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Kritik an Claudia Pechstein: "Ihre Zeit als Weltklasse-Athletin ist längst vorbei"

Der Eisschnelllauf-Meistertrainer Rainer Mund wundert sich über die Auftritte von Claudia Pechstein. Noch mehr hat er am Verband auszusetzen. Eine Dresdner Kritik.

Von Jochen Mayer
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Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Claudia Pechstein gab erst vor wenigen Wochen bekannt, ihre Karriere auch mit 52 Jahren noch fortsetzen zu wollen. Das sorgt bei Eisschnelllauf-Meistertrainer Rainer Mund aus Dresden für Unverständnis.
Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Claudia Pechstein gab erst vor wenigen Wochen bekannt, ihre Karriere auch mit 52 Jahren noch fortsetzen zu wollen. Das sorgt bei Eisschnelllauf-Meistertrainer Rainer Mund aus Dresden für Unverständnis. © Archiv: Robert Michael

Dresden. Eisbahnen sind ihm vertraut, da ist Rainer Mund immer noch zu Hause. In Inzell erlebte der Dresdner die jüngste Mehrkampf-WM der Eisschnellläufer auf der Tribüne. Der 79-Jährige galt zu DDR-Zeiten als Meistermacher und erfolgreichster Trainer der Welt mit seinen Serien-Siegerinnen Karin Enke und Andrea Ehrig. Bei der Heim-WM spürte der promovierte Sportwissenschaftler jetzt einen Gefühls-Mix bei großem Sport der Weltbesten – und ernüchternden deutschen Auftritten.

"Die Männer-Rennen haben mir besonders imponiert", schwärmt Mund im Gespräch mit Sächsische.de, und er sagt: "Dort gibt es eine gewaltige Leistungsdichte in der Welt. Dabei ragt Jordan Stolz aus den USA noch heraus. Er wird zu Recht als Wunderkind gefeiert. Da soll möglicherweise ein neuer Eric Heiden aufgebaut werden." Der US-Amerikaner hatte bei Olympia 1980 in Lake Placid auf allen fünf Distanzen gewonnen.

Rainer Mund begeisterte bei der WM der Mehrkampf-Weltrekord von Stolz, wie sich die Italiener auf der Langstrecke schlugen, wie die beiden Sprint-Weltmeister aus China und Japan auftraten, wie Bahnrekorde fielen. Bei den Frauen imponierten in Inzell drei Holländerinnen, sie sind das Maß der Dinge.

Der Untergang des Eisschnelllaufs in Deutschland

"Es war klar, dass die Deutschen im Medaillenrennen keine Chance haben. Aber sie konnten den Abstand zu den Weltbesten auch nicht verringern. Sie sind immer noch weit weg von der Spitze", sagt Mund. Der Erfurter Felix Maly wurde 18. in der Gesamtwertung, die Dresdnerin Josephine Schlörb kam auf Platz 21. Sie war für eine verletzte Teamkollegin eingesprungen. "Ihnen muss man nichts vorwerfen", betont Mund.

Ihn stört vielmehr, "dass sie nun als deutsche Hoffnungsträger herhalten müssen. International sind Jüngere schon viel besser." Der Dresdner widerspricht zudem Verbandschef Matthias Große, der einen leichten Aufwärtstrend zu sehen glaubt. "Ich würde das sicher auch sagen, wenn ich in Verantwortung im Verband wäre. Aber die Realitäten sehen anders aus. Wir sind leider nicht weitergekommen."

Klartext und Unverständnis: Rainer Mund kritisiert das deutsche Eisschnelllaufen.
Klartext und Unverständnis: Rainer Mund kritisiert das deutsche Eisschnelllaufen. © SZ-Archiv/Wolfgang Wittchen

Dabei war Deutschland mal eine große Eisschnelllauf-Nation. Die DDR-Frauen trieben es 1984 auf die Spitze, als die Dresdnerinnen Karin Enke, Andrea Ehrig und Christa Luding sämtliche Gold- und Silbermedaillen bei Olympia in Sarajevo gewannen. Die mit ihnen trainierende Gabi Schönbrunn aus Karl-Marx-Stadt holte dazu noch Bronze. Auch in der BRD gab es Olympia-Helden wie Erhard Keller oder Monika Pflug.

