im Herbst 1973 hinaus. Nach 1990 kam der Kaiser fast regelmäßig in die Stadt. Doch wer weiß beispielsweise, dass er im Namen seiner Franz-Beckenbauer-Stiftung hier im Oktober 2002 nach der verheerenden Flut zwei große Spendenschecks übergeben hat? 25.000 Euro erhielt das Sportgymnasium, einer Kindertagesstätte versprach er spontan sogar 135.000 Euro.

Und während Beckenbauer damals mit den drei- und vierjährigen Knirpsen der Früchtchen-Gruppe kickte, spielte er Dresdens Oberbürgermeister Ingolf Roßberg den Ball zu. Die drittklassige Regionalliga, in der Dynamo zu dieser Zeit spielte, sei "ein bissel wenig für eine Stadt wie Dresden". Andererseits biete das Stadion "keine zukunftsträchtigen Aussichten".

Beim Semperopernball im Januar 2007 erhält Franz Beckenbauer, hier im Gespräch mit den Bertelsmann-Frauen Brigitte und Liz Mohn, den Sächsischen Dankesorden.
Beim Semperopernball im Januar 2007 erhält Franz Beckenbauer, hier im Gespräch mit den Bertelsmann-Frauen Brigitte und Liz Mohn, den Sächsischen Dankesorden. © SAE Sächsische Zeitung

So gesehen, ist der umfassende Umbau des 2009 neu eröffneten Rudolf-Harbig-Stadions ein Stück weit auch Beckenbauers Verdienst. Den sächsischen Dankesorden in der Kategorie Sport erhielt er bereits zwei Jahre zuvor im Januar 2008 – als Stargast beim Semperopernball. Drei Begegnungen, die besonders in Erinnerung bleiben:

1973: Dynamos legendäre Spiele gegen die Bayern

Im Achtelfinale des Europapokals der Landesmeister trifft im Herbst 1973 der Meister Ost auf den Meister West. 4:3 gewinnen die Münchner ihr Heimspiel, im Rückspiel reicht in Dresden ein 3:3 zum Weiterkommen. Diese Partie ist auch Beckenbauer, der den FC Bayern als Kapitän anführt, in nachhaltiger, wenngleich auch, wie er später erzählt, "düsterer Erinnerung" geblieben ist. "Weil wir keinen Kontakt zur Öffentlichkeit hatten. Wir wurden abgeschirmt, es war genug Polizei da. Also waren wir relativ isoliert", so Beckenbauer. Auch der Umgang vonseiten der Funktionäre sei nicht, so drückt er aus, nicht die freundlichste Art gewesen.

Direkt nach der Partie macht er dennoch Komplimente – und zwar der Mannschaft und dem Fußball insgesamt im Osten: "Wenn man den Maßstab von Dynamo Dresden herannimmt, kann man sagen, dass die DDR-Fußballer doch mit zur europäischen Spitze gehören."

Dynamos Ehrenspielführer Hartmut Schade, der im Rückspiel das zwischenzeitliche 2:2 erzielt, erinnert sich: "Der Franz war ein Typ, mit dem man reden konnte." Nach der Wende habe es einige Spiele gegeben der Traditionsmannschaft Ost gegen die Traditionsmannschaft West, "und der Einzige, der nach dem Abpfiff zu uns Ossis gekommen ist, Hallo gesagt hat und gefragt hat, wie es uns geht, war der Franz. Er war anfassbar. Und das bei einem Typ, der den Fußball revolutioniert hat. Das vergisst man nicht".

1990: Benefizgala für den Schloss-Wiederaufbau

Im März 1990 findet in Dresden ein Benefizspiel für den Wiederaufbau des Residenzschlosses statt. Der damalige Dynamo-Manager Bernd Kießling, der zusammen mit dem damaligen Sportchef der Bild-Zeitung Werner Köster die Partie organisiert, erzählt, dass Beckenbauer sofort zugesagt habe. "Andere sind nicht gekommen. Er hat nicht lange überlegt, war von der Idee sehr angetan", erinnert sich Kießling.

Am 26. März 1990 treten so im Rudolf-Harbig-Stadion eine deutsch-deutsche Mannschaft und eine Weltauswahl gegeneinander an. "Franz Beckenbauer hat das Spiel als historisch bezeichnet. Dass man dieses Spiel auf die Beine gestellt hat, war für ihn ein Erlebnis", sagt Kießling, der unmittelbar vor dem Spiel mit Beckenbauer ins Gespräch kommt. "Er hat sich bei mir und Werner Köster bedankt, dass wir den Mut hatten, so ein Event auf die Beine zu stellen. Er wollte uns das persönlich übermitteln."

