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Als die Bayern im Europacup gegen Dynamo für einen Skandal sorgten

Vor 50 Jahren treffen Bayern München und Dynamo Dresden im Europapokal aufeinander - ein Duell mit politischer Brisanz. Vor dem Rückspiel in Dresden warten Hunderte Fans vor dem Hotel – doch die Münchner Stars kommen nicht. Warum? Eine Suche in den Stasi-Akten.

Von Sven Geisler
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Bayern-Kapitän Franz Beckenbauer führt seine Mannschaft im Rückspiel bei Dynamo Dresden aufs Feld. Am Ende setzen sich die Münchner in zwei denkwürdigen Partien durch und gewinnen am Ende den Europapokal der Landesmeister.
Bayern-Kapitän Franz Beckenbauer führt seine Mannschaft im Rückspiel bei Dynamo Dresden aufs Feld. Am Ende setzen sich die Münchner in zwei denkwürdigen Partien durch und gewinnen am Ende den Europapokal der Landesmeister. © Picture Alliance/Werek

Dresden. Dieses Los hatte politische Brisanz. Zum ersten Mal werden die deutschen Fußballmeister aus Ost und West im Europapokal aufeinandertreffen – und die Staatssicherheit der DDR startete die Operation "Vorstoß". Aber auch im Westen sorgt die Begegnung für Magengrummeln – und das offenbar nicht nur im übertragenen Sinne.

Die Bayern reisten nicht wie bei solchen Spielen üblich bereits 24 Stunden vor dem Anpfiff an, sondern quartierten sich in einem Landgasthof an der Grenze im bayerischen Hof ein - damals ein Skandal. Die offizielle Begründung: der Höhenunterschied zwischen München und Dresden, immerhin von 519 auf 112 Meter.

Gerd Müller, der "Bomber der Nation", erinnert sich später in einem Gespräch mit der Sächsischen Zeitung: "Das war nicht geplant. Beim Essen in Hof erzählten Uli Hoeneß und Paul Breitner, dass sie vor den Spielen immer müde geworden seien, wenn sie mit der Nachwuchsauswahl in der DDR gespielt hatten. Unser Manager Robert Schwan entschied daraufhin spontan: Wir bleiben hier."

DDR will den Prestige-Sieg gegen die BRD

Vor dem Hotel "Newa" in Dresden warteten viele Fußball-Fans am Tag vor dem Rückspiel am 7. November 1973 vergeblich auf die Bayern-Stars. Das Argument vom Höhenunterschied "war natürlich Blödsinn", wie Uli Hoeneß jetzt im Interview mit dem Kicker sagt. "Wir haben es nicht gewusst, stiegen in München in den Bus und dachten, wir fahren nach Dresden."

Spontan, so Hoeneß, sei die Entscheidung aber nicht gefallen. Vielmehr habe Schwan das in Eigenregie vorbereitet, "sonst wäre das Hotel in Hof nicht gebucht gewesen". Die Stasi dokumentierte daraufhin damals genau, welche Gründe der Bayern-Präsident Wilhelm Neudecker laut Bild-Zeitung anführte: "Die ausgehungerten Fußball-Fans der DDR, die die Vorbereitungen in Dresden gestört hätten. Ein total überhitztes Hotel ..."

Außerdem sei den Bayern-Verantwortlichen zugetragen worden, "dass den Funktionären in der DDR jedes Mittel recht sei, um zum 'Prestige-Sieg' gegen die Bundesrepublik Deutschland zu kommen."

Bayern-Spieler ignorieren die Dresdner Fans

Doch auch in der West-Presse gab es kritische Stimmen zum Auftritt der Bayern in Dresden, die auch von der Stasi zusammengetragen wurden. "Das Vorgehen der Bayern war auch in menschlicher Hinsicht ein absoluter Missgriff", schrieb die Berliner Morgenpost. Als der Bayern-Bus schließlich knapp drei Stunden vorm Spiel ankam "würdigten Spieler und Mannschaftsleitung die wartenden Menschen kaum eines Blickes".

Vor Dynamos Rückspiel gegen Bayern München warten viele Fans vor dem Hotel Newa in Dresden auf das Starensemble um Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Sepp Maier und Uli Hoeneß.
Vor Dynamos Rückspiel gegen Bayern München warten viele Fans vor dem Hotel Newa in Dresden auf das Starensemble um Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Sepp Maier und Uli Hoeneß. © Picture Alliance/Werek

Ähnlich kommentierte die Frankfurter Allgemeine. Der Wille zu menschlichen Kontakten sei "offensichtlich nicht vorhanden" gewesen, stattdessen seien sie "in Sekundenschnelle in den Bus verschwunden, ohne sich den 3.000 seit Stunden wartenden Menschen wenigstens kurz zu präsentieren. Kein Wunder, dass Sprechchöre wie 'Ha-ho-he – Bayern ist okay!' rasch verstummten."

Stasi zieht positives Fazit von Dynamo-Spiel gegen Bayern

Im Hotel gab es dann tatsächlich einen Angriff auf die Gäste: einen Lauschangriff. Sie ahnten nicht, dass ihre Mannschaftsbesprechung aus dem verwanzten Salon "Puschkin" live in die Stasi-Zentrale auf der Bautzner Straße übertragen wurde.

Trotz des Ausscheidens gegen die Bayern wurde auch in Dresden ein positives Fazit gezogen, zumindest aus Sicht der Stasi. "19 Personen wurden wegen Betteln von Westgeld, Souvenirs, verkaufen von Eintrittskarten zu Überpreisen und Versuch des Durchbrechens der Absperrungen durch die VP zugeführt", hieß es im Abschlussbericht.

Aktenkundig wurde zudem eine Verkäuferin im Kiosk an der Autobahnraststätte Wilsdruff. Sie habe "beim Verkauf von Genussmitteln an BRD-Touristen, die zum Fußballspiel in Dresden weilten", laut Bericht geäußert, "dass die Westschokolade besser sei als unsere. Sie forderte die Touristen auf, unsere Schokolade aus diesem Grunde nicht zu kaufen".