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So denkt Sachsen über ein Jahr Krieg in der Ukraine

Fünf Umfragen zeigen, wie Menschen in Sachsen zum Angriff Russlands auf die Ukraine stehen. Insbesondere die Position zur Ursache des Kriegs weicht deutlich vom Bundesdurchschnitt ab.

Von Fabian Deicke
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Eine Passanten schaut in Kiew auf ein Meer aus Flaggen für die getöteten Soldaten: Der Angriffskrieg Putins hat bereits unzählige Opfer gefordert - auf beiden Seiten.
Eine Passanten schaut in Kiew auf ein Meer aus Flaggen für die getöteten Soldaten: Der Angriffskrieg Putins hat bereits unzählige Opfer gefordert - auf beiden Seiten. © dpa/Kay Nietfeld

Dresden. Die Folgen von einem Jahr Krieg sind vor allem in der Ukraine unmittelbar und unübersehbar. Zerstörte Städte, Dörfer, ganze Lebensentwürfe - ausgelöscht. Die Vereinten Nationen bilanzieren seit Kriegsbeginn, dem Einmarsch Russlands am 24. Februar 2022, rund 7.000 getötete Zivilisten, darunter 438 Kinder. Nach Schätzungen westlicher Geheimdienste kommen 100.000 getötete oder verwundete ukrainische Soldaten hinzu und bis zu 200.000 Russen.

Dass dieser Krieg nicht spurlos am Rest der Welt vorbeigeht, dafür sind explodierende Energiepreise, die Inflation und eine große Flüchtlingswelle Beleg, begleitet von fortwährenden Diskussionen über Ursache und Folgen des Konfliktes. Explizit dazu, so scheint es, hat die Mehrheit der Menschen in Sachsen eine grundlegend abweichende Haltung als ihre bundesdeutschen Mitbürger.

Sächsische.de und die Meinungsforscher von Civey haben dazu in den vergangenen Tagen fünf repräsentative Umfragen durchgeführt. Das sind die Ergebnisse.

Sachsen glauben, die Nato-Osterweiterung ist Kriegsursache

Seit Beginn seiner Offensive ist Russland darum bemüht, die Schuld für seine rasch ins Stocken geratene "militärische Spezialoperation" dem Westen zuzuschreiben. Erst bei seiner Rede zur Lage der Nation am Dienstag erneuerte Präsident Wladimir Putin diesen Vorwurf und sprach wie vor einem Jahr davon, dass in Kiew ein "Nazi-Regime" regiere und vom Westen protegiert werde.

Ein Baustein in der Legitimationskette des Kremls ist dabei auch die Ostererweiterung der Nato zwischen 1999 und 2020. In diesen 21 Jahren hat sich die Zahl der Nato-Mitglieder in fünf Schritten sukzessive erhöht. Aus vormals 16 Mitgliedstaaten wurden 30, die 14 neuen sind vornehmlich osteuropäische Länder. Einem Beitritt der Ukraine stand das Militärbündnis jedoch bis Kriegsbeginn nicht offen gegenüber.

Für die Mehrheit der Sachsen ist mit Blick auf die Osterweiterung klar: Hätte es diese nicht gegeben, wäre ein Angriff auf die Ukraine nicht erfolgt. Dieser Überzeugung sind 59 Prozent der Befragten in Sachsen, 36 Prozent sind anderer Meinung.

Bei einer bundesweiten Analyse dieser Frage kommt ein fast spiegelverkehrtes Ergebnis heraus. Demnach sind sich 60 Prozent der Deutschen sicher, dass Russland auch ohne die Osterweiterung früher oder später die Ukraine angegriffen hätte.

Große Vorbehalte gegen Waffenlieferungen

Der Westen unterstützt seit Kriegsbeginn die Ukraine mit humanitärer aber auch militärischer Hilfe. Insbesondere die Lieferung schwerer Waffen sorgen anhaltend europaweit für große Debatten. Zwar stehen die EU-Länder überwiegend geschlossen hinter der militärischen Hilfe, die Menschen in Europa sind aber durchaus geteilter Meinung dazu.

In Sachsen, das zeigt sich auch bereits so lange wie dieser Krieg nun schon andauert, haben die Menschen offenbar größere Vorbehalte (vgl. Umfrage dazu im April 2022). Die neue Civey-Umfrage dazu, ob sich im Verlauf des Krieges die Haltung zu Waffenlieferungen seit Kriegsbeginn geändert habe, belegt das erneut.

