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Einziger Europacupsieger der DDR: Als der 1. FC Magdeburg 1974 den Titel gewann

Vor 50 Jahren gewann der 1. FC Magdeburg als erste und einzige DDR-Klubmannschaft den Europapokal der Pokalsieger. Um das Team und den Triumph ranken sich einige Anekdoten.

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Der einzige Europapokalsieger aus der DDR: Am 8. Mai 1974 gewann der 1. FC Magdeburg in Rotterdam gegen den AC Mailand den Europapokal der Pokalsieger.
Der einzige Europapokalsieger aus der DDR: Am 8. Mai 1974 gewann der 1. FC Magdeburg in Rotterdam gegen den AC Mailand den Europapokal der Pokalsieger. © dpa-Zentralbild

Von Gerald Fritsche und Frank Kastner

Magdeburg/Rotterdam. Es war eine magische Nacht für den DDR-Fußball und den 1. FC Magdeburg. Ein Eigentor und ein Treffer von Wolfgang Seguin besiegelten an jenem 8. Mai 1974 im legendären "De Kuip" von Rotterdam den ersten und einzigen Sieg einer DDR-Klubmannschaft in einem europäischen Cup-Wettbewerb.

Nicht die berühmten Spieler des AC Mailand um den damals wohl besten europäischen Fußballer Gianni Rivera, Alberto Bigon oder Karlheinz Schnellinger durften den Europapokal der Pokalsieger in die Höhe strecken und eine Siegprämie von fünf Millionen Schweizer Franken kassieren, sondern die bis dato international noch namenlosen Manfred Zapf, Jürgen Pommerenke oder Jürgen Sparwasser.

Egal, mit wem man aus der damaligen FCM-Truppe heute spricht, alle reden voller Ehrfurcht und Respekt von Trainer Heinz Krügel. Der hatte schon in der ersten Runde des Wettbewerbs nach dem Spiel beim niederländischen Provinzclub NAC Breda, das ebenfalls im "Kuip" gespielt worden war, seine Jungs auf den Triumph eingeschworen.

"Meine Herren, schauen Sie sich dieses Stadion genau an, hier wollen wir zum Finale wieder her", hatte er gesagt und für völliges Unverständnis bei den Spielern gesorgt. "Was erzählt der denn da für einen Quatsch?", erinnert sich Sparwasser an seinen ersten Gedanken.

Heinz Krügel und seine ungewöhnlichen Motivationsreden

"Heinz Krügel konnte eine Mannschaft mit seinen Reden mitreißen, motivieren. Bei dem habe ich selbst geglaubt, Weltklasse zu sein, so überzeugend ist er aufgetreten. Er hat jedem vor dem Spiel gesagt, was seine Stärken sind, und daran erinnert, diese auszuspielen", berichtet Seguin von der Spielvorbereitung.

Und er nennt ein Beispiel: "Zu Helmut Gaube, der vorher selten gespielt hatte, sagte er vor dem Finale: 'Sie, Helmut, Sie spielen gegen Rivera. Stellen Sie sich mal vor, Sie sind Diplomsportlehrer und der hat nicht mal einen richtigen Beruf.' Und hinterher hat er ihn gelobt mit den Worten: 'Jetzt sind Sie Rivera.' Das war Krügel", erzählt Seguin.

"Wir waren eine verschworene Truppe“, berichtet mit Axel Tyll ein weiterer Mittelfeldmann von damals über die Mannschaft. Mit einem Durchschnittsalter von rund 23 Jahren war es ein überaus junges Team ohne Stars.

Komplette Mannschaft kommt aus dem Bezirk Magdeburg

Mit Kapitän Zapf gab es einen kompromisslosen Libero, mit Pommerenke den Denker und Lenker im Mittelfeld und mit Sparwasser und Martin Hoffmann torgefährliche Angreifer. Um sie herum gesellten sich gute Fußballer, die Krügels Spielstil – etwas angelehnt an den englischen dieser Zeit – ideal umsetzen konnten.

