Von Justus Strelow
Mit unserem Physiotherapeuten Robin habe ich mich Sonntagnacht im Teambus des DSV auf den Rückweg aus Antholz nach Oberhof gemacht. Bis unters Dach war unser Auto vollgeladen mit Fahrradergometern, Kisten und Equipment. Und auch Gesprächsstoff hatten wir auf der langen Reise genug – den ersten Weltcup-Sieg meiner Karriere.
Kurz hinter Nürnberg erzählte ich noch einmal, wie ich in der Single-Mixed-Staffel von Vanessa Voigt übernommen und zwei Schießen hinter mich gebracht hatte. Wie mir Damentrainer Sverre Olsbu Roeiseland am höchsten Punkt der Strecke siegessicher zurief, dass unten vor der letzten Abfahrt ins Stadion der DSV-Sportdirektor Felix Bitterling stehen und mir eine deutsche Fahne zustecken würde. Ich dachte nur: Bloß keine Fahne, nicht schon vorschnell jubeln! Ich hatte Sorge, dass ich die eigentlich sichere Führung noch aus der Hand geben könnte.
Mit Platzierungsverlusten auf Schlussrunden kenne ich mich schließlich aus, das habe ich in Einzelrennen schon öfter erleben müssen. Ich kam dann also an Felix Bitterling vorbei und prompt ging alles schief. Es sollte wohl so sein: Felix streckte mir die kleine Fahne mit dem dünnen Stil entgegen, die ich greifen sollte – und schon lag sie auf dem Boden. Irgendwie war ich nicht bereit dafür, sie zu nehmen.
Also ohne Fahne weiter Richtung Stadion, weiter Richtung Ziel. Erst in der Arena drehte ich mich um und spürte plötzlich Gewissheit, dass es reichen würde. Dann wichen die Schmerzen, und es kam der Genuss. Von einem deutschen Fan holte ich mir jetzt auch eine Fahne und mit der lief ich glücklich durchs Ziel. Geschafft: Weltcup-Sieg!
Schnell holte mich aber die Realität ein: Pressesprecher Stefan Schwarzbach schleuste mich zu Interviews. Diesmal musste ich auch dem französischen, norwegischen und schwedischen Fernsehen Interviews geben – auf Englisch. Alles muss schnell gehen, weil die Sendezeit endet und auch die Siegerehrung wartet. Erst abends im Hotel kam ich zur Ruhe. Als ich im Kaminzimmer mit meiner Verlobten Elli telefonierte, hörte ich, dass sich in einem Nebenraum gerade unsere Trainer, Betreuer und Techniker zu einem Feierabendbier zusammensetzten. „Eure Getränke schreibt Ihr bitte auf meinen Namen“, rief ich ihnen dankbar zu, denn alle haben großen Anteil am Erfolg.
Die bisher erschienen Kolumnen von Justus Strelow:
- So wurde ich ein Weltklasse-Schütze
- Die Kritik an Oberhof war völlig überzogen
- So hart ist eine Biathlon-Runde in Oberhof
- So erklärt sich der Leistungsanstieg
- Training auch am Heiligen Abend
- Zuschauer bei nächtlichen Yoga-Übungen
- Beim Weltcup in Hochfilzen kommen Fans aus Sachsen
- Im Kinderzimmer träume ich von weiteren Erfolgen
- Plätzchenbacken mit meiner Verlobten
In unserem DSV-Bus Richtung Oberhof muss Physio Robin schmunzeln, als ich erzähle, dass mich der Sportdirektor auf unsere missglückte Fahnenübergabe angesprochen hat: „Justus, das üben wir im Trainingslager vor der WM noch einmal genau.“ Kein Problem, ich bin bereit für noch mehr große Taten!
Justus Strelow von der SG Stahl Schmiedeberg ist Sachsens derzeit bester Biathlet und schreibt jede Woche über seine Erlebnisse des Weltcup-Winters.