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Erste ukrainische Kinder kommen in Görlitzer Schule an

An mehreren Schulen im Kreis Görlitz lernen inzwischen geflüchtete Kinder. Unkompliziert soll ihre Aufnahme sein - doch das gestaltet sich schwierig.

Von Susanne Sodan
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Ein Stück Normalität: Mark und seine Mutter Natalia Boiuka beim Üben von Englisch-Aufgaben. Die beiden mussten aus Kiew fliehen.
Ein Stück Normalität: Mark und seine Mutter Natalia Boiuka beim Üben von Englisch-Aufgaben. Die beiden mussten aus Kiew fliehen. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Es war ein Moment, der bei den Erwachsenen für Tränen in den Augen sorgte. Endlich mal wieder ein Lachen von Mark.

Vor einigen Tagen brachte Cornelia Weckwerth, Leiterin der Evangelischen Grundschule in Görlitz, zusammen mit Schülern Spenden für die Menschen in der Ukraine zur Heilig-Kreuz-Kirche. Dort trafen sie auf den neunjährigen Jungen, der mit seiner Mutter nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine aus Kiew geflohen ist. "Die Kinder haben sofort angefangen, miteinander zu spielen. Wir haben nichts dazutun müssen." Seit einer Woche nun spielt Mark nicht nur mit den Kindern der Schule, sondern lernt auch mit ihnen.

Kinder haben Fragen zum Krieg

"Auch Kinder haben viele Fragen zu dem Krieg in der Ukraine", sagt Cornelia Weckwerth. "Sie bekommen natürlich mit, dass etwas Schlimmes passiert. Wir sprechen darüber auch mit ihnen." So kam bei den Kindern der Wunsch auf zu helfen. Eltern und Schule organisierten eine Spendenaktion. Hygieneartikel, Powerbanks, Medikamente brachten sie vor Kurzem zu Pfarrer Roland Elsner. Weil Kinder in Marks Alter dabei waren, holte er den Jungen, der mit seiner Mutter nun im Pfarrhaus lebt, dazu.

Als die Kinder der Evangelischen Grundschule Spenden zur Kirche brachten, lernten sie Mark kennen.
Als die Kinder der Evangelischen Grundschule Spenden zur Kirche brachten, lernten sie Mark kennen. © privat

Kommunikation mit Händen und Füßen, etwas Englisch, manche Kinder sprechen Polnisch. Und für Fußball braucht es so viele Worte nicht. "Die Mutter sagte uns, seit zwei Wochen habe er zum ersten Mal wieder gelacht." Die Flucht - existenziell für sie. Die Mutter bekam vor Kurzem eine Spenderniere transplantiert, ist auf sichere medizinische Versorgung angewiesen.

Russische Freiwillige hilft

Insgesamt lernen an der Evangelischen Grundschule drei Kinder aus der Ukraine. Die Schule hat, wie andere auch, Erfahrungen mit fremdsprachigen Kindern. Auch polnische, syrische, afghanische Kinder lernen hier. So gibt es eine DaZ-Lehrerin, bei der auch die ukrainischen Kinder zweimal pro Woche Unterricht haben. Ansonsten lernen sie im normalen Unterricht.

"Wir haben eine russische freiwillige Helferin bei uns", erzählt Cornelia Weckwerth. Sie hilft den Kindern im Unterricht und Alltag. "Ansonsten arbeiten wir mit einem Übersetzungsprogramm, um den Kindern erst mal zu erklären, um welchen Unterrichtsstoff es geht. Aber sie lernen unheimlich schnell." Eines der Kinder ist erst seit zwei Tagen in der Schule, habe aber schon die ersten wichtigen Wörter drauf. Und in Mathe seien alle drei sehr gut.

Online-Schulanmeldung freigeschalten

Es laufe gut, aber auch mit Unsicherheiten, was die Zukunft angeht. Viele Fragen gibt es auch im Landesamt für Schule und Bildung (Lasub). "Wir wollen es trotzdem so unkompliziert wie möglich halten", sagt Sprecher Roman Schulz. So ist seit Freitag eine Plattform in mehreren Sprachen freigeschaltet, auf der Eltern oder Helfer die Kinder für die Schule anmelden können.

