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Biathletin bekämpft ihre Ess-Attacken - und feiert Erfolge

Die Schweizerin Lena Häcki-Groß, Schwiegertochter von Ricco Groß, bekommt ihre Essstörungen in den Griff. Das zeigt die Biathletin auch in ihrer Wahlheimat Ruhpolding, wo eine 18-jährige Debütantin überrascht.

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Lena Häcki-Groß lebt mit ihrem Mann, dem Sohn von Ricco Groß, in Ruhpolding.
Lena Häcki-Groß lebt mit ihrem Mann, dem Sohn von Ricco Groß, in Ruhpolding. © dpa/Sven Hoppe

Von Stefanie Wahl

Ruhpolding. Die Kuppen, alle Kurven und Abfahrten – jeder Meter Strecke ist ihr vertraut. Natürlich weiß sie auch am Schießstand um den Wind von rechts, der am Nachmittag gerne mal reinzieht. Es ist ein Heimspiel. Dabei ist Lena Häcki-Groß seit dem Rücktritt von Selina Gasparin vor knapp zwei Jahren das Gesicht des Schweizer Frauenteams. Doch die 28-Jährige wohnt in Ruhpolding. Einheiten in der Chiemgau Arena sind Alltag, keine Ausnahme.

Meist nur für Trainingslager fährt die gebürtige Engelbergerin nach Lenzerheide, den Stützpunkt der Schweizer, um sich dort mit der Mannschaft vorzubereiten. Während die Kolleginnen in den eigenen Domizilen nächtigen, schläft Lena Häcki-Groß „im Zimmerli des Ferienhauses der Familie Hartweg“, wie sie erzählt. Die Hartwegs initiieren einst das Biathlon-Projekt in Graubünden.

Das passte in der Vergangenheit nicht jeder im Schweizer Team. Doch die Missstimmungen sind ausgeräumt, der individuelle Weg der Lena Häcki-Groß wird respektiert. Und sie freut sich auf ihre Rennen mit Heimvorteil. Den hat sie spätestens seit der Heirat im Sommer 2022 mit Marco Groß, einem ehemaligen Biathleten. Acht Jahre zuvor lernte sie den Sohn des bis 1991 in Altenberg trainierenden Olympiasiegers Ricco Groß bei der Junioren-WM in Presque Isle kennen, der dort zweimal Silber holte, mittlerweile seine Karriere beendet hat und als Techniker bei den Slowenen arbeitet. Für das Team arbeitet auch der Papa als Trainer.

„Das ist etwas Schönes für mich“, sagt Lena Häcki-Groß. „Zuvor haben wir das nicht oft gehabt, zusammen unterwegs zu sein.“ Die familiäre Unterstützung tut ihr gut. Den Rückhalt zu spüren und seine Anfeuerungen auf der Strecke zu hören, stärken sie. Der Ehemann als Glücksbringer – und ein Grund für den geglückten Start in die Saison, wo der Zeitsoldatin nach Rang vier im Sprint in Hochfilzen als Zweite in der Verfolgung das beste Einzel-Resultat ihrer Karriere gelang.

Julia Tannheimer überrascht beim Weltcup-Debüt als 15.

Beim Heimspiel in Ruhpolding reicht es am Freitag als 17. allerdings nicht fürs Podium. Damit ist sie in bester Gesellschaft mit den deutschen Biathletinnen. Beim überragenden Weltcup-Debüt der erst 18-jährigen Julia Tannheimer, die nach zwei fehlerfreien Schießeinlagen 15. wird, ist Janina Hettich-Walz auf Rang sechs die beste Starterin des Deutschen Skiverbandes (DSV), Franziska Preuß landet auf Platz neun.

Am Schießstand zeigt die erst 18-jährige Julia Tannheimer keine Nerven und trifft alle zehn Scheiben.
Am Schießstand zeigt die erst 18-jährige Julia Tannheimer keine Nerven und trifft alle zehn Scheiben. © dpa/Sven Hoppe

Der Erfolg von Lena Häcki-Groß in dieser Saison ist keine Überraschung. „Ich wusste, dass ich enorme Fortschritte gemacht habe“, sagt die Schweizerin über die Arbeit an den vielen kleinen Baustellen. Ihre Trainerin Sandra Flunger berichtet von einem Sommer mit gesteigerten Laufumfängen und intensiven Schießeinheiten gepaart mit mentaler Arbeit ohne Probleme und meint: „Das Training hat gegriffen, sie hat Spaß und ist ausgeglichen – all das ist einer Leistung zuträglich.“

Lena Häcki-Groß ist gereift – als Athletin wie als Frau. „Sicher spielen all diese Dinge eine Rolle. Doch der wichtigste Faktor ist ganz klar meine gestärkte mentale Gesundheit. Ich habe großes Vertrauen in mich und in den Umgang mit meiner Essstörung, sodass sie mich nicht mehr beeinträchtigt.“

Im Frühjahr 2022 spricht Lena Häcki-Groß als erste aktive Biathletin öffentlich darüber, dass sie seit Jahren an der Binge-Eating-Störung leidet, oft tagelang kaum gegessen hat, um viel Gewicht zu verlieren – und dann heftige Heißhungerattacken erlebt. Sie schämt sich dafür, macht sich Vorwürfe, versucht ihre extremen Attacken zu verbergen. Lena Häcki-Groß leidet. „Manchmal habe ich an einem Abend den kompletten Kühlschrank leer gefressen“, offenbart sie. Ein mutiger Schritt, mit einem Tabuthema zu brechen, das im Profisport alles andere als selten ist.

Sandra Flunger hat sie direkt auf ihr Problem angesprochen, im Dialog realisiert die Athletin, dass sie professionelle Hilfe braucht und beginnt im Frühjahr 2021 eine Therapie. Inzwischen geht es ihr viel besser. Sie wirkt befreit. Und die Auswirkungen nicht nur der stabileren Psyche sind auf der Strecke spürbar. Technisch stark und kräftig wie nie zuvor skatet Lena Häcki-Groß in der Staffel von Ruhpolding am Mittwoch zur schnellsten Zeit, freut sich mit ihren Teamkameradinnen über Rang vier. „Das gibt mir alles sehr viel Mut und Selbstvertrauen“, sagt sie und winkt ihrem Fanclub zu.