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IOC-Pläne zu Russland: So unterschiedlich denken die Deutschen darüber

Das IOC plant die Rückkehr Russlands und Belarus' bis Olympia 2024. Im deutschen Spitzensport regt sich viel Kritik. In der Gesellschaft herrscht eine ambivalente Meinung - vor allem in Sachsen.

Von Fabian Deicke
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Das IOC möchte, dass russische und belarussische Athletinnen und Athleten an Olympia 2024 unter neutraler Flagge teilnehmen. Für Russland wäre das nichts neues.
Das IOC möchte, dass russische und belarussische Athletinnen und Athleten an Olympia 2024 unter neutraler Flagge teilnehmen. Für Russland wäre das nichts neues. © dpa

Dresden. Die Rückkehr Russlands und Belarus' in den internationalen Spitzensport würde die Mehrheit der Deutschen kritisch sehen. In Sachsen herrscht eine abweichende Meinung in der Diskussion vor, die sich um den Vorstoß des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) rankt, Athletinnen und Athleten dieser Länder unter neutraler Flagge wieder antreten zu lassen. Das ergeben zwei repräsentative Umfragen, die Sächsische.de mit den Meinungsforschern von Civey aktuell durchgeführt hat.

Konkret danach gefragt, ob russische und belarussische Athletinnen und Athleten spätestens bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris wieder teilnehmen sollten, sagt mehr als die Hälfte der Deutschen (52 Prozent), es sei falsch. Etwas mehr als ein Drittel der Bundesbürger (36 Prozent) würde die Rückkehr der beiden Länder hingegen begrüßen.

In Sachsen zeigt sich ein umgekehrtes und noch etwas deutlicheres Stimmungsbild. Wie die Analyse der Umfrage nach Teilnehmern aus dem Freistaat zeigt, steht hier die deutliche Mehrheit hinter den Plänen des IOC: 62 Prozent der Sachsen würden die Rückkehr von Russen und Belarussen richtig finden, 26 Prozent falsch.

Das Thema wird auch unter deutschen Spitzensportlern derzeit viel diskutiert. Der Verband "Athleten Deutschland", der sich für die Interessen deutscher Kaderathletinnen - und athleten einsetzt, positioniert sich deutlich gegen die IOC-Pläne.

Léa Krüger, Säbelfechterin im aktuellen Olympiakader und Mitglied des Präsidiums von "Athleten Deutschland", sagt diese Woche im Podcast "Dreierbob" bei Sächsische.de: "Es herrscht nach wie vor Krieg, es ist einfach nicht der Zeitpunkt dafür, um über Lockerungen zu sprechen, auch was Sanktionen im Sport angeht." Sport sei nicht von Politik trennbar, wie es das IOC fordere. Erst recht nicht, wenn man es mit Russland zu tun habe.

Aus Sicht der deutschen Athletenvereinigung sei es einerseits für Ukrainer derzeit emotional nicht zumutbar, sich im Wettkampf russischen Sportlern stellen zu müssen. Andererseits würden die Forderungen des IOC aber auch für Russen Risiken bergen. Schließlich soll eine neutrale Haltung zum Krieg eine Voraussetzung zur Teilnahme sein. Krüger, die auch Kontakte zu russischen Sportlern pflegt, sagt: "Wenn Sportler in Russland etwas gegen den Krieg sagen, sind sie weg vom Fenster."

Olympia-Qualifikation: "Bekommen die dann Wildcards?"

Neben diesen politisch heiklen Aspekten gebe es aber auch noch ganz praktische Hürden, fährt Krüger fort. So habe infolge der Abschottung nach jetzt einem Jahr Krieg das ohnehin löchrige russische Anti-Dopingsystem kaum Überprüfungen erfahren.

Außerdem gehe aus den Überlegungen des IOC aktuell auch nicht hervor, wie sich Russen und Belarussen für Olympia im nächsten Jahr überhaupt qualifizieren sollen. "Bekommen die dann Wildcards, also werden die einfach durchgeschoben", fragt sie und verweist darauf, dass in manchen Disziplinen bereits Teilnehmer qualifiziert sind und in anderen die Qualifikationen gerade beginnen. "Wir brauchen hier klare Leitlinien", sagt sie. Das IOC schiebe die Verantwortung für diese Fragen aber auf die Weltverbände ab. Es drohe ein Flickenteppich.

Ukrainischer Botschafter: IOC muss Verantwortung übernehmen

Ebenfalls noch nicht vom Tisch ist in der gesamten Debatte um die Rückkehr von Russen und Belarussen, die Option des Boykotts einzelner Länder. Die Ukraine hatte kurz nach Bekanntwerden der IOC-Pläne Ende Januar, als IOC-Präsident Thomas Bach am Rande der Rodel-WM in Oberhof erstmals öffentlich über das Vorhaben sprach, einen Boykott angedroht.

Inzwischen rückt die Ukraine davon jedoch überwiegend ab. Der neue ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksij Makejew, sagt gegenüber Sächsische.de, dass das IOC die Verantwortung übernehmen müsse. "Man muss die Augen öffnen und sehen, was Russland in der Ukraine zerstört hat. [...] Sollen wir hier die Augen zudrücken und sagen, dass russische Sportler nichts mit Politik zu tun haben? Das können wir uns nicht erlauben."

Sachsen hätten mehrheitlich kein Verständnis für Boykotts

Aus Sicht der Vereinigung "Athleten Deutschland" solle ein Boykott nicht pauschal von einer Nation angeordnet werde. "Das soll jede Athletin, jeder Athlet für sich entscheiden dürfen", plädiert Léa Krüger.

Die Meinung in der deutschen Gesellschaft zur Boykott-Frage ist indes gespalten, wie eine zweite Civey-Umfrage zeigt. Während die Mehrheit der Bundesbürger (58 Prozent zu 34 Prozent) Verständnis dafür hätte, wenn andere Nationen sportliche Wettbewerbe wie die Olympischen Spiele boykottieren würden, sieht es in Sachsens Bevölkerung anders aus.

Im Freistaat, das zeigt das Ergebnis der repräsentativen Befragung, würden es fast zwei Drittel der Menschen falsch finden, wenn andere Nation die Spiele boykottieren würden, wenn auch Russen und Belarussen daran teilnehmen dürften. 27 Prozent hätten jedoch dafür Verständnis.

Informationen zu Umfragen mit Civey

Sächsische.de führt regelmäßig in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsunternehmen Civey repräsentative Umfragen durch. Die Befragungen finden ausschließlich online statt. Wie die Umfragen mit Civey genau funktionieren, wird in diesem FAQ-Artikel erklärt.

In diesem Artikel wurden zwei Umfragen ausgewertet, die Sächsische.de in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsunternehmen Civey durchgeführt hat.

  • Für die Umfrage zur Haltung bezüglich der IOC-Pläne besteht die bundesweite Stichprobe aus 5.003 Teilnehmern, die sächsische aus 380.
  • Für die Umfrage zum Thema Olympia-Boykott besteht die bundesweite Stichprobe aus 5.002 Teilnehmern, die sächsische aus 384.

Die sächsischen Stichproben wurden jeweils entsprechend der Wahlbevölkerung im Land nach der River-Sampling-Methode gezogen.