Möglichst unkompliziert – doch die Realität sieht manchmal anders aus. So sorgte die Frage, ob die Kinder zunächst eine bestimmte ärztliche Untersuchung benötigen, in Brandenburg für Diskussionen. Andere Bundesländer verzichten vorerst darauf, auch Sachsen, teilt das Lasub mit. In dessen Online-Schulanmeldung werden auch gesetzliche Dinge wie die Flüchtlings-Registrierung und die verpflichtende Masern-Impfung abgefragt. Es gibt aber die Möglichkeit, die Dinge nachzureichen. Wenn etwa die Registrierung der Flüchtlinge stockt, wie es zum Teil passiert, würde es mitunter lange dauern, bis ein Kind in die Schule kann, sagt Schulz. "Es ist jetzt nicht die Zeit für Verwaltungshandeln nach Lehrbuch." Zu viele unbekannte Faktoren.

Anmeldungen im unteren zweistelligen Bereich

"In Leipzig zum Beispiel haben wir aktuell rund 100 Anmeldungen täglich." Im Landkreis Görlitz und anderen ländlichen Regionen bewegen sich die Zahlen im unteren zweistelligen Bereich. Insgesamt erwartet Sachsen 60.000 bis 70.000 Flüchtende. "Aber wir können nicht abschätzen, wann sie eintreffen und wie viele Kinder dabei sind", und wie viele in Sachsen bleiben, "es gilt ja die Freizügigkeit", erklärt Schulz. "Wenn wir 20.000 Kinder annehmen, wären es 1.000 Klassen." Dafür braucht es die räumlichen und personellen Kapazitäten – schon seit Jahren und ohne die Katastrophen wie Krieg in Europa schwierig. "Andererseits haben wir die Erfahrungen aus 2015", viele Schulen haben seither DaZ-Klassen. Roman Schulz bleibt optimistisch. "Wir müssen das schaffen, schon für die Familien."

Der Freistaat will 200 zusätzliche Lehrkräfte und Schulassistenten befristet einstellen, vor allem Personen mit Ukrainisch-Kenntnissen, oder pensionierte Lehrer. Manche Lerninitiative habe sich bereits in der zivilgesellschaftlichen Hilfe entwickelt. Dafür ist Schulz dankbar. "Es ist jetzt das Wichtigste, dass Kinder hier ankommen können und unter Gleichaltrigen sind." Vielleicht, so eine Hoffnung, melden sich ukrainische, geflüchtete Lehrer.

Kreba: Ukrainische Lehrkräfte machen Unterricht

So wie in Kreba-Neudorf. Ganz bewusst haben die Verantwortlichen auch ukrainische Lehrkräfte aufgenommen. Laut Bürgermeister Dirk Naumburger sind in der Gemeinde insgesamt 52 Ukrainer untergebracht. Sie wohnen in Privatquartieren sowie Räumen der Grundschule, die extra dafür hergerichtet wurden. Knapp die Hälfte der Flüchtlinge ist im Kita- oder Schulalter. Die Betreuung ist bereits angelaufen – mithilfe der ukrainischen Lehrkräfte. Sie sollen in der nächsten Woche mit dem Unterricht starten. Parallel werden bereits erste Deutschkurse angeboten.

"Die Teilnehmerzahl ist sehr dynamisch, weil immer wieder neue Vertriebene hinzukommen, einige aber auch zurück nach Polen und damit näher zu ihrer Heimat gegangen sind", erklärt Naumburger. Eine Betreuung in der Kita gebe es noch nicht. "Hier haben wir momentan nicht die passenden Erzieherinnen." Erst wenn sich der Riesenstau bei dem vom Landratsamt auszustellenden Aufenthaltstiteln aufgelöst habe, "wollen wir eine geeignete Mutti finden, die diese Aufgabe übernehmen kann", ist der Bürgermeister optimistisch.

Auch im Nieskyer Ortsteil See, wo im Pfarrhaus mehr als zehn Personen leben, ist die Beschulung angelaufen. Der Grundschule fehlen jedoch die Kapazitäten. Deshalb läuft der Unterricht über Laptops mit Online-Angeboten, die den Kindern von der Ukraine zur Verfügung gestellt werden.

"Etwas logistisch müssen wir auch vorgehen", so Roman Schulz vom Lasub. So dürften in größeren Städten schneller genug Kinder für eine neue Klasse zusammenkommen, als in den ländlichen Regionen. Auch das eine Frage: Ist es sinnvoller, Kinder über DaZ-Klassen ins deutsche Schulsystem zu integrieren oder eher ukrainischsprachige Angebote zu machen? Viele Familien sagen, sie wollen bald wieder zurück. Doch wie lange dieser Krieg dauern wird, das kann niemand sagen.