Der Kaiser fährt vor: Franz Beckenbauer beim Benefizspiel für den Wiederaufbau des Dresdner Schlosses im März 1990 im Rudolf-Harbig-Stadion.
Der Kaiser fährt vor: Franz Beckenbauer beim Benefizspiel für den Wiederaufbau des Dresdner Schlosses im März 1990 im Rudolf-Harbig-Stadion. © SZ/Marion Gröning

Der Sächsischen Zeitung sagt Beckenbauer: "Der Tag der Wiedervereinigung wird kommen, dann wird es nur noch einen Verband, eine Auswahlelf geben." Auch seine besondere Beziehung zu Dresden ist Thema. "Ich habe ja Dresden vom Spiel mit Bayern München in guter Erinnerung. Ich bin sicher, dass es nur wenige Städte auf der Welt mit solch großer Fußballbegeisterung gibt", stellt er fest.

Am Ende verlieren Beckenbauer und die deutsch-deutsche Auswahl gegen das Weltteam mit 1:3. Ein Fußballfest wird es trotzdem. Bundeskanzler Helmut Kohl führt den Ehrenanstoß aus. Udo Lindenberg, Veronika Fischer und die Musiker von Elektra sorgen für ein buntes Begleitprogramm. Und Gunther Emmerlich reitet als August der Starke ins Stadion ein. Am Ende kommen über 1,5 Millionen Mark für das Schloss zusammen.

Besondere Aufmerksamkeit bekommt unter all den Stars und Promis aber Beckenbauer, damals Teamchef der deutschen Nationalmannschaft – die wenige Monate später in Italien Fußball-Weltmeister werden sollte. "Er war wirklich eine Lichtgestalt. Seine Körperhaltung, sein Gesichtsausdruck, sein Gang waren beeindruckend", erinnert sich Kießling, der nicht vom Tod Beckenbauers überrascht wurde. "Ich habe noch guten Kontakt zu Uli Hoeneß. Er sagte mir bereits vor zwei Jahren, dass Franz sehr angeschlagen ist, und dass es dem Ende entgegengeht."

2010: Gruppenauslosung für die Frauen-U 20-WM

Der Kaiser hält Hof im Dresdner Residenzschloss – und zieht im April 2010 alle Blicke auf sich. Eigentlich sollen hier die Gruppen für die WM-Endrunde der U 20-Frauen in Deutschland ausgelost werden. Der unumstrittene Star der Veranstaltung ist jedoch männlich und gilt als Lichtgestalt im Fußball, hierzulande und in der Welt: Franz Beckenbauer.

Am Mittag betritt er das Schloss, schaut sich interessiert um, lächelt in die Kameras und blickt dann im Lichthof hinauf zur riesigen Glaskuppel. Herrlicher Sonnenschein, Kaiserwetter sozusagen. Und Beckenbauer in Bestform. "Vor zwei Jahren war ich schon mal hier. Ich hatte eine Einladung zum Opernball und dann am nächsten Tag die Gelegenheit, mir das eindrucksvolle Grüne Gewölbe anzuschauen. Die Auslosung einer WM in diesen heiligen Gemächern – ein schöneres Ambiente kann man sich nicht vorstellen. Das ist ein würdiger Rahmen für die Frauen."

Im Residenzschloss nimmt Franz Beckenbauer im April 2010 Platz neben der damaligen Oberbürgermeisterin Helma Orosz.
Im Residenzschloss nimmt Franz Beckenbauer im April 2010 Platz neben der damaligen Oberbürgermeisterin Helma Orosz. © SAE Sächsische Zeitung

Das Rudolf-Harbig-Stadion, mittlerweile umgebaut und Spielstätte auch ein Jahr später bei der Frauen-WM, wird Beckenbauer diesmal nicht sehen. Zu eng ist sein Zeitplan. "Ich werde während der Weltmeisterschaft ganz sicher wiederkommen und bin schon neugierig."

Dresden und Beckenbauer – das ist seit 1973 eine besondere Verbindung. "Wenn man das Dresden von damals mit heute vergleicht, ist man in einer anderen Welt. Und das neue Stadion? Das ist notwendig, um überhaupt zu überleben, die Grundvoraussetzung für Dynamo. Ich hoffe, dass sie es in den nächsten Jahren zumindest bis in die zweite Liga schaffen." Ein Satz, der 13 Jahre später mehr denn je gilt.