Demnach sagen 67 Prozent der Befragten im Freistaat, sie lehnen es ab. Etwas weniger als ein Drittel, 27 Prozent, denken anders darüber und stehen Waffenlieferungen heute offener als vor dem Krieg gegenüber.

Große Ablehnung gegenüber Mehrausgaben für Rüstung

Dass die Welt seit dem russisch-ukrainischen Krieg unsicherer geworden ist, zeigt die Spirale der Eskalationen, die unter der Woche ihren vorübergehenden Höhepunkt erfahren hat. Putin kündigte die Aussetzung des "New Start"-Vertrages an, der letzte großen atomare Abrüstungsvertrag mit den USA.

In Deutschland setzte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Begriff "Zeitenwende" bereits früh nach Kriegsausbruch dafür ein, um zu beschreiben, vor welch gravierendem Umbruch man sich womöglich befinde und kündigte schon im März 2022 an, die Bundeswehr modernisieren lassen zu wollen. Mit einem Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro.

In Sachsen stoßen die Aufrüstungspläne infolge des russischen Angriffskrieges überwiegend auf Ablehnung, zeigt eine dritte Umfrage. Gefragt danach, ob man heute eine andere Haltung zu hohen Verteidigungsausgaben habe als vor dem Angriff, verneinen fast zwei Drittel (62 Prozent) der Befragten. Etwa ein Drittel (30 Prozent) hingegen sieht es genau anders herum.

Mehrheit der Sachsen will pazifistische Haltung bewahren

Das Ergebnis der vierten Umfrage erscheint im Lichte der vorangegangenen Fragen zu Verteidigungsausgaben und Waffenlieferungen wie eine logische Folge. Gefragt danach, ob sich seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine die Haltung zum Pazifismus, also der Ablehnung militärischer Gewalt, etwas geändert habe, sagen die meisten Menschen in Sachsen: nein (67 Prozent). 22 Prozent denken anders und glauben nicht mehr so fest wie vorher an den Pazifismus.

Bei dieser Umfrage weicht die Meinung der Sachsen im Übrigen nicht weit vom Bundestrend ab: Auch die Mehrheit der Deutschen (51 Prozent) sagt, ihre Haltung zum Pazifismus habe sich nicht verändert.

Sachsen rechnen mit bis zu drei Jahren Krieg

Hinsichtlich ihrer Erwartung, wie lange der Krieg in der Ukraine noch andauern werde, gehen die Menschen in Sachsen mehrheitlich von bis zu drei Jahren aus. Die meisten der abgegebenen Antworten liegen in diesem Zeitraum (42 Prozent).

Wie die Analyse der entsprechenden letzte Civey-Umfrage in dieser großen Befragungsreihe zeigt, herrscht aber auch insbesondere hierbei große Unsicherheit: Fast ein Drittel (29 Prozent) der Befragten gibt "weiß nicht" an.

Informationen zu Umfragen mit Civey

Sächsische.de führt regelmäßig in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsunternehmen Civey repräsentative Umfragen durch. Die Befragungen finden ausschließlich online statt. Wie die Umfragen mit Civey genau funktionieren, wird in diesem FAQ-Artikel erklärt.

In diesem Artikel wurden fünf Umfragen ausgewertet, die Sächsische.de in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsunternehmen Civey durchgeführt hat.

  • Für die Umfrage zur Nato-Osterweiterung besteht die bundesweite Stichprobe aus 5.012 Teilnehmern, die sächsische aus 389.
  • Für die Umfrage zu Waffenlieferungen besteht die bundesweite Stichprobe aus 5.044 Teilnehmern, die sächsische aus 379.
  • Für die Umfrage zu Verteidigungsausgaben besteht die bundesweite Stichprobe aus 5.048 Teilnehmern, die sächsische aus 394.
  • Für die Umfrage zum Pazifismus besteht die bundesweite Stichprobe aus 5.039 Teilnehmern, die sächsische aus 380.
  • Für die Umfrage zur Dauer des Krieges besteht die bundesweite Stichprobe aus 5.060 Teilnehmern, die sächsische aus 392.

Die sächsischen Stichproben wurden jeweils entsprechend der Wahlbevölkerung im Land nach der River-Sampling-Methode gezogen.