Hinzu kam, dass sich die Mannschaft fast ausnahmslos aus dem damaligen Bezirk Magdeburg rekrutierte und damit auch eine lokale Identifikation mit dem Klub vorhanden war. Der Pokalsieg 1973 sowie der Gewinn der DDR-Meisterschaft 1974 sorgten schließlich dafür, dass man mit einem gewissen Selbstbewusstsein in Rotterdam auflaufen konnte. Finals, das wussten die Spieler alle, können wir.

Dass sich nur rund 6.000 Zuschauer das Finale in Rotterdam antun wollten, hatte gleich mehrere Gründe. "Von unseren Fans durften ja kaum welche hinfahren, weil es kapitalistisches Ausland war. Und die, die dabei waren, wussten zum Teil nicht, wer Blau-Weiß war", erzählt Seguin.

DDR-Fußballverband kassiert Siegprämie ein

Die Mailänder waren sich wohl so sicher, dass sie den Pott holen, dass von denen auch niemand hingefahren ist, orakelt der Siegtorschütze. "Die Niederländer mochten die Italiener und deren Fußball nicht. Und uns kannte keiner", sagt Seguin und betont, dass all das eher ein Nachteil für das von Giovanni Trapattoni trainierte Team war. "Die waren es schlichtweg nicht gewohnt, in leeren Stadien zu spielen."

Die Bilder, die in der Nacht des Erfolges in die Welt gingen, zeigten glückselige FCM-Spieler in weißen Bademänteln auf der Ehrenrunde. "Die haben wir bekommen, weil es so kalt und regnerisch war", berichtet Seguin. Aber: Nach der Feier mussten sie wieder abgegeben werden. "Ich habe versucht, meinen in die Tasche zu packen, aber es hat nicht geklappt. Ich weiß aber, dass am Ende zwei fehlten. Wer die mitgenommen hat, weiß ich bis heute nicht", sagt Seguin.

Gefeiert wurde im Teamhotel an der Nordsee. Der Hotelchef sei ein Fußballverrückter gewesen, der die Sause wohl auch gesponsert habe. "Wir waren ja nur etwa 30 Leute, eingedeckt war aber für 80", erinnert sich der heute 79-Jährige. Die Siegprämie konnte zum Bezahlen der Feier nicht herangezogen werden, weil der Deutsche Fußball-Verband der DDR in Person seines Präsidenten Günther Schneider das Geld sofort einkassierte und zur Finanzierung des Trainingslagers der DDR-Auswahl vor der WM in Schweden nutzte.

Wolfgang Seguin: "So hatte ich Krügel noch nie erlebt"

Aus diesem Grund konnten auch die Magdeburger WM-Kandidaten Sparwasser, Pommerenke, Hoffmann, Seguin und Tyll nicht so ewig mitfeiern, denn bereits am 9. Mai mussten sie früh gen Schweden aufbrechen und verpassten somit auch den Empfang in der Heimat. Als Prämie gab es für jeden Spieler 5.000 DDR-Mark und ein Auto – allerdings musste das jeder selbst zahlen. Nur 13 Jahre warten musste man nicht darauf.

Zudem ist Seguin eine nette Begebenheit im Gedächtnis geblieben. "Ich bin in den frühen Morgenstunden noch mal hinten runter. Da standen Krügel und der damalige Klubvorsitzende an der Bar und tranken Cognac. Und Krügel fragte: 'Na Wolfgang, auch mal einen probieren?' So hatte ich Krügel noch nie erlebt", erzählt Seguin.

Die Spieler von damals sind nach wie vor eng befreundet. Jedes Jahr um den 8. Mai herum treffen sie sich mit ihren Frauen und begehen den einzigartigen Triumph auf ihre Weise. Und natürlich besuchen sie auch die Heimspiele der Zweitliga-Mannschaft. Denen wünschen sie den Klassenverbleib und eine Kameradschaft, wie sie 1974 zum größten Erfolg des DDR-Klubfußballs geführt hat. (dpa)