Ex-Dynamo und Ex-Bayern-Spieler Zickler über Beckenbauer: "Ein ganz feiner Mensch"

Bei Dynamo Dresden wurde Alexander Zickler 13 Jahre ausgebildet, dann stürmte er zwölf Jahre beim FC Bayern und gewann unter Trainer Franz Beckenbauer auch Titel. Herr Zickler, Sie waren bei der Trauerfeier in München. Wie behalten Sie Franz Beckenbauer in Erinnerung?

Als einen Mann, der extrem viel für den deutschen Fußball getan hat. Und als einen ganz feinen Menschen, der trotzdem seine Ecken und Kanten hatte. Auch ich persönlich habe ihm sehr viel zu verdanken.

Weil er bei Ihrem Wechsel von Dynamo Dresden nach München 1993 seine Hände im Spiel hatte?

Er war damals Vize-Präsident beim FC Bayern und in dieser Funktion sicher involviert. Ob er beim Transfer mitentschieden hat, kann ich aber nicht sagen. Ich habe ihn dann schnell kennengelernt, es waren immer sehr nette Gespräche mit ihm.

Ein halbes Jahr nach ihrem Wechsel wurde er Nachfolger von Erich Ribbeck. Wie haben Sie ihn als Trainer erlebt?

Ich habe immer auch mit einer gewissen Ehrfurcht vor ihm gestanden. Er hatte eine absolute Autorität. Wenn er gesagt hätte, dass der Ball viereckig wäre, dann wäre er auch viereckig. (schmunzelt) Im Ernst: Jeder hat ihm an den Lippen gehangen, er war ein super Motivator, hat immer die richtigen Worte gefunden. Fasziniert hat mich damals außerdem, dass er zum Teil mit der Mannschaft mittrainierte. Man hat einfach zu ihm aufgeschaut.

Bei der Trauerfeier zu Ehren von Franz Beckenbauer ist auch Alexander Zickler (unten, Dritter von links) in der Münchner Allianz Arena.
Bei der Trauerfeier zu Ehren von Franz Beckenbauer ist auch Alexander Zickler (unten, Dritter von links) in der Münchner Allianz Arena. © picture alliance / Wagner

Im Sommer 1994 gewann er mit dem FC Bayern die deutsche Meisterschaft und Sie den ersten von 20 Titeln mit den Münchnern. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre erste Saison?

Ich kam ja als junger Spieler, mit 19, zu diesem großen Verein. Und in der ersten Saison gleich einen Titel zu gewinnen, das war schon etwas Besonderes. In Erinnerung geblieben ist mir etwa das Wiederholungsspiel gegen den 1. FC Nürnberg, das angesetzt wurde, nachdem Thomas Helmer ein Phantomtor erzielt hatte. Für mich persönlich war es bis dahin keine ganz so einfache Zeit, ich hatte mich nach dem zweiten Spiel gleich verletzt, kam anschließend wenig zum Einsatz, öfter auch bei den Amateuren. Dann kam Nürnberg, beim zweiten Anlauf fielen unsere beiden rechten Außenbahnspieler Jorginho und Dieter Frey aus. Am Abend davor kam Franz Beckenbauer ins Zimmer und sagte mir, dass die älteren Spieler mich für diese Position im Kopf hätten. Deshalb wollte er mich fragen, ob ich als Stürmer auch auf der Position spielen könne. Natürlich konnte ich – zumindest habe ich ihm das gesagt. Ich war ehrlicherweise extrem nervös, aber er hat mir das Vertrauen geschenkt. Wir gewannen dann 5:0 und ich habe das erste Tor vorbereitet.

Im April 1996 sprang Franz Beckenbauer noch mal als Trainer ein, diesmal nur für gut zwei Wochen. Aus dem Meisterschaftsrennen und DFB-Pokal hatte sich die Mannschaft bereits verabschiedet, es blieben nur noch die beiden Finalspiele im Uefa-Cup gegen Girondins Bordeaux. Die gewann der FC Bayern mit 2:0 und 3:1.

Bordeaux war damals richtig stark besetzt mit Zinedine Zidane, Bixente Lizarazu und Christophe Dugarry. Mit Franz Beckenbauer als Trainer kam bei uns die Sicherheit zurück, das Vertrauen in die eigenen Stärken und Qualitäten. Das war entscheidend.

Fünf Jahre später war er Präsident und verglich die Mannschaft nach einer 0:3-Niederlage gegen Olympique Lyon beim Bankett mit der Uwe-Seeler-Traditionself. Einige Wochen später gewann der FC Bayern die Champions League, im Finale verwandelten Sie einen Elfmeter.

Bei der Rede war ich nicht im Saal, weil ich aufgrund einer Verletzung fehlte. Aber natürlich kenne ich sie. Im Nachgang kann man sicher sagen, dass seine Worte gefruchtet haben. Wie so oft.