Nach der Wende lebte der Verband indes viel zu lange von diesem Erbe. Nach Olympia-Erfolgen der Erfurterin Gunda Niemann-Stirnemann, der Berlinerin Claudia Pechstein und der Inzellerin Anni Friesinger stürzte der deutsche Eisschnelllauf in die Bedeutungslosigkeit. Dabei existieren mit den großen Eislauf-Hallen in Berlin, Erfurt und Inzell beste Bedingungen.

Rainer Mund: "An DDR-Erfolge wurde in Bayern nicht erinnert"

Mund beklagt generell, dass Leistung in Deutschland immer weniger zählt und nicht gebührend gewürdigt wird. So wundert er sich auch nicht, wenn im deutschen Verband die Ansprüche inzwischen weit runtergeschraubt sind. "Du richtest eine WM aus und musst als Kampfziel ausgeben, unter die besten zehn kommen zu wollen. Wen lockst Du mit so einer Ansage in die Halle?", fragt er – und verweist auf die Eintrittspreise.

Rund 220 Euro waren fällig für die vier WM-Tage. "Ich habe die gerne bezahlt, weil ich die Weltbesten sehen wollte. Aber wer ist sonst noch so verrückt?" Dass dennoch Stimmung in der Halle herrschte, sei ein Verdienst anderer. "Dafür sorgten vor allem die Holländer und Norweger, die wie immer scharenweise angereist waren", erzählt Mund.

Ihn ärgert zudem, wie wenig die deutschen Traditionen seiner Sportart bei dieser WM eine Rolle spielten: "Da wäre viel mehr möglich gewesen. Einige der einstigen Stars waren in der Halle, aber ihre Präsenz wurde nicht genutzt. Und an die DDR-Erfolge vor 40 Jahren wurde in Bayern schon gar nicht erinnert, was mich nicht überraschte."

Rainer Mund: "Teilnahme ist nicht alles im Leistungssport"

Was Mund ebenso nicht gefiel: wie Claudia Pechstein als Mentorin präsentiert wurde, obwohl sie viele Jahre in ständiger Fehde mit ihren deutschen Konkurrentinnen lebte. Im vergangenen Herbst hatte die mittlerweile 52 Jahre alte Berlinerin ihren 43. deutschen Meistertitel gewonnen. "Das ist imposant, spricht aber nicht für das Niveau im deutschen Lager. Bei den Frauen klafft inzwischen eine enorme Lücke zur Spitze. Selbst die beste japanische Sprinterin läuft über 3.000 Meter unseren Frauen zehn Sekunden davon. Ich sehe schwarz für die Zukunft", sagt Mund, und diese Einschätzung betrifft auch konkret Pechstein.

"Ihre Zeit als Weltklasse-Athletin ist längst vorbei. Das muss man einfach akzeptieren. Ich empfinde es als sehr bitter, dass sie ihren großen Namen jetzt ruiniert beim Versuch, eine neunte Olympia-Teilnahme zu erzwingen. Teilnahme ist eben nicht alles im Leistungssport", sagt der frühere Meistertrainer.

Als Spitzenathletin könne sie keine Option mehr sein. Stattdessen hat Mund einen anderen Vorschlag: "Dem deutschen Verband würde ich empfehlen, sich für die Ausrichtung der Masters zu bewerben, den Altersklassen-Championat. Da gäbe es für Claudia dann beste Chancen im Wettbewerb der über 50-Jährigen."

Viel wichtiger sei es, dass der Verband einen systematischen Leistungsaufbau angeht. "Der ist nicht zu erkennen", beklagt Mund, dessen Expertise nach der Wende im deutschen Eisschnelllauf nicht mehr gefragt war. Und er stellt fest: "Es gibt so viele Reserven, die werden in anderen Ländern doch auch erschlossen. Aber in Deutschland sind wir weit weg davon, erst recht von einer Kaderpyramide im Eisschnelllauf. Mir scheint, da wird auf ein Talent gehofft, das mal zufällig oben